Die Meise hält sich bedeckt

Tiere Auch Katzen haben Liebeskummer, und Vögel können sprechen. Leider nicht mit uns Menschen
Ausgabe 12/2016

Es ist kompliziert, in einer Zeit zu leben, in der Ideologien als überwunden gelten. Im postideologischen Zeitalter dominieren aufgeklärte, vernünftige Wesen. Diese erweisen sich als furchtbar langweilig. Dazwischen erscheinen hin und wieder einzelne Durchgeknallte auf dem Parkett, Amokläufer, Fanatiker oder Fantasten. Auch keine verlockende Alternative. Eine ganz und gar vernünftige, aufgeklärte Welt – hin und wieder aufgeschreckt durch Attentate irrer Terroristen – wäre trostlos. Da erschiene ja selbst der eigene Tod als Lichtblick, als einzige wirklich überraschende Unbekannte auf einem Lebensweg öder Vernunft.

Genau hier kommt die Natur ins Spiel. Ihre Grotesken zu entdecken und deren Sinn zu enträtseln, obliegt der Wissenschaft. Politik und Religion haben in den vergangenen Jahren stark an Glaubwürdigkeit verloren, die Wissenschaft dagegen wird, trotz mancher Zweifel, grundsätzlich akzeptiert. In der Vergangenheit wurden die Grenzen zwischen dem Menschen und dem Rest der Natur stark betont, die Unterschiede herausgestellt. Gutes galt als menschlich, Schlechtes als tierisch.

Heute wird der Blick eher auf die Ähnlichkeiten gelenkt. Können Katzen Liebeskummer haben? Fühlen Bäume Schmerz wie wir? Und neuerdings: Können Vögel sich in sinnvollen Sätzen unterhalten, ungefähr so wie Menschen? Wissenschaftler von der Graduate University for Advanced Studies im japanischen Kamiyamaguchi behaupten, den Beweis dafür gefunden zu haben. Was wäre mit diesem Befund anzufangen?

Gerade Politiker unterliegen öfter der Versuchung, mit Weisheiten der Natur ihren lädierten Ruf aufzumöbeln. Der sächsische CDU-Abgeordnete Marian Wendt etwa unternahm einmal den Versuch, seine Ablehnung der „Homo-Ehe“ mit einem Vogel-Fisch-Gleichnis zu erklären. Das hörte sich so an: „Der Fisch kann nicht fliegen, der Vogel nicht schwimmen.“ Es scheint mir sinnlos, diesem Herrn Listen von Vogelarten zuzusenden, die sehr gut schwimmen können, jedoch überhaupt nicht oder nur sehr ungelenk fliegen. Etwa die Pinguine und viele nordatlantische Vertreter der Vogelfamilie Alcidae. Oder das isländische Odinshühnchen, bei dem das Weibchen balzt, während das Männchen brütet und die Jungen allein aufzieht. In völkisch-normativen Denkstrukturen kann ein solches Geschöpf doch eigentlich nur als vom Genderwahnsinn infiziert, also als verhaltensgestört gelten. Sein Gesang wird wie folgt niedergeschrieben: „Wit wit wit, prip prip, prip“. Rätselhafte Botschaft.

Was nun die aktuelle Erforschung des Vogelgesangs angeht: Es ist eine Meisenart, die das Kommunizieren in einer eigenen Art von Syntax beherrsche, sagen die Wissenschaftler aus Japan – und zwar die Japanmeise (parus major). Die Intelligenz der Meisen ist Legende. Aus dem Ende des 10. Jahrhunderts stammt das isländische Gedicht Fáfnismál, die Vogelweissagung. In dem mittelalterlichen Heldenlied brät Siegfried das Herz des Drachens. Als ihm beim Probieren das Drachenblut auf die Zunge kommt, da versteht er plötzlich die Vogelsprache, heißt es da. Es sind sieben Meisen, die den Drachentöter vor seinen zukünftigen Feinden warnen.

Haben reale Meisen das Potenzial, den Menschen zu warnen? Laut Professor Toshitaka Suzuki aus Kamiyamaguchi setzt die Japanmeise ihre komplexen Gesangsmuster ausschließlich dafür ein, mit ihren Artgenossen zu kommunizieren. Schade. Sie ignorieren uns einfach, wir interessieren sie kein bisschen.

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