Bedingungsloses Grundeinkommen macht unfrei

Menschenwürde und BGE - Über Individualismus und Bedingungslose Grundeinkommen als würdeloses Schuldverhältnis zum Staat und den steuerzahlenden Mitmenschen

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Einwände gegen Rainer Lathers Lebenslaufbegründung des Bedingungslosen Grundeinkommens–von wolfgang.ratzel@t-online.de (Rainers Text kann angefordert werden)

Berlin, den 2. August 2016

Rainer sagt: „Wir sind hoffnungslos individualisierte Menschen und halten diesen Zustand für die >natürliche Konstitution< schlechthin. Wir gehen davon aus, dass alle Menschen mehr oder weniger, genau wie wir selbst, auf sich bezogene Lebensbesitzer sind, die >ihr< Leben möglichst frei gestalten wollen.“

Rainers Plädoyer für das Bedingungslose Grundeinkommen gründet sich auf eine Kritik dieses Individualismus, d.h. auf das Selbstbild des Menschen, ein Individuum, ein unteilbares Einzelnes zu sein.

Die „natürliche Konstitution“ der Menschen sei aber, dass sie sich als „menschliche Teile einer Gemeinschaft“, als „Gemeinschaften nichtindividualisierter Menschen“ verstehen, als „Lebensteilnehmer“, die sich allesamt –ob als Kind, Erwachsener oder Alter- am „lebenserhaltenden Machen“ beteiligen. Ein Ausstoß aus dieser Gemeinschaft sei einem Todesurteil, der individuelle Ausbruch einem Selbstmord gleichgekommen.

In der Zivilisationsgeschichte, vor allem in der Aufklärung, hätten sich die Menschen „herausindividualisiert“. Ein weltumspannender Kapitalismus und eine damit einhergehende materielle und psychische Verelendung seien Folgen dieser „malignen Individualisierung“.

Mit „maligne“ verwendet Rainer einen Begriff der Medizin, der einen Krankheitsverlauf bezeichnet, der fortschreitend zerstörerisch wirkt. Ein Tumor wird als maligne bezeichnet, wenn er als Krebs „bösartig“ wirkt und zum Tod führen kann, weshalb er herausgeschnitten oder seinen Krebszellen zerstört werden müssen.

Den Ausweg sieht Rainer in „Handlungsmöglichkeiten, die mich in Lebensgemeinschaft versetzen“. Er mißtraut allen Versuchen, menschliche Gemeinschaften herzustellen, die sich „einerseits auf Befreiung des Individuums, andererseits auf >Verantwortung< für das >Gemeinwesen< berufen.“

Das BGE bedeutet für Rainer die Rückgabe der „Chance auf ein würdeerhaltendes Leben für die große Mehrheit der Bevölkerung“. Das BGE eliminiere schlagartig „die bösartigsten und repressivsten Institutionen“, also die Arbeitslosen-, Hartz-IV- und Sozialhilfeempfängerverwaltungen.

Das BGE biete die Chance, aus der „malignen“ Sozialpolitik –darunter versteht er die „bevormundende, repressive und kurative Belehrung des Menschen“- herauszufinden.

Das BGE überlasse, wenn es „gesamtgesellschaftlich und unbefristet eingeführt wird“ „den Menschen seinem unausrottbaren Bedürfnis nach gutartiger menschlicher Gemeinschaft und Zusammenarbeit“.

Rainers Vorstellung von einer natürlicher Konstitution des Menschen als menschliche Teile einer Gemeinschaft, widerspreche ich wie folgt, auch weil sie in sozial-medizinischen Metaphern daherkommt.

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1. Lob des Individuums

Lebewesen –ob Blaumeisen oder Menschen- werden als Individuen, d.h. als unteilbare Einzelne je-für-sich in je-ihre Welt geboren, die immer auch Mitwelt mit den Anderen ist – bei Menschen als Eltern, Verwandte, Bekannte, Erziehende, Bildende, Helfende.

Die Eltern und Andere leisten kurze oder lange Zeit „Brutpflege“. Irgendwann ist „die Brut“ selbständig. Die Individuen sind also immer schon bei sich und bei den Anderen.

Insbesondere der Mensch kann ohne die Gemeinschaft und Gesellschaft der Mitmenschen nicht (über-)leben.

Diese ursprüngliche Individualität des Menschen ist immer wieder bedroht von Versuchen, die Individuen zu einem Super-Organismus zusammenzufügen:

„Du bist nichts, Dein Volk ist alles!“ (NSDAP) – oder: Du bist nichts, Deine Rasse, Nation oder Klasse, Deine Partei, Dein Unternehmen oder Projekt, Deine Erde, das Universum, Dein Stamm, Clan oder Deine Familie ist alles, ist Dein Superorganismus, in den Du eingefügt bist – auf immer.

Dass ich zusammen mit den Anderen diese meine ursprüngliche Individualität erhalten kann, gehört zu den größten zivilisatorischen Errungenschaften der Menschwerdung.

Niemensch darf meine Individualität wegzwingen, weder durch Erziehung noch durch weltanschauliche Ausrichtung.

2. Worin zeigt sich ein menschenwürdiges und würdevolles Dasein?

2.1 Ein menschenwürdig-würdevolles Dasein zeigt sich als Subsistenz, d.h. in einem aus sich selbst heraus Bestehen-können und Bestehen-wollen

Im Prozess der Evolution wurde der Mensch mit allem begabt, was er zum (Über-)Leben in seiner Welt braucht. Der Mensch wurde –wie andere Lebewesen auch- ein subsistentes Lebewesen. Er kann aus eigener Kraft leben – zusammen mit den Anderen. Das gilt für alle (Re-)Produktionsverhältnisse, frühere, jetzige und künftige.

Würdevoll leben heißt somit für mich, mein Leben und Überleben weitestgehend gemäß meiner Begabung „aus eigener Kraft“, gestützt auf die Anderen, zu besorgen.

„Weitestgehend“ kann im Grenzfall auch bedeuten, nicht oder fast nicht aus eigener Kraft leben zu können. Es geht dann um das wirkliche Wollen, nicht um das Ausmaß des tatsächlichen Könnens.

Eine solche subsistente Lebensweise funktioniert immer nur eingebettet in geschäftslose oder geschäftsmäßige Beziehungen zu je-seiner Mitwelt.

Ein Leben aus eigener Kraft mit den Anderen kann sich vielfältig vollziehen:

- als Selbstversorgung in Verbindung mit dem Tausch überschüssiger Lebensmittel;

- als Lohnarbeit in arbeitsteiligen Geschäftsbeziehungen;

- als freiberufliche oder selbständige Erwerbsarbeit in Geschäftsbeziehungen

- als bezahlte geschäftsmäßige Arbeit in Verbindung mit geschäftsloser Selbstversorgungsarbeit

2.2 Ab-Gabe

Weil das Individuum die Anderen braucht, gibt es –vermittelt durch die staatliche Finanz- und Sozialverwaltung- Teile seines Einkommens zwecks Umverteilung an sie ab.

Weil die Anderen das Individuum brauchen, geben sie ihm Teile ihrer Einkommen ab. Würdevoll leben heißt Ab-Geben an und Empfangen von den Mitmenschen.

2.3 Ein menschenwürdig-würdevolles Dasein zeigt sich darin, die Anderen als Reserve und Hilfe in Not (d.h. als subsiduum) zu sehen

Ein würdevolles Leben lässt sich vom Gesichtspunkt der Subsidiarität leiten - als eine der obersten persönlichen Lebensregeln.

Subsidiär leben besagt, dass ich die Anderen erst dann und nur insoweit in Anspruch nehme, als ich meine Lebensmittel nicht mehr für mich und die Anderen erwirtschaften kann.

Dieses Nicht- oder Nicht-mehr-Können bezieht sich auf Erwerbslosigkeit, Alter, Kindheit und Jugend, Krankheit, Unfallfolgen und andere Schocks. Das Nicht-mehr-für-sich-Sorgen-können vollzieht sich abrupt, schwankend-langsam, vollständig oder teilweise.

Weil ich auch für die Anderen gelebt und gewirtschaftet hat, kann ich erwarten, dass die Anderen für mich sorgen, wenn und insoweit ich nicht mehr aus mir selbst heraus bestehen kann.

Wenn ein Mensch infolge Handicaps nicht aus sich selbst heraus bestehen kann, wird er, weil er Mitmensch ist, von den Anderen ganz oder gemäß dem Grad seiner Beeinträchtigungen getragen.

Auf jedes Individuum muss eine Stelle warten, die weitestgehend der Besonderheit seiner individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten entspricht.

Gibt eine arbeitsteilige Gesellschaft den Individuen keine Möglichkeiten, die Lebensmittel für sich und die Anderen aus eigener Kraft zu erwirtschaften, müssen sie von der Gesellschaft ganz oder teilweise mit Einkommen versorgt werden.

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3. Das Bedingungslose Grundeinkommen als unfreies Schuldverhältnis

Wer eine Geldsumme nimmt, begibt sich in die Schuld des Gläubigers.

Wer ein Grundeinkommen bedingungslos nimmt, begibt sich in die Schuld des Sozialstaats, der die Ab-Gaben der Mitmenschen umverteilt.

Wer als Schuldnerin oder Schuldner in der Schuld von jemand steht, ist unfrei.

Wer ein bedingungsloses Grundeinkommen nimmt, ist unfrei, weil er in der Schuld der Gläubiger, d.h. dem Staat und der Ab-Gebenden, steht.

Die Nehmenden können erst dann frei von Schuld(en) werden, wenn sie ihre Schuld be-zahlen, d.h. ein ausreichendes Einkommen aus Arbeit für sich und die Anderen erzielen.

Wer ein Grundeinkommen bedingungslos nimmt ohne es zurückzugeben, ist unfreier als die Person, die Grundsicherung für Arbeitsuchende nimmt, weil sie durch die Arbeitsuche versucht, das Schuldverhältnis zu beenden.

Die Arbeitsuche beendet zwar nicht das Schuldverhältnis, hebt es aber immerfort auf.

Gerade weil das Bedingungslose Grundeinkommen ein Schuld- und Herrschaftsverhältnis und damit Unfreiheit begründet, wird nach meiner Voraussicht das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden – und zwar von oben als tittytainment, d.h.:

Die Herrschenden werden versuchen, die stellenlosen, arbeitsunwilligen, überforderten oder wegrationalisierten Menschen mit einer Mischung aus betäubender Unterhaltung, ausreichender Ernährung, Unterkunftsmöglichkeiten, Grundkrankenversorgung und freiwilligen Beschäftigungsmöglichkeiten bei Laune zu halten und ruhig zu stellen.

Das wird geschehen bei einem Grundeinkommen, das geradeso zum (Über-)Leben reicht, in Deutschland wären das vielleicht netto 800 Euro pro erwachsene Person für alles (plus vielleicht eine Grund-Krankenversicherung), vielleicht auch weniger.

(Das bedingte Arbeitslosengeld II beläuft sich derzeit für eine Person auf ca. 860 Euro netto und 1030 Euro brutto plus Sonderleistungen; siehe unten).

Das bedingungslose Grundeinkommen kann in menschenwürdig-würdevoller Form nur in Zusammenhängen funktionieren, in denen Menschen die freiwillige Pflicht zur Erwiderung einer Gabe verinnerlicht haben. Diese können geschaffen werden.

Die von der Logik des Werts und der Verwertung beherrschten Menschen der Jetztzeit haben genau das Gegenteil verinnerlicht: Gib so wenig Du kannst und nimm so viel Du kannst! Daran wird jedes summenmäßig-ausreichende BGE scheitern.

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4. Aber wer kann uns hindern, geschäfts- und bedingungslose Zusammenhänge zu schaffen?

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Anlage: Arbeitslosengeld II für 1 Person (Stand: 2016)

Berliner Richtwert Brutto-Kaltmiete 1 Personenhaushalt: 364,50 Euro (50 qm)

Berliner Grenzwert Fernwärme: 93,00 Euro

Grundsicherung-Regelbedarf 1 Person: 404,00 Euro

Summe: 861,50 Euro netto

plus Kranken- und Pflegeversicherungsprämie:

ca. 170 Euro (bei Privatversicherten 2015 bis 288 Euro)

Zusammen minimal ca. 1030,00 Euro brutto

plus zahlreiche Sonderleistungen wie Berlin-Pass, RF-Befreiung, Härtefallleistungen, Betreuungsleistungen, Erstausstattungsleistungen, besondere Bedarfe u.v.m.

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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