Opposition im Lockdown

Planspiele Der CDU-Chef ist gewählt, das Superwahljahr beginnt. Und es zeichnet sich ab, worauf das hinauslaufen könnte
Ausgabe 03/2021
Deutschland, nach dem Frühjahr 2022: Unions-Fraktionschef Ziemiak, Kanzler Laschet, der Ost-Beauftragte Merz, Bundespräsidentin Klöckner; nicht im Bild: Außenminister Röttgen (alles nur ein Gedankenspiel!)
Deutschland, nach dem Frühjahr 2022: Unions-Fraktionschef Ziemiak, Kanzler Laschet, der Ost-Beauftragte Merz, Bundespräsidentin Klöckner; nicht im Bild: Außenminister Röttgen (alles nur ein Gedankenspiel!)

Foto: Christian Marquardt/Pool/Getty Images

Mit der Wahl Armin Laschets begann auch der Bundestagswahlkampf. Er wird sich vor allem dadurch auszeichnen, dass die Union allen anderen Parteien vorwerfen wird, mitten in einer Pandemie schäbigsten Wahlkampf zu treiben, nur um ein paar Vorteile in der Wählergunst zu erlangen. Einen Vorgeschmack auf diese clevere Demobilisierungsstrategie gab es Anfang Januar, als die SPD sich erdreistete, ein paar Fragen zum schleppenden Impfstart an Gesundheitsminister Jens Spahn zu richten. Sofort gingen die Wadlbeißer der Union in Kampfstellung. Aus der CSU tönte es, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz löse mit seinen „Attacken“ Verunsicherung aus. Er spalte die Bevölkerung, „um daraus einen persönlichen Vorteil zu ziehen.“ Selbst der Spiegel mahnte, die Regierung brauche jetzt Einigkeit in der Pandemiebekämpfung, „damit die Bevölkerung ihren Maßnahmen vertraut.“ Derart gemaßregelt blies die SPD ihre „Generalattacke“ ab und trat ins Glied zurück. In Abwandlung eines Spruchs von Kaiser Wilhelm II. könnte man sagen: Die Politik kennt keine Parteien mehr, sie kennt nur noch Infizierte.

Die Grünen haben das sofort begriffen. Kritische Töne darf man von dieser „Regierungspartei im Wartestand“ nicht mehr erhoffen. Die Grünen wissen, dass sie nur mit kräftigem Applaus für den Mitte-Kurs Angela Merkels ein gutes Ergebnis einfahren werden. Das wiegt im Zweifel schwerer als jedes Schaulaufen als Oppositionspartei. Claudia Roth brachte die Lage für ihre Partei auf den Punkt: „Mit Laschet und Spahn hat die CDU die Verwalter des Status quo gewählt … Damit wird überdeutlich, dass es auf die Grünen entscheidend ankommen wird.“ Als Partner der Verwalter, nicht als Gegner.

Grüne, SPD und Union werden also um die Mitte buhlen, um die alte (Union), die neue (Grüne) und die linke Mitte (SPD), wobei die Vokabeln Vertrauen, Zusammenhalt und Integration etwas überstrapaziert werden könnten. In der gegenwärtigen Notstandsregierung aus Kanzleramt und Ministerpräsidenten findet die Mitte-Drift ihr getreues Abbild. Und letztlich soll auch bei der Bundestagswahl am 26. September nur die jetzige große Koalition durch die nächste abgelöst werden. Wenn stets die beiden stärksten Parteien koalieren, bleibt für den Rest wenig Spielraum.

Mit Ausnahme der FDP sind ja sowieso alle Oppositionsparteien bloße Korrektivparteien: Die Linke wurde 2007 als Korrektiv der Mitte-SPD gegründet, die AfD entstand 2013 als Korrektiv der Mitte-Union und derzeit entstehen vielerorts „Klimaparteien“ als Korrektiv der Mitte-Grünen. Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am 14. März treten erstmals die aus der Fridays-for-future-Bewegung hervorgegangenen Klimalisten in Konkurrenz zu den Grünen an. Nimmt man die bisherigen Kommunalwahl-Ergebnisse der neuen Partei als Maßstab, könnte sie den Grünen drei oder vier Prozent abknöpfen. Mit der Folge, dass die Mitte-Parteien noch stärker zur Mitte streben. Die schöne These von der notwendigen Polarisierung und der erforderlichen Unterscheidbarkeit der Volksparteien, die vor der Pandemie geradezu leidenschaftlich verfochten wurde, ist damit erledigt. Wäre man Zyniker, könnte man sagen: Für die Regierenden ist Corona ein wahrer Segen. Jeden Tag im TV, kaum Gegenwind von Presse und Opposition. Möge die Pandemie durchhalten bis zur Bundestagswahl!

Laschet oder Söder?

Auch auf Länderebene sieht es so aus, als könnten die Regierungskoalitionen in Baden-Württemberg (grün-schwarz) und Rheinland-Pfalz (rot-gelb-grün) den Wahltag unbeschadet überleben. Sowohl der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann als auch die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Malu Dreyer genießen hohe Popularitätswerte. Ein Indiz für die Beantwortung der beliebten Rätselfrage „Wer wird denn Kanzlerkandidat der Union?“ könnte aber das Abschneiden der CDU liefern. Bleibt sie mit ihrem neuen Groß-Integrator Laschet blass, dürfte der Bittgang nach München nicht lange auf sich warten lassen. Schafft es die CDU aber, in Baden-Württemberg vor den Grünen zu landen und in Rheinland-Pfalz einen Regierungswechsel zu Schwarz-Grün oder Jamaika herbeizuführen, müsste die CDU ihren Erfolg mit einer eigenen Kanzlerkandidatur krönen. Eine Abtretung an Markus Söder würde ihr sonst als Schwäche ausgelegt. Ob Jens Spahn aufgrund seiner undurchsichtigen Haltung im „Team Laschet“ noch Chancen hat, hängt von seiner Performance als Minister ab. Dass er zu „Deutschlands beliebtestem Politiker“ aufsteigen konnte, bestätigt eigentlich nur den Stellenwert ständiger Medienpräsenz. Auch Karl Theodor zu Guttenberg war mal Deutschlands beliebtester Politiker und sogar Kanzlerkandidat der Herzen. Kurzum: Wenn die CDU im Südwesten zulegt, läuft es auf Laschet hinaus, fällt sie zurück, wird es Söder.

Größtes Handicap für Laschet ist wohl, dass die in der CDU Baden-Württembergs dominierende Anhängerschaft von Friedrich Merz nur wenig Engagement für einen Laschet-Unterstützungswahlkampf aufbringen dürfte. Außerdem ist die Spitzenkandidatin der CDU, Kultusministerin Susanne Eisenmann, nicht einmal bei den eigenen Leuten sonderlich beliebt, ihre Schulpolitik wird als Desaster empfunden. Es ist deshalb kaum zu erwarten, dass die Grünen von der CDU überholt werden. Es sei denn, die kürzlich gegründete Liste der Klimaaktivisten ist schon so kampagnenfähig, dass sie der konservativen Kretschmann-Partei Schaden zufügen kann. Umfragen sehen Grüne und CDU derzeit gleichauf.

In Rheinland-Pfalz erscheint die Lage komplizierter. Dort könnte Deutschlands einzige Ampelkoalition abgewählt werden. Schwarz-Grün verfügt laut jüngsten Umfragen über eine knappe Mehrheit. Sollte die FDP den Wiedereinzug in den Landtag schaffen, wäre auch Jamaika eine Option. Für Letzteres spricht, dass Vize-Ministerpräsident Volker Wissing, seit September Generalsekretär der Bundes-FDP, dem konservativen Schaumburger FDP-Kreis angehört. Käme es nach Schleswig-Holstein zu einer zweiten Jamaika-Koalition, würde das Parteichef Christian Lindner eine neue Chance eröffnen, die Scharte von 2017 auszuwetzen. Doch die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel tendiert eher nach links. Würde sie Jamaika oder Schwarz-Grün auch nur erwägen, wäre das Wasser auf die Mühlen der Klimaliste Rheinland-Pfalz. Deren junger Spitzenkandidat rechnet fest mit dem Einzug in den Landtag.

Es ist übrigens kein Zufall, dass AfD und Linke in den Planspielen für das Superwahljahr kaum vorkommen. Als Korrektiv-Parteien sind sie zwar vorhanden, können aber wenig Nutzen daraus ziehen, weil der Corona-Konsens der Mitte-Parteien jede Kritik als unangebracht und destruktiv abbürsten kann. Zwar urteilt die Linke messerscharf wie eh und je: „Die CDU wird nicht bereit sein, die Weichen so zu stellen, dass wir gerecht aus der Krise kommen“, aber Sätze wie diese klingen so müde, dass sie kaum noch Wirkung erzeugen. Könnte die Linke bei ihrer Kritik des wirren Pandemie-Managements nicht ebenso hartnäckig auftreten wie Fabio De Masi in den Fällen Wirecard und Cum-Ex? Oder verbietet sich Kritik schon deshalb, weil sie in die Nähe der AfD gerückt werden könnte?

Selbst die SPD-Linke, vor Kurzem noch bereit, aus dem Mitte-Konsens auszuscheren, übt sich heute brav in „konstruktiver Zusammenarbeit“. Kein böses Wort kommt Saskia Esken oder Norbert Walter-Borjans über die Lippen. Nach dem missglückten Ausreißversuch Anfang Januar hat die SPD die „Klugheit“ der Grünen übernommen und setzt nun auf Zusammenhalt und Barmherzigkeit. Insgeheim hofft sie vielleicht auf ein „Weiter so“ mit der Union. Auch Olaf Scholz fremdelt mit allem, was Wahlkampf heißt. Er glaubt, dass die Deutschen seine ruhige hanseatische Wesensart zu schätzen wissen, die gebürtige Hanseatin Merkel hat es ja erfolgreich vorgemacht.

Olaf Scholz’ großes Ziel

Scholz’ großes Ziel ist die Ampelkoalition. Es wäre in der Tat ein Kunststück, die Liberalen, wie 1982, zu einer Wende zu bewegen, diesmal in umgekehrter Richtung. Doch obwohl die ampelerfahrene Malu Dreyer Scholz in seinem Vorhaben bestärkt, gibt es bislang keinerlei Anzeichen für Bewegung bei der FDP. Auch unterliegt Scholz dem typisch sozialdemokratischen Irrtum, die Grünen würden sich in sein Planspiel so bereitwillig einfügen lassen wie vor 20 Jahren. Nein, die Grünen bestimmen inzwischen selbst, welche Koalitionen sie eingehen. Die kleinere SPD hat sich dem zu fügen. Die zweite irrige Annahme von Scholz ist, dass schon die Drohung mit einer rot-rot-grünen Koalition die FDP gefügig machen und zum Eintritt in eine Ampelkoalition zwingen werde. Energische „Bitten“ aus der Wirtschaft würden den nötigen Druck erzeugen. Eine solche Überlegung basiert auf derart vielen Unbekannten, dass es abwegig ist, sie überhaupt ernst zu nehmen. Umfragen weisen für SPD, Grüne und Linke etwa 40 bis 45 Prozent aus, diese Koalition wünschen sich aber lediglich 26 Prozent der Bürger, zu schwach, zu instabil erscheint ihnen die Formation. Der FDP damit zu drohen wäre lächerlich. Die Grünen werden den Teufel tun, sich mit SPD und Linken zum jetzigen Zeitpunkt zu verbünden. Ohne intensive Vorbereitung bleibt R2G auf Bundesebene ein waghalsiges Unterfangen. 2021 wird es keine Rolle spielen.

Also müssen sich die Parteien auf einen „Wahlkampf“ einstellen, den die Union aus einer Position der Stärke führt – ohne viel dafür tun zu müssen. Ideal für Politiker wie Söder oder Laschet. Corona hat ihre Volksparteien noch einmal gerettet.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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