Rückblende: Im Sommer 2013 wurden die ersten Snowden-Dokumente veröffentlicht. Sie sorgten für weltweites Aufsehen und lieferten den Sozialdemokraten im damaligen Bundestagswahlkampf explosive Wahlkampfmunition. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und sein Adlatus Thomas Oppermann spielten sich zu beinharten Verteidigern der Grundrechte auf. Hellsichtig erkannte Gabriel in den Spähaktivitäten der NSA „einen Angriff auf unsere Verfassung“.
Vergangene Woche nun stellte die Bundestagsfraktion der SPD den Entwurf für die Reform des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BND) vor. Die SPD ist der Meinung, das Gesetz trage ihre Handschrift. Stolz verkündete ihr innenpolitischer Sprecher Burkhard Lischka, dass Deutschland mit diesem Gesetz
Gesetz „international neue Maßstäbe“ setze.Der Gesetzentwurf weise den Auslandsgeheimdienst in seine Schranken, behauptete Lischka. Die Bürger in Europa würden nun vor Schnüffeleien besser geschützt. Die SPD wollte offenbar die Botschaft übermitteln: Versprochen – und gehalten!Aber hat die SPD wirklich geliefert? Oder nur nicht bemerkt, dass Ex-Innenminister Wolfgang Schäuble, Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und Kollegen ihr die Hand geführt haben? In der Öffentlichkeit hat das geplante BND-Gesetz harsche Kritik erfahren. „Der Gesetzentwurf ist ein absolutes Debakel“, meint der Beirat der Frankfurter DE-CIX-Management – dem Netzknoten mit dem größten Datendurchsatz weltweit. Die Digitale Gesellschaft spricht von einem „Dokument der Ufer- und Maßlosigkeit“. „Reporter ohne Grenzen“ sieht einen „Angriff auf die Informations- und Pressefreiheit“. Die Grünen warnen, dass der „BND offiziell zur Massenüberwachungsmaschine wird“.Ist diese Kritik berechtigt? Oder haben die Gesetzesautoren den ernsthaften Versuch unternommen, den Auslandsgeheimdienst BND an die Leine zu legen? Die Antwort ist eindeutig. Die Kritik trifft ins Schwarze. Der Entwurf ist eine Kümmernis. Im Kern läuft er darauf hinaus, die bisherige Ausspähpraxis fortzuschreiben und sogar noch auszuweiten – diesmal mit dem Segen des Gesetzgebers. Kurz: Der Nachrichtendienst wird von der Leine gelassen.Der Fehler liegt in der Genese des Gesetzentwurfs. Er verdankt seine Entstehung nicht etwa dem Willen der Regierungsfraktionen, die Ausspähtätigkeit des BND gesetzlich einzugrenzen. In Wahrheit ging es um die Notwendigkeit, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen für die sogenannte „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND“. Hinter diesem Begriff versteckt sich die Überwachung der Telekommunikation von Ausländern im Ausland – aber, so das Gesetz, „mit technischen Mitteln vom Inland aus“. In der Vergangenheit hatten sich BND und Kanzleramt mit abenteuerlichen Rechtskonstruktionen auf den Standpunkt gestellt, für diese Art der Überwachung sei gar kein Gesetz erforderlich.Vogelfrei im WeltraumFlankiert wurde diese Rechtsauffassung von zwei abenteuerlichen Theorien. Zum einen die „Weltraumtheorie“, nach der Datenverkehr im Weltraum „vogelfrei“ sein soll. Zum anderen die „Funktionsträgertheorie“. Nach ihr sind Ausländer, die bestimmte Funktionen einnehmen, eben wegen dieser Funktionen keine Grundrechtsträger. Das juristische Niveau dieser Rechtfertigung entspricht dem minderbegabter Jurastudenten nach einer durchzechten Silvesternacht.Nach dem Auftritt des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier vor dem NSA-Untersuchungsausschuss war mit solchen Geistesblitzen Schluss. Papier und andere namhafte Staatsrechtler hatten der Regierung die rote Karte gezeigt. Damit war die ausdrückliche gesetzliche Regelung des Aufgabenfelds unvermeidbar. Leider wurde sie nun nicht genutzt, um einen einwandfreien Entwurf zu fertigen.Es gibt den sogenannten verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Danach muss eine gesetzliche Grundlage mit hinreichender Deutlichkeit aufzeigen, in welchen Bereichen Daten von Bürgern erhoben und verarbeitet werden dürfen – und in welchen nicht.Das Kanzleramt rühmt sich in der Begründung für das BND-Gesetz, dass man eine solche gesetzliche Grundlage „klar abgesteckt“ habe. Der Gesetzeswortlaut allerdings straft diese Selbsteinschätzung Lügen. Danach darf eine Datenerhebung etwa erfolgen, wenn sie zur Gewinnung von „sonstigen Erkenntnissen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ dient. Zudem müsse sie im Einklang mit dem sogenannten Auftragsprofil der Regierung stehen. Es liegt auf der Hand, dass diese Erfordernisse keine rechtsstaatlich sinnvollen Begrenzungen schaffen. Letztlich lässt sich mit diesen Formeln beinahe jede Überwachungsmaßnahme rechtfertigen.Es ist auch nicht der Gesetzgeber, der konkretisiert, in welchen Bereichen der BND seine Ausspähmaßnahmen vornehmen darf. Die Exekutive selbst legt es fest – indem sie ein Auftragsprofil verfasst. Das ist nichts anderes als eine Blankettermächtigung. Mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz, nach dem die wesentlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber obliegen, ist sie unvereinbar.Bisher war es dem BND nur gestattet, einzelne Leitungen abzuhören, zum Beispiel eine Glasfaser der Telekom zwischen New York und Paris. Höchstens 20 Prozent der Übertragungskapazität einer solchen Leitung durften überwacht werden. Diese Grenzen sollen nunmehr fallen. Demnach dürfte der BND zukünftig ganze Telekommunikationsnetze abhören.Das Gesetz führt zu einem Dreiklassensystem für Abhörmaßnahmen: Es unterscheidet zwischen Deutschen, EU-Ausländern und sonstigen Ausländern. So ist das Erheben von Daten aus Telekommunikationsverkehren deutscher Staatsangehöriger unzulässig. Bei EU-Ausländern und EU-Institutionen hingegen ist es unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Werden sonstige Ausländer überwacht, ist sicherzustellen, dass die Datenerhebung „im Einklang mit den außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ steht.Würde dies Gesetz – wie vorgesehen Anfang des Jahres –, dann würden Eingriffsbefugnisse nach der Herkunft der Kommunzierenden entschieden. Das ist sowohl rechtlich als auch praktisch bedenklich. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu einem Menschenrecht erklärt – das bedeutet, dieses Recht ist nicht an die deutsche Staatsangehörigkeit gekoppelt. Rätselhaft ist auch, wie die Differenzierungen zwischen In- und Ausländern mit dem Diskriminierungsverbot in der europäischen Menschenrechtskonvention und den europäischen Verträgen in Einklang zu bringen sind.Und wie will es der BND technisch bewerkstelligen, beim Abfischen der Daten aus den internationalen Kabelleitungen zwischen der staatsbürgerlichen Herkunft der jeweiligen Telekommunikationsteilnehmer zu unterscheiden?Die eigentliche Pointe des Gesetzentwurfs freilich ist, dass er den Empörungssatz der Kanzlerin einkassiert: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“, hatte Angela Merkel gesagt, unter größtmöglicher Zustimmung aller Seiten. Der Gesetzentwurf aber stellt dem Auslandsnachrichtendienst den Freibrief dafür aus, auch „Freunde“ auszuspionieren. Selbst ein wirtschaftlich motiviertes Ausspähen wäre zulässig. Nur ein Ausforschen, das ausschließlich auf die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen abzielt, ist untersagt.Auch mit der Schaffung eines weiteren Kontrollgremiums – neben den drei bereits bestehenden – schafft das geplante Gesetz keine verbesserte Kontrollsituation. Im Gegenteil, es drohen Kompetenzstreitigkeiten. Die Hypertrophie der Aufsichten lädt dazu ein, die verschiedenen Kontrollgremien gegeneinander auszuspielen.Wer Mitglied wird, entscheidet gar nicht das Parlament, sondern allein die Bundesregierung. Mit anderen Worten: Der zu Kontrollierende entscheidet über seinen Kontrolleur. Da muss die Regierung ihre Kontrolleure nicht fürchten. In den parlamentarischen Kontrollgremien haben die Regierungsfraktionen eine verlässliche Mehrheit – und bei dem neuen Gremium entscheidet sie, wer berufen wird. Damit bleibt die Kontrolle das, was sie bislang schon war: ein makabrer Witz.Die Bundesregierung will mit dem Entwurf zum BND-Gesetz den Eindruck erwecken, sie schaffe die verfassungsrechtlich notwendige Rechtsgrundlage. Sie macht jedoch genau das Gegenteil. Mit dem Schein des Rechts betrügt sie das Recht.Placeholder authorbio-1