Die Corona-Krise ist ein Glücksfall für die Union. Beim Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap legt sie Anfang April – im Vergleich zu Anfang März – um sieben Prozentpunkte auf 34 Prozent zu (2.4.), bei der Forschungsgruppe Wahlen klettert sie um 9 Prozentpunkte auf 35 Prozent (9.4.), und bei Emnid explodiert die Zustimmung um 13 Prozentpunkte auf nunmehr 37 Prozent (11.4.). Für die CSU allein rückt die absolute Mehrheit wieder in greifbare Nähe. Laut einer Umfrage von Infratest dimap vom 8. April steigern sich die Christsozialen in Bayern im Vergleich zu ihrem Januarwert um phänomenale 13 Prozentpunkte auf 49 Prozent.
Mit solchen Zugewinnen hat die in Berlin regierende Große Koalition erstmals seit 2018 wieder eine Stimmenmehrheit. Erreichten CDU, CSU und SPD im zweiten Halbjahr 2019 gemeinsam noch 40 Prozent, so liegen sie derzeit wieder, wie zu Beginn der Legislaturperiode, bei etwa 54 Prozent. Laut einer YouGov-Umfrage für die Deutsche Presse-Agentur sind zwei Drittel der Deutschen mit dem Krisenmanagement der Regierung zufrieden, Tendenz steigend. Für die Oppositionsparteien Linke, Grüne, FDP und AfD geht es dagegen abwärts.
Drei Gründe sind dafür maßgeblich. Erstens: Krisen sind immer die Stunde der Exekutive. Zweitens: Die Opposition versagt. Und drittens: Viele Medien fungieren als Lautsprecher der Regierung.
In der Krise verlagern sich die Diskussions- und Entscheidungsprozesse in Krisenstäbe und Lagezentren. Dort dominieren oft Experten und Behördenleiter. Das Zivile erhält eine militärische Note. Entscheidend ist, was nach außen kommuniziert wird. Der „Nationale Pandemieplan“, 2005 verabschiedet, legt deshalb Wert auf eine perfekte „Krisenkommunikationsstrategie“. Sie lautet, kurz zusammengefasst: sich niemals widersprechen. Keine Unsicherheiten aufkommen lassen, keine Vielstimmigkeit erlauben, stets das Gleiche in möglichst kurzen Abständen von den immer gleichen Köpfen verkünden lassen. Die eigene Handlungskompetenz soll herausgestellt werden und „die Kommunikationshoheit in der öffentlichen Meinung“ ist durch widerspruchsfreie, nicht allzu komplizierte Botschaften „zu gewinnen“.
Mangelnde Vorsorge
Die Bundesregierung hat dieses Handlungskonzept geschickt umgesetzt: In der ersten Phase der Corona-Krise hat sie zwei einfache Botschaften gebetsmühlenartig verkündet: erstens: Wir haben schnell gehandelt, und zweitens: Wir sind gut vorbereitet. Beides stimmte nicht, es prägte aber nachhaltig die öffentliche Meinung. Die Botschaften wurden so überzeugend kommuniziert, dass niemand sie hinterfragte – weder die Oppositionsparteien noch die Medien.
In Wirklichkeit hatte die Regierung die Phase eins der Pandemie – die sogenannte Eindämmungsphase – komplett verschlafen. Die Gesundheitsämter konnten die Infektionsketten nicht mehr nachverfolgen. Also trat man brachial auf die Bremse. Diese Überreaktion in Phase zwei – der Erlass von Allgemeinverfügungen mit erheblichen Grundrechtseinschränkungen anstatt von regional angepassten, zielgruppenspezifischen Maßnahmen – war die direkte Folge der Versäumnisse in Phase eins. Verschärfend hinzu kam die mangelnde Vorsorge durch die Innen- und Gesundheitsminister des Bundes und der Länder. Obwohl seit 2004 von den Behörden immer wieder Schreckensszenarien mit Hunderttausenden oder gar Millionen von Toten heraufbeschworen und durchgespielt wurden, nahm man die eigenen Worst-Case-Szenarien nicht ernst. Sowohl der „Nationale Pandemieplan“ als auch die Auswertung der länderübergreifenden Pandemieübung LÜKEX 2007 und die jährlichen Risikoanalysen für den Bundestag äußern sich detailliert zur erforderlichen „Sanitätsmaterial-Bevorratung“. Unternommen wurde nichts. Im Gegenteil. Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen nahmen an der LÜKEX-Übung, die zahlreiche Mängel aufdeckte, nicht teil; Materiallager wurden aufgelöst oder nicht entsprechend den Empfehlungen der zuständigen Bund-Länder-Arbeitsgruppen, der Risikoanalysten, des Robert-Koch-Instituts oder des Bundesamts für Bevölkerungsschutz befüllt. Die in Deutschland so leidenschaftlich geführte Diskussion über Nützlichkeit oder Schädlichkeit von Atemschutzmasken hatte deshalb allein den Zweck, die Zeit zu überbrücken, bis man für teures Geld genügend Masken auf dem Weltmarkt zusammengekauft hatte. Damit konnte man die hausgemachten Fehler gnädig zudecken. Das Gleiche gilt für die Desinfektionsmittel. Mit einer absurden Debatte über angebliche Hamsterkäufe sollte von der mangelnden Vorsorge für Krankenhäuser, Pflegeheime und Arztpraxen abgelenkt werden.
Die SPD als kleiner Regierungspartner spielte das Spiel von der „guten Vorbereitung“ tapfer mit. Nur: Sie hat nichts davon. In Umfragen kommt sie bestenfalls auf 17 Prozent. Ihre Minister Olaf Scholz, Hubertus Heil und Heiko Maas werden als Ausputzer wahrgenommen, nicht als Macher. Sie verhalten sich auch so. Statt die einmalige Chance zu ergreifen, die Zuschüsse, Kredite, Bürgschaften und Staatsbeteiligungen an klare Umweltauflagen zu knüpfen und so die große Transformation im Sinne eines „Green New Deal“ zu starten, verbraten sie die Hilfsgelder in Höhe von 1,2 Billionen Euro für strukturkonservative Erhaltungsmaßnahmen. Damit nach der Krise alles so weiterlaufen kann wie bisher. Dass die Umweltministerin nicht zu den Mitgliedern des „Corona-Kabinetts“ zählt, ist jedenfalls kein Zufall. Die Regierungs-SPD will aus der Finanzkrise nicht lernen.
Doch auch die Opposition versagt. Eingebunden in Krisenstäbe und Lagezentren – und damit kaltgestellt – lobt sie den Burgfrieden, den man ihr anbietet. „Jetzt ist nicht die Zeit zurückzuschauen und Schuld zuzuweisen, sondern nach vorn zu sehen – gemeinsam.“ Das sagte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck Mitte März. Bei der „feierlichen“ Bundestagssitzung am 25. März zur Verabschiedung des Nachtragshaushalts über 156 Milliarden Euro überboten sich die Oppositionspolitiker geradezu mit Ergebenheitsadressen. Statt Alternativen aufzuzeigen, sehnte man sich nach einer neuen Volksgemeinschaftsmoral. Alexander Gauland (AfD): „Zusammenstehen ist jetzt erste Bürgerpflicht.“ Christian Lindner (FDP): „Regierung und Opposition tragen in diesen Zeiten eine gemeinsame staatspolitische Verantwortung.“ Katrin Göring-Eckardt (Grüne): „In dieser Zeit steht Kooperation vor Konkurrenz“. Selbst die Linke wähnte sich aufgrund der Aussetzung der Schuldenbremse im Glück und baute fleißig an linken Wolkenkuckucksheimen: Deutschland, so die Hoffnung, werde nach der Krise ein wohlwollender Versorgungs- und Umverteilungsstaat sein, der alle Ungleichheiten einebnet.
Systemjournalismus
Fundierte Kritik an der Regierung kommt freilich auch deshalb nicht auf, weil Katastrophen-, Zivil- und Gesundheitsschutz vorrangig Sache der Länder und der Kommunen ist. Dort stehen auch Grüne, Linke und Liberale in der Verantwortung. Sie müssten sich daher selbst wegen Unterlassung anklagen, also schweigen sie lieber.
Überdies ist die Bundesregierung in der beneidenswerten Lage, auch heikle Maßnahmen nahezu widerstandslos durchboxen zu können. Fast alle Oppositionsparteien leiden unter einer akuten Führungsschwäche, die Regierungsparteien SPD und CDU sind praktisch führungslos. So erscheint Markus Söder vielen Medien als starker Mann, weil er der einzige Spitzenpolitiker ist, der in der Corona-Krise Parteiführung und exekutive Macht auf sich vereinen kann.
Dies führt selbst bei gestandenen Journalisten zu einem backfischhaften Anhimmeln. Söder, fragt Die Zeit voller Demut, „Wird er der Corona-Kanzler?“; „Wer Krise kann, kann auch Kanzler“, jubelt die FAZ. Vom „harten entscheidungsfreudigen Macher“ schwärmt das Manager-Magazin und die Neue Zürcher Zeitung geht vor Bewunderung in die Knie: „Er ist der Sheriff, der für Ordnung in der Republik sorgt.“ Selbst ein Vergleich mit Churchill ist dem Blatt nicht zu doof.
Der Zürcher Medienwissenschaftler Otfried Jarren, eigentlich ein nüchterner Beobachter, ist von dieser „Hofberichterstattung“ derart angewidert, dass er sich dazu hinreißen lässt, von „Systemjournalismus“ zu sprechen. Vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen inszeniere Bedrohung und exekutive Macht wie ein Regierungsapparat. „Die Chefredakteure haben abgedankt.“ Die Krisenstrategie der Regierung werde weitgehend kritiklos transportiert.
Nicht ganz so bitter, aber ähnlich fassungslos analysiert der Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller „die Corona-Krise und die Medien“. Da kämpfen „unsere Helden“ ein wenig zu oft „an der Front“, da gibt es viele „regierungskonforme Durchhalteparolen“ und übermäßig viel Ratgeberjournalismus („15 Strategien gegen die Langeweile“, „Wie bastle ich mir einen Mundschutz?“). Kritik an der Regierung wird an den Rand gedrängt. „In großer Einstimmigkeit“, so Haller, stärken die „Mainstreammedien“ die „mit Moralismus verbrämte Shutdown-Strategie der Bundesregierung, allen voran die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen.“ In den monothematisch ausgerichteten Talkshows sitzen praktisch nur noch Regierungsvertreter oder deren Experten.
Die Corona-Krise zeigt in großartiger Verdichtung, wie unglaublich harmlos die Opposition agiert und wie unkritisch Medien Politik „begleiten“. Die Krise legt offen, dass wir uns auf dem Weg in die nächste Große Koalition befinden, in eine Koalition aus vier oder fünf ganz ähnlich tickenden Staatsparteien. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die nächste Regierung eine Kenia-Koalition oder eine Allparteien-Regierung unter Ausschluss der AfD und der Linken sein wird. Wie sonst will man der Bevölkerung die Maßnahmen schmackhaft machen, die zum Abbau der immensen Corona-Schulden nötig sind. Medial wird Angela Merkels fünfte Amtszeit ja bereits vorbereitet. Als alternative Drohung verweist der Münchner Focus auf „Deutschlands beliebtesten Politiker“: Markus Söder.
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