Bürger und Kommunalpolitiker sind immer häufiger enttäuscht von den Unternehmen, die nach einer Privatisierung die Müllabfuhr, den Busverkehr, die Energie- oder Wasserversorgung übernommen haben. Statt es besser zu machen als einst der öffentliche Betrieb, wurde es häufig teurer. Überall in Deutschland stehen Städte und Gemeinden vor einer ähnlichen Entscheidung. „Insbesondere die Energieversorgung wird immer häufiger durch bestehende oder neu gegründete Stadtwerke übernommen“, erklärt Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik. Er sieht dafür neben dem ökonomischen Interesse auch ein gewachsenes Bewusstsein dafür, dass Leistungen der Daseinsvorsorge von der öffentlichen Hand erbracht werden sollten. Seit 2007 wurden 60 Stadtwerke neu gegründet und 170 Konzessionen wieder von der öffentlichen Hand übernommen.
Einer Studie der Beratungsgesellschaft KPMG zufolge prüft ein Drittel der Kommunen den Rückkauf der Energieversorgung. Viele der in den neunziger Jahren abgeschlossenen Konzessionsverträge für Stromlieferanten sind ausgelaufen oder stehen davor. Diese Gelegenheit nutzen die Stadtwerke zur Übernahme der Elektrizitätsbetriebe. Umfragen zeigen regelmäßig eine wachsende Skepsis gegenüber privaten Firmen, die öffentliche Leistungen erbringen. Einige Kommunen reagieren darauf mit weiteren Rückkäufen:
Bergkamen
Die rund 50.000 Einwohner zählende Stadt Bergkamen in Nordrhein-Westfalen war mit der Müllabfuhr unzufrieden. 2006 lief der Vertrag mit einem privaten Entsorgungsunternehmen aus. Daraufhin gründete die Kommune den Entsorgungsbetrieb Bergkamen (EBB) und holte den Abfall wieder selbst bei den Haushalten ab. Rund 1,6 Millionen Euro investierte Bürgermeister Roland Schäfer in Abfallbehälter und Sammelfahrzeuge, konnte aber mit den Gebühren trotzdem schnell heruntergehen. 202,20 Euro kostete die 120-Liter-Tonne beim privaten Entsorger, 190,20 nahm Schäfer. „Anstelle von Shareholder-Value geht es bei uns um Citizen-Value“, stellte der damalige Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes fest.
Seither sind die Gebühren inflationsbedingt zwar wieder angestiegen. Doch noch immer ist die Müllabfuhr in Bergkamen günstiger als in fast allen Kommunen der Region. Bei der Biotonne liegt der Entsorgungspreis heute bei 103,20 Euro. Vor der Rekommunalisierung wurden dafür 130 Euro veranschlagt. Schon in den neunziger Jahren war Schäfer zur Einsicht gelangt, dass sich Eigenbetriebe lohnen können. Damals gründete er ein Stadtwerk und kaufte das Stromnetz.
Berlin
Am 3. November steht eine wegweisende Entscheidung an. Dann stimmen die Berliner über einen Volksentscheid ab, den eine Initiative vieler Bürger und Organisationen durchgesetzt hat. Der Berliner Energietisch will den Senat per Gesetz dazu zwingen, dem Stromriesen Vattenfall das Netz wegzunehmen und Stadtwerke zu gründen. Fast 230.000 Unterschriften brachte die Initiative für das Vorhaben zusammen, weit mehr als nötig waren. Das künftige Stadtwerk soll den Strom nach einer Übergangszeit zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugen und sozial wirtschaften, um Versorgungsengpässe in der Hauptstadt auszuschließen. Außerdem sieht der Gesetzentwurf eine weitgehende Transparenz der Geschäftspolitik des Versorgers vor.
Der Senat kontert das Volksbegehren mit einem eigenen Gesetzentwurf. Dieser sieht vor, ein landeseigenes Energieunternehmen zu gründen, das erneuerbare Energien produziert und vertreibt. Das Netz will die Koalition aus CDU und SPD nicht rekommunalisieren. Nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung des Energietisches sieht sich die Initiative BürgerEnergie Berlin. Sie will als Genossenschaft das Stromnetz der Hauptstadt übernehmen, wenn der Konzessionsvertrag der Stadt mit Vattenfall 2014 ausläuft.
Hamburg
Die Wähler der Hansestadt dürfen am 22. September, dem Tag der Bundestagswahl, ein Kreuzchen mehr machen. Denn es steht ein Volksentscheid der Initiative „Unser Hamburg, unser Netz“ an. Stimmen mehr als 500.000 Hamburger dafür, muss sich der Senat um die Konzessionen für das Energie-, Gas- und Fernwärmenetz bewerben. Die bisherigen Netzbetreiber Vattenfall und E.on sollen aus dem Geschäft gedrängt werden, wenn deren Verträge Ende nächsten Jahres auslaufen. Seit 2012 hält der Stadtstaat 25,1 Prozent der Anteile. Dies sei zu wenig, um auf die Geschäftspolitik Einfluss zu nehmen, meinen Kritiker und fordern die komplette Übernahme.
Der Erste Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD), lehnt das Ansinnen ab. Die Stadt habe kein Geld dafür übrig. Der Senat rechnet mit Kosten von etwa zwei Milliarden Euro. Auch CDU und FDP sind dagegen, die Grünen und die Linke dafür. Die Befürworter sehen kein Finanzierungsproblem. Das Geld könne über einen Kommunalkredit aufgebracht werden, der aus den Netzentgelten von derzeit jährlich 470 Millionen Euro getilgt werden soll. Den beiden aktuellen Betreibern wirft die Initative den Einsatz von klimaschädlichen Kraftwerken und Atommeilern vor. Mit der Netzübernahme soll die ökologische Energiewende forciert werden.
Paris
Der Ärger über private Versorger nimmt auch in anderen Ländern zu. So verzeichnet Frankreich eine kleine Rekommunalisierungswelle in der Wasserwirtschaft. Im Gegensatz zu Deutschland sind im Nachbarland traditionell Privatfirmen für die Verteilung des Wassers zuständig. Den Markt haben sich weitgehend wenige Konzerne, darunter Veolia und Suez, geteilt, auch den in der Hauptstadt Paris. Ständig steigende Wasserpreise wollte die Stadt nicht mehr hinnehmen. Von Mitte der achtziger Jahre bis 2009 stiegen die Gebühren um 260 Prozent. Dann nahm die Stadt Paris die Versorgung unter öffentliche Kontrolle. Die Preise konnten bereits im Jahr darauf um elf Prozent gesenkt werden.
Mittlerweile organisieren auch die Pariser Umlandgemeinden ihre Wasserversorgung zunehmend über öffentliche Betriebe. Andere große Städte in Frankreich haben die Vorzüge der kommunalen Selbstversorgung ebenfalls erkannt. Grenoble dient allen als Beispiel. Die Stadt hat den Vertrag mit einem Privatunternehmen 1999 als Erste aufgelöst. Nachdem verschiedene Studien vernachlässigte und für den Steuerzahler teure Netze nachwiesen, gerieten Politik und Konzerne unter Druck. Zwar wollen sich bei Weitem nicht alle Städte und Gemeinden von den Privaten trennen, doch müssen diese inzwischen deutliche Zugeständnisse bei den Preisen machen.
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