Wenn Millionäre fragen

TV-Duell Das Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ fiel erst nach einer Stunde. Da waren zwei Drittel des Kanzlerduells schon vorbei. Kein Wunder
Ausgabe 36/2017
Vier Moderatoren, die allesamt mehr verdienen als die beiden Politiker im Hintergrund
Vier Moderatoren, die allesamt mehr verdienen als die beiden Politiker im Hintergrund

Foto: Herby Sachs/WDR/ARD via Getty Images

Das Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ fiel erst um 21:13 Uhr. Da waren zwei Drittel des Kanzlerduells schon vorbei. Sandra Maischberger wandte sich Martin Schulz zu: „Deutschland boomt“, sagte sie, „es gibt ein Wirtschaftswachstum, das sich gewaschen hat ..., und doch sagen Sie, es geht ein tiefer Riss durch unsere Gesellschaft. Leben Sie vielleicht in einem anderen Land, mit anderen Nachbarn?“

Wäre Martin Schulz schlagfertig gewesen, hätte er diese unverschämte Frage sofort auf die vier Moderatoren zurückschnellen lassen: Ob nicht sie es seien, die hier in einer sozialen Filterblase lebten, in einem Wohlstands-Märchenland mit schicken Villen und Gärten und bestens beleumundeten Nachbarn? Denn es fragten ja keine normalen Journalisten, sondern saturierte Millionäre, die mit Armen, Arbeitslosen, prekär Beschäftigten, Alleinerziehenden oder Flüchtlingen kaum in Berührung kommen dürften. Sie profitierten als gut ausgebildete Kinder der 1960er Jahre vom Aufstieg eines Landes, in dem sie – gleich der Kanzlerin – „gut und gerne leben“.

Peter Kloeppel, 58, Chefmoderator von RTL aktuell, kann es sich leisten, nach zehnjähriger Chefredakteurstätigkeit beruflich kürzer zu treten. Bei einem Verdienst von annähernd einer Million Euro muss er sich um eventuelle Rentenabschläge nach Einführung der Rente mit 70 wenig Sorgen machen.

Auch Maybrit Illner, 52, Veteranin im Medienzirkus der „Kanzlerduelle“, dürfte keine Probleme haben, einen Arzttermin bei den besten Spezialisten zu bekommen oder den Kaufpreis für das Innenstadt-Penthouse bezahlen zu können. Liiert mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Telekom wird sich ihr Kontakt zu den 20 Prozent Armutsgefährdeten auf Wohltätigkeitsgalas beschränken.

Sandra Maischberger, 51, produziert als geschäftsführende Gesellschafterin der Vincent TV GmbH ihre eigenen Talksendungen mit. Die ARD bezahlt dafür hohe Gagen, das durften schon die Fragesteller Günther Jauch und Anne Will erfahren. Kita-, Schul- oder Studiengebühren für ihr Kind werden Frau Maischberger also keine schlaflosen Nächte bereiten.

Claus Strunz, 50, ehedem Chefredakteur der Bild am Sonntag, ist Programm-Geschäftsführer der Maz+More TV Produktion, die für ProSieben/Sat1 das Frühstücksfernsehen bereitstellt. Dazu ist er Geschäftsführer des Bereichs TV + Videoproduktion des Axel Springer Verlags. Rücklagen für später anfallende Pflegekosten oder Ausgaben für die studierenden Töchter wird er sich kaum vom Mund absparen müssen.

Alle vier sind erfolgreiche Unternehmer in eigener Sache. Das ist auch gar nicht zu kritisieren. Bei ihren Vorgängern Stefan Raab und Anne Will war es 2013 nicht anders. Aber fragen wird man schon dürfen, ob es thematisch nicht zu extremen Verzerrungen kommt, wenn sich die Fragesteller biographisch kaum unterscheiden, wenn sie alle den gleichen sozialen Status und das gleiche Alter aufweisen und mehr verdienen als Kanzlerin und Herausforderer zusammen.

Dass die vier Millionärsfrager wenig Interesse zeigten, ein „Randthema“ wie soziale Gerechtigkeit zu vertiefen, versteht sich von selbst. Es dauerte nur wenige Minuten, dann wechselten sie zu Diesel und Maut.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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