Die Qualen der Wahlen u.v.m.

Sammelsurium 9 - Das Wintersemester 2013/14 naht! - Warum kandidierte der Philosoph Marc Jongen für die AfD? - Einladung zur Warlam-Schalamov-Ausstellung

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Autonomes Seminar an der Humboldt-Universität zu Berlin – seit 1998 - Das Autonome Seminar wird ehrenamtlich organisiert und ist offen und entgeltfrei für alle - Verantwortlich und Infos: Wolfgang Ratzel, Tel. 030-42857090

eMail: autonomes.seminar@t-online.de - http://autonomes-seminar-humboldt.webs.com/

Berlin-Pankow, den 30.9.2013

Sammelsurium 9

1. Das Wintersemester 2013/14 naht und mit ihm der 15. Geburtstag des Autonomen Seminars, das erstmals zum Wintersemester 1998/99 unter dem Obertitel „Existenzgesellschaft“ debütierte.

Wir werden die Grundzüge des Wintersemesters am Samstag, 5. Oktober 2013, 20:00 Uhr in Gabis Küche bei Speis und Trank diskutieren, wozu jedefrau und jedermann eingeladen ist. Bitte meldet Euer Kommen aber vorher unter eMail-Adresse: autonomes.seminar@t-online.de an. Eine Zusammenstellung der vorliegenden Vorschläge wird Dir dann zugesandt.

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2. Der Rechenschaftsbericht über das Sommersemester 2013 kann unter eMail-Adresse autonomes.seminar@t-online.de angefordert werden. Er enthält die Zusammenstellung der Themen, TeilnehmerInnenzahlen sowie die Abrechnung der Spenden und Ausgaben.

In Kurzform:

I. Lektürekurs „Die Frage nach dem Nichts“ - 6 Veranstaltungen

Durchschnittliche Zahl der TeilnehmerInnen: 16 Anwesende / mit Entschuldigten: 18 - Höchstzahl: 20 Lesende (Nichts-Schopenhauer) – Minimum: 11 Lesende (Jenseits des Wertdenkens)

II. Begleitende Vorträge, Streit- und Rundgespräche – 7 Veranstaltungen - Durchschnittliche Zahl der TeilnehmerInnen: 15 Anwesende / mit Entschuldigten; 17 TN - Höchstzahl: 20 TN (Nemesis-Project) – Minimum: 11 TN (Kosten-Wahrheit)

III. Übungen Osteopathisches Yoga – 9 Übungen - Durchschnittliche Zahl der Übenden incl. Kirsten: 5 Übende

IV. Spendeneinnahmen (Lektüre und Vorträge) 140,72 Euro minus Ausgaben für Materialien und Werbung 81,10 Euro - Überschuss SoSe 2013: 59,62 Euro - Der Überschuss von 59,62 Euro dient der Finanzierung eines AutS Beamers.

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3. Die Qualen der Wahlen

Der Wahl-Gang ist für mich seit vielen, vielen Jahren schon ein deprimierender Gang: Da hat man als kritischer Kritiker wieder einmal vier Jahre lang nachgedacht und sehnsuchtsvoll nach Hoffnungshorizonten gesucht. Und nun trottet man zur Wahlkabine und starrt auf einen langen Stimmzettel, aus dem einem verzweifelt suchenden Auge Parteinamen entgegenstarren, die allesamt das repräsentieren, was man aus tiefster Seele ablehnt.

Was also tun? Alles durchstreichen oder zum xten Male das wählen, was als kleinstes Übel erscheint - im klaren Wissen, dass diese Art zu wählen dem größten Übel Vorschub leistet, denn wie sagte doch unser Walter B.: „Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe!“ –

Wann aber hört dieses elende „so weiter“ endlich auf? Wann kann mensch endlich KEIN Übel wählen? Wann endlich wird der Bruch mit dem „so weiter“ gewagt?

Anbei als kleiner Trost wenigstens eine Richtigstellung des amtlichen Wahlergebnisses, das allen Alleinregierenden oder Koalierenden die Legitimation entzieht, von einer Mehrheit der Wahlberechtigten gewählt worden zu sein (bitte anfordern!)

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Wahl-Nachlese – Thema: Alternative für Deutschland (AfD)

Erstmals trat eine Partei an, die den Namen „Alternative“ in den Dienst einer nationalkonservativen und wirtschaftsliberalen Propaganda „für Deutschland“ stellte. Bislang taugte „Alternative“ bekanntlich als Hinweis auf linksgrüne Optionen.

Raffinierterweise benutzte die AfD hierzu das zarte Blau und den Schrifttypensatz der VW-Werbung und punktete durch unbequeme Wahrheiten wie „Draghi zockt, ihr zahlt!“ - oder „Volksabstimmungen nach dem Schweizer Vorbild!“ – letztendlich blieb sie unter 5 Prozent.

Erstaunlich aber, was der Philosoph Dr. Marc Jongen, ein Assistent von Peter Soloterdijk an der Hochschule für Gestaltung, an der AfD so faszinierend findet, dass er sich in Karlsruhe als AfD-Kandidat aufstellen ließ und von 5.977 KarlsruherInnen (=4 % der abgegebenen gültigen Erststimmen) gewählt wurde (plus 8.295 AfD-Zweitstimmen = 5,6 %)

Nachfolgend das Interview mit Marc Jongen: »Die Demokratie stirbt einen schleichenden Tod«.

http://www.freiewelt.net/interview/die-demokratie-stirbt-einen-schleichenden-tod-10010577/

FreieWelt.net: Es ist eher selten, dass ein Philosoph wie Sie in die Politik geht. Haben Geistesarbeiter in der Demokratie eine besondere Aufgabe?

Marc Jongen: Noch vor wenigen Jahren hätte ich mir nicht träumen lassen, einmal für den Bundestag zu kandidieren. Ich fand es immer unwürdig für einen Philosophen oder Schriftsteller, sich zugunsten von Parteien in den Wahlkampf einzumischen. Sartre oder Grass auf Demonstrationen machten auf mich einen eher peinlichen Eindruck. Nun bin ich entweder älter und realistischer geworden oder die Zeiten haben sich geändert – oder beides. Jedenfalls ist die Lage in Europa inzwischen derart dramatisch, dass ich das tatenlose Reflektieren darüber schon seit längerem als höchst unbefriedigend empfinde. Geistesarbeiter, auch Intellektuelle genannt, sollen eigenständige Denker sein, keine Partei-Funktionäre, das ist so richtig wie trivial. In Krisenzeiten aber, wenn die Demokratie in Gefahr ist, gibt es so etwas wie die Pflicht zur Einmischung derer, die die Probleme deutlicher erkennen als andere. Berufspolitiker taugen, wie es scheint, für den Normalbetrieb; der Ausnahmezustand erfordert unkorrumpierte Persönlichkeiten mit dem Mut zur Wahrheit.

FreieWelt.net: Ihr Engagement für die AfD hat ja eine Vorgeschichte: Auf welche Probleme haben Sie bisher publizistisch verwiesen? Wieso bringen Sie Politik und Wissenschaft überhaupt zusammen?

Marc Jongen: In Essays habe ich die Re-Politisierung des liberalen Westens durch die Herausforderung des Terrors thematisiert oder das Phänomen der Selbstmordattentäter beleuchtet. Im Zuge der Arbeit an meiner Dissertation habe ich mich mit der metaphysischen Idee des »Reiches« ausführlicher beschäftigt. Vor kurzem ist ein kleiner medienphilosophischer Rückblick auf den Hype der Piraten und anderer Netzparteien in Europa entstanden, der hoffentlich bald erscheint. Das alles bedeutet aber keine Zusammenführung von Politik und Wissenschaft, sondern ein philosophisches Reflektieren über politische Phänomene. Ein Wechsel zwischen den Sphären der Wissenschaft und der Politik ist persönlich bereichernd und kann auf beide Subsysteme der Gesellschaft nur befruchtend wirken. Deren Ausdifferenzierung sollte aber nicht hintertrieben werden. Beide Bereiche haben ihre ganz spezifische Logik und Gesetzmäßigkeit, und das muss auch so bleiben, denn nur eine unabhängige Wissenschaft kann die Grundlage guter Politik sein.

FreieWelt.net: Was meinen Sie mit der »besorgniserregenden Tendenz zu postdemokratischen Verhältnissen in Deutschland und Europa«?

Marc Jongen: Der Begriff der Postdemokratie – von dem englischen Politologen Colin Crouch in die Debatte eingebracht – beschreibt die spezifische Bedrohung der Demokratie in unserer Zeit sehr treffend: Die Demokratie wird nicht von irgendwelchen rabiaten Diktatoren frontal angegriffen, sondern – nicht minder gefährlich – von innen her ausgehöhlt. Sie stirbt einen schleichenden Tod, von vielen Menschen unbemerkt. Post-, das heißt nach-demokratisch sind die Verhältnisse dann, wenn die demokratischen Institutionen – Parlamente, Gerichte, Regierungen, freie Wahlen – formell zwar weiter bestehen bleiben, die wirklichen Entscheidungen aber längst von anderen Instanzen getroffen werden. Auf diesem Weg sind wir in Deutschland und Europa bereits gefährlich weit vorangeschritten, wie man unter anderem daran erkennt, dass hohe Bankmanager fast übergangslos auf den Sessel eines EU-Kommissars, EZB-Präsidenten oder Regierungschefs wechseln können.

FreieWelt.net: Welche Gefahr für die Demokratie droht, ist also bekannt. Was muss getan werden, um diese Gefahr abzuwenden?

Marc Jongen: Die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) durch die Staaten der Euro-Zone ist ein lehrbuchartiges Beispiel für den Übergang in die Postdemokratie – vielleicht das bisher erschreckendste. Knapp vor der parlamentarischen Sommerpause des Jahres 2012 hat der deutsche Bundestag nach kurzer und sehr oberflächlich geführter Debatte mit Zweidrittelmehrheit noch mal so eben der faktischen Abtretung seiner im Grundgesetz festgelegten Finanzhoheit an eine EU-Monsterbehörde zugestimmt. Kommentatoren haben darin ein »Ermächtigungsgesetz« erkannt, womit sie nur geringfügig übertrieben haben. Die ESM-Behörde hat praktisch unbegrenzten Zugriff auf die nationalen Haushalte, gegen ihre Anweisungen gibt es keine Einspruchsmöglichkeit, ihre Direktoriumsmitglieder sind juristisch immun. All das hat mit demokratischen Entscheidungsprozessen nichts mehr zu tun.

Ursache dieser Entwicklungen ist eine strukturelle Korruption des politischen Systems, über die lange zu reden wäre. Für die Bürger bedeutet das, dass sie den langen und mühsamen Weg einer Rückeroberung der Demokratie gehen müssen – durch Aufklärung, Widerstand, Engagement.

FreieWelt.net: Auch die Linkspartei lehnt den ESM ab. Sind Sie froh über diese Gesellschaft?

Marc Jongen: Es wäre kein guter politischer Stil, eine Wahrheit nur deshalb nicht auszusprechen, weil der politische Gegner sie ebenfalls in den Mund nimmt. Es ist ja schon paradox: Sahra Wagenknecht propagiert die Rückkehr zu Ludwig Erhard, während Bernd Lucke die Machenschaften der Großbanken geißelt. Das zeigt, dass die alten politischen Kategorien von links und rechts, sozialistisch und liberal, zwar nicht grundsätzlich obsolet geworden sind, aber gehörig durcheinander geraten. Dass die »Alternative« heute eine Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft ist, ist an sich schon ein Zeichen, wie sehr die Zeit aus den Fugen ist.

Die AfD muss trotzdem keine Sorge haben, sich nicht deutlich genug von der Linkspartei zu unterscheiden. Die Problematik der Linken plakatiert diese im gegenwärtigen Wahlkampf selbst: »100 Prozent sozial«. Das sind mindestens 50 Prozent zu viel. Aufgrund ihrer ideologischen Hypotheken schafft es die Linke bis heute nicht, einen ressentimentfreien Blick auf freies Unternehmertum und wirtschaftlichen Erfolg zu werfen. Das sind aber die notwendigen Grundlagen für die sozialen Wohltaten, die sie so großzügig zu verteilen verspricht. In vielen Diagnosen liegt das linke Denken nicht so falsch – seine Therapien haben bisher noch nirgendwo funktioniert.

FreieWelt.net: Sie sind wissenschaftlicher Mitarbeiter von Peter Sloterdijk, der von einer »neuen politischen Architektur« und einem »fiskalischen Bürgerkrieg« gesprochen hat. Sie auch? Oder hat Sloterdijk etwa gar nichts mit der AfD und Ihrem Wahlkampf zu tun?

Marc Jongen: Ob Sie es glauben oder nicht: Mein politisches Engagement hat mit Peter Sloterdijk nichts zu tun. Wer will, kann allenfalls in der Forderung der AfD nach einem einfacheren und gerechteren Steuersystem ein entferntes Echo auf Sloterdijks Vorschlag erkennen, die Steuer – zumindest teilweise – auf Freiwilligkeit umzustellen. Ich persönlich muss gestehen, ganz froh darüber zu sein, dass mich die obligatorischen Steuern von der permanenten Sorge um die Steuermoral meiner Mitmenschen entlasten. Die Bereitschaft zur freien Gabe wird dort am größten sein, wo niemand sich ausgepresst oder übervorteilt fühlt und jeder weiß, dass auch der andere seinen Pflichtbeitrag schon geleistet hat. Zu einer solchen gemäßigten Position hat sich ja auch Sloterdijk zuletzt bekannt; seine Ethik der Gabe ist in einer missratenen Debatte ins gerade Gegenteil, nämlich zu einem »Egoismus der Besserverdienenden« umgedeutet worden.

Für mich ist das politische Schlüsselthema der Stunde nicht so sehr die Steuer, sondern die Abkoppelung des Kapitalismus von der Demokratie. Die Korruption der Politik und die Einlullungsmaschinerie unser pseudo-kritischen Medien haben diesen Prozess bereits alarmierend weit vorangetrieben. Die Gründung und der Erfolg der »Alternative für Deutschland« zeigen aber: Das Bürgertum hat inzwischen verstanden, dass es im Zangengriff von parasitärem Großkapital und ausufernder Sozialindustrie droht zerrieben zu werden. Die Gegenwehr hat begonnen.

FreieWelt.net: Zum Schluss eine Frage zu Ihrem Wahlkampf: Was begeistert Sie dabei am meisten? Wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?

Marc Jongen: Obwohl ich auch mal ein Jahr lang Volkswirtschaft studiert habe, fühle ich mich in der AfD weniger für die harten ökonomischen Fakten zuständig, als vielmehr für die »psychopolitischen« Aspekte des Geschehens. Damit bezeichnet die »Karlsruher Schule« – also doch noch ein Einfluss Sloterdijks! – die atmosphärischen Faktoren, die die Staaten und Gesellschaften auf eine bestimmte Grundstimmung festlegen. Wenn etwa Deutschland aufgrund seiner knallharten Austeritätsverordnungen im Süden Europas heute wieder verhasst ist oder wenn die wichtigste Ressource des sozialen Lebens wie des Währungssystems, das Vertrauen, rapide dahinschwindet, dann sind das genauso entscheidende und gefährliche Krisensymptome wie der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts oder ein Handelsbilanzdefizit.

Wenn es mir gelingt, den Menschen diese Zusammenhänge näher zu bringen und in ihnen die Zuversicht zu wecken, dass eine Wende zum Besseren möglich ist, dann hat das trotz der belastenden Materie durchaus etwas Begeisterndes.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.

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4. Identitäre Bewegung

Wir sollten auch auf eine andere „Alternative“ achten, die am rechtsextremen Rand als „aktivistische Strömung im europäischen Rechtsextremismus“ AnhängerInnen sammelt, und zwar auf postmoderne Weise. Ihr Namen: Identitäre Bewegung.

Diese Postmodernisierung des Rechtsextremismus zeigt ungewollt, worauf es einer Fundamentalkritik der vom Wertdenken geleiteten Politikformen ankommt:

Auf die Gleichsetzung des Versprechens eines glücklichen Staats und dem Ideologem bzw. Gedankengebild der Rassen-Identität oder nationaler Identität (oder linksgewendet dem Ideologem einer Klassen-Identität, Milieu-Identität, Geschlechter-Identität usw.).

Eine Politik des Anderen Anfangs kann immer nur eine nicht-ideologische Politik der Nicht-Identität sein. Die Freiheit winkt hinter dem Ausbrechen aus den Gefängnissen der Ideologien und der Identität.

Nachfolgend hierzu eine Kleine Anfrage der Linkspartei im alten Bundestag : http://dip.bundestag.de/btd/17/147/1714749.pdf

Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Jens Petermann und der Fraktion DIE LINK: Rechtsextreme Tendenzen in der „Identitären Bewegung“

Die„Identitären“ bilden eine aktivistische Strömung im europäischen Rechtsextremismus. Diese Strömung geht zurück auf den Bloc Identitaire und seine Jugendorganisation „Génération identitaire“ in Frankreich als Nachfolgeorganisation der 2002 aufgrund ihrer rassistischen und gewalttätigen Ausrichtung verbotenen Gruppierung Unité Radicale.

In Deutschland wurde im Oktober 2012 eine Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) als Facebook-Gruppe angemeldet, die bereits nach zwei Monaten 4 000 Unterstützer hatte.

Die Identitäre Bewegung behauptet, ihre Botschaft beinhalte „0 Prozent Rassismus“. Identitär sei das Bekenntnis zur jeweiligen regionalen, nationalen und kulturellen Herkunft. Die Identitären vertreten ein ethnopluralistisches Konzept, sie wenden sich gegen„Multikulturalismus“ und treten für „den Schutz des europäischen Kontinents vor Überfremdung, Massenzuwanderung und Islamisierung“ ein.

Als Symbol benutzen die Identitären den griechischen Buchstaben Lambda auf gelbem Grund, der im Historienfilm „300“ die Schilde der gegen eine feindliche Übermacht der Perser ankämpfenden antiken Spartanischen Soldaten schmückte. Dazu kommen Elemente der Jugendpopkultur bis hin zu Motiven aus dem Animationsfilm Avatar. Neben Internetauftritten mit Facebook und YouTube-Videos setzen die Identitären, die insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen wollen, auf öffentliche Aktionen wie Flashmobs.

Das sich selbst als „Denkfabrik“ der rechten Szene präsentierende „Institut für Staatspolitik“ sowie die rechtsgerichtete Jugendzeitschrift „Blaue Narzisse“ stehen der identitären Bewegung ebenso nahe und bewerben diese oder fungieren als ihre Stichwortgeber wie die Wochenzeitschrift „Junge Freiheit“. –

Weitere Fundstelle: www.zeit.de/2013/13/Die-Identitaeren

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5. Revolutionspodium auf dem Lucerne Festival

Revolutionspodien veranstalten heute nicht mehr Revolutionäre oder die sich einbilden, welche zu sein, sondern die liberal-bürgerliche und seriöse „Neue Zürcher Zeitung“.

Für uns könnte der Vortrag von Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann wichtig werden, Professor für Philosophie und Ethik, Universität Wien

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/revolution--eine-idee-verblasst-1.18146773

Gesamtes Referat: http://www.nzzpodium.ch/pdf/NZZ_Podium_Revolution_Referat.pdf

Gesamtes Thema: http://www.nzzpodium.ch/programm/thema4.shtml

Ein Auszug: „ Nein, die Hoffnungen, die die Kunst in die Revolution setzte, haben sich ebenso wenig erfüllt wie die der Revolution in die Kunst. Das Konzept, die ästhetische Avantgarde auch als Vorhut einer sozialen und politischen Revolution zu sehen, wie es vor allem die wilden sechziger Jahre propagierten, hat zwar bis heute den Kunstmarkt belebt, aber die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse eher unangetastet gelassen. Revolution ist heute ein seltsam farbloser Begriff geworden. Die Emphase, mit der dieser Begriff einmal verbunden war, ist verschwunden. Die «erhabene Rührung» und den «Enthusiasmus des Geistes», den Hegel noch zur Revolution, dieser «Morgenröte» der Geschichte, assoziieren konnte, empfindet kaum noch jemand, aber auch die Schrecken der vergangenen Revolutionen schrecken nicht mehr, man begreift sie als Preis, der für die Etablierung jener menschenrechtlichen Verhältnisse, in denen man es sich häuslich eingerichtet hat, eben zu zahlen war.

Das macht es auch trotz der andauernden Krise schwer, in der Idee der Revolution noch jene Kraft zu sehen, die den Kapitalismus, seine modernen Erscheinungsformen und die durch ihn verschärften Abhängigkeiten überwinden könnte. Und dies hat auch damit zu tun, dass wir die Idee der Freiheit und das Konzept des Neuen entkoppelt haben. Das Neue ist ohnehin allgegenwärtig, wir werden von Innovationen geradezu überschwemmt, die Beschleunigungsdynamik der modernen Welt kennt keine versteinerten Verhältnisse, die zum Tanzen gebracht werden müssten, revolutionär wäre heute wahrscheinlich die Forderung nach Innehalten, Kontemplation, Ruhe, Langsamkeit. Jenseits des Kapitalismus aber können wir uns nichts mehr vorstellen, alles, was neu ist oder sein könnte, hat ihn zur Voraussetzung. Kapitalismuskritik äussert sich deshalb auch als diffuse Empörung, als partielle Aktion, als Bürgerinitiative, als spektakuläre Besetzung eines Bankenviertels, mit einem Wort: als Anspruch, bisher vernachlässigte Partikularinteressen durchzusetzen, ohne die Rahmenbedingungen an sich infrage zu stellen. Und die individuelle Freiheit ist einerseits selbstverständlich, andererseits eine vernachlässigbare Grösse geworden. Mitunter kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass unter dem Druck der modernen Kommunikationsformen die schon von Étienne de La Boétie, einem Freund Michel de Montaignes, diagnostizierte Disposition des Menschen zur «freiwilligen Knechtschaft» gegenwärtig hoch im Kurs steht.“

Summa: Paul Liessmann formuliert einige Stichpunkte einer Politik des Anderen Anfangs, als da wären. Noch einmal:

„[…] revolutionär wäre heute wahrscheinlich die Forderung nach Innehalten, Kontemplation, Ruhe, Langsamkeit.“

Ihrem Charakter nach sind das kulturrevolutionäre Forderungen. Mehr dazu im Wintersemester.

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6. DAS LAGER

Leben oder Schreiben. Der Erzähler Warlam Schalamow - Ausstellung - 27.9. bis 8.12.2013 - dienstags bis freitags: 13 bis 19 Uhr - samstags, sonntags und feiertags: 11 bis 19 Uhr geöffnet - Eintritt frei

Kuratoren: Wilfried F. Schoeller und Christina Links - Gestaltung: unodue(Costanza Puglisi und Florian Wenz)

Die Kolyma ist ein Fluß im Nordosten Sibiriens, der nach rund 2000 Kilometern ins Ostsibirische Meer mündet. Nach ihm ist auch eine riesige Region Rußlands benannt. Vor allem wegen ihrer Bodenschätze wurde sie in der Zeit des Stalinismus unter gewaltigem Einsatz von Zwangsarbeitern und Häftlingen industriell erschlossen: In weniger als einem Jahrzehnt wurde ab 1929 ein gigantischer Komplex von Bergwerken, Industrieanlagen und Konzentrationslagern errichtet, in dem Millionen Menschen extrem ausgebeutet wurden.

Der eindrucksvollste literarische Zeuge aus dieser Landschaft der Abweisung, der Kälte, der Sümpfe, aus dieser menschlichen Verlorenheit im Raum, aus der Kolonie der Verfehlungen, der Willkür, des Strafens um seiner selbst willen, aus dem grausig-praktischen Reich des Geheimdienstes ist Warlam Schalamow (1907-1982).

Seine in der deutschen Übersetzung von Gabriele Leupold vier Bände umfassenden „Erzählungen aus Kolyma“ gehören zu jener Weltliteratur, die sich den Lagern, dem Zerbrechen der Humanität, dem Regime des Bösen als anthropologischem Exerzitium widmet. Warlam Schalamow gehört in die nächste Nachbarschaft von Primo Levi, Jorge Semprún und Imre Kertész, deren Berichte aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Auschwitz zu den Menschheitszeugnissen über den Terror gehören. In dieser Bibliothek erscheint Schalamows Werk als unerbittliches Dokument, das den Leser einem Praktikum an menschlichem Horror, Verlorenheit, Verrat am Menschentum aussetzt, ihn aber auch mit den Siegen des moralischen Überlebenswillens und dem Glück des rettenden Zufalls vertraut macht.

Mehr als vierzig Jahre und verschiedener Anläufe hat es bedurft, diesen Schriftsteller mit seinem Werk in Deutschland einzubürgern. Da mit den „Erzählungen aus Kolyma“ und autobiographischen Zeugnissen aus anderen Lebensperioden Schalamows Hauptwerk auf Deutsch weitgehend vorliegt, wird es Zeit, sich seinem persönlichen Umriß vor dem Panorama der geschichtlichen Wenden zu widmen, wie es nun die von Wilfried F. Schoeller und Christina Links realisierte Ausstellung unternimmt, für die zahlreiche russische Archive und Museen Leihgaben zur Verfügung gestellt haben.

Warlam Schalamow hat erkannt, daß Auschwitz mit dem Gulag zusammenzudenken ist. Nicht gleichzusetzen, vielmehr: dem Vergleich auszusetzen und die Perspektive zu benennen, unter der dies geschieht. Es gilt, was die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ 2007 an „Thesen über das Jahr 1937 und die Gegenwart“ veröffentlicht hat: „Gulag, Kolyma, 1937 – das sind ebensolche Symbole des 20. Jahrhunderts wie Auschwitz und Hiroshima. Sie gehen über die Grenzen des historischen Schicksals der UdSSR oder Rußlands hinaus und werden zu einem Zeugnis für die Brüchigkeit und Labilität der menschlichen Zivilisation, für die Relativität der Errungenschaften des Fortschritts, zu einer Warnung vor der Möglichkeit künftiger katastrophaler Rückfälle in die Barbarei.“

http://www.literaturhaus-berlin.de/unten/programm/ausstellungen.html

Vorschlag: Wir sollten diese Ausstellung besuchen, im Wintersemester Texte von Schalamow lesen und über das Lager nachdenken – vielleicht auch unter Rückbezug auf die These von Giorgio Agambe in: „Homo Sacer I: Die souveräne Macht und das nackte Leben“, der das Lager „[…] in gewisser Weise als verborgene Matrix, als nómos des politischen Raumes, in dem wir auch heute noch leben [sieht].“ (S.175)

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Neuer Band der Schalamow-Edition erschienen! Warlam Schalamow: Das vierte Wologda und Erinnerungen

"Das vierte Wologda" ist Schalamows Buch der Erinnerungen an die Kindheit und frühe Jugend in seiner nordrussischen Geburtsstadt, deren besonderer freiheitsliebender Geist ihn für immer geprägt habe. Diesen Geist verdankt die Stadt den zahlreichen politisch Verbannten, die über die Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen haben. Als Sohn eines Priesters erlebte Schalamow dort mit zehn Jahren die Revolution und die nachrevolutionären Wirren. In der lakonischen Erzählung gelingt es ihm, seine Abrechnung mit der autoritären Welt des Vaters mit eindrucksvollen Bildern aus dem Alltagsleben der Provinzstadt zu verbinden und sie auf diese Weise in die dramatische Umbruchszeit russischer Geschichte im 20. Jahrhundert einzubetten. Der Band wird durch die Fragment gebliebenen Erinnerungen an das literarische Leben im Moskau der 1920er, 1930erJahre ergänzt: ein Panorama jener Welt, die Schalamows Schreiben beeinflusst hat und an die er sich auch nach den Jahrzehnten Lagerhaft mit erstaunlicher Präzision und Detailfreude erinnert.

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7. Empfehlungen:

- Zu einem wirklichkeitsumwälzenden Thema eine Empfehlung von Oliver: Das geplante Freihandelsabkommen hebelt die Demokratie aus - Das Parlament soll nicht bestimmen dürfen, was der Wirtschaft erlaubt ist - Fritz Glunk zu Gefahren des geplanten Freihandelsabkommens EU-USA

http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/39/39873/1.html

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- Bertram empfiehlt: "Jean Ziegler, Ich glaube es wird einen Umsturz geben" - Der "UN Sonderbotschafter Recht auf Nahrung" , Jean Ziegler, in drei Interviews. Zu seinen Büchern- Das Imperium der Schande - Der Aufstand des Gewissens.

https://www.youtube.com/watch?v=aCgeRsB1oN0

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Nachfolgend ein verquerer Blick auf die Datenschutzdebatte, weil er einerseits die Konsequenzen totaler Erfassung zeigt, andererseits die Datenpreisgabebereitschaft in den Blick nimmt. Zwei Auszüge: "Möglich, dass die künftige Geschichtsschreibung einen Streitfall wiedergeben wird, der sich im Jahr 2023 ereignete. Damals, wird es vielleicht heissen, reichte das Internetministerium, das kurze Zeit nach dem NSA-Überwachungsskandal 2013 gegründet worden war, eine Unterlassungsklage gegen die Vereinigung der Datenschutzaktivisten ein. Deren sogenannter «weisser Block» hatte schon lange – unter Berufung auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze und andere Kritiker der kybernetischen Kontrollgesellschaft – gefordert, Kapseln der Nichtkommunikation zu erzeugen, zum Beispiel durch Deaktivierung des GPS am Smartphone. Die Deaktivierung war 2023 zwar nicht mehr möglich, aber der Besitz eines Smartphones noch keine Vorschrift. Das wollte das Internetministerium nun ändern. Denn das Verkehrsministerium beabsichtigte, «Presence Technology», die mit der Präzision von fünf Zentimetern die Position ihres Trägers anzeigt, in der Verkehrsregelung einzusetzen, was auch deswegen wichtig war, weil Fahrzeuge inzwischen geräuschlos fuhren. Kollisionen jeder Art konnten somit blind und taub vermieden werden durch automatisch ausgelöste Warnsignale oder Bremsbefehle an zwei Träger eines Sensors, deren Positionskoordinaten das Abstandslimit unterschritten. Die Datenschutzaktivisten hatten keine Argumente gegen dieses als sicher erachtete Verfahren, forderten aber eine Anonymisierung, da die Vermeidung von Kollisionen zwischen einem Auto und einem Fahrrad nicht die Identifizierung der Fahrer voraussetze. Dieser Perspektive schloss sich das Internetministerium nicht an, mit der Begründung, modernstes Data-Mining errechne aus der Kenntnis der physischen und psychischen Kondition der Fahrer, ihrer Alltagsroutinen, der Fahrzeugmodelle und vieler anderer verfügbarer Daten die Wahrscheinlichkeit einer Kollision und könne entsprechend effektiv Präventivmassnahmen auslösen. Da Verkehrssicherheit keine Privatangelegenheit sei, dürfe sich kein Bürger der Identifizierung entziehen. Der Aufruf, Lücken in der kybernetischen Kommunikation zu schaffen, wurde somit als verkehrsgefährdend, von manchen auch als terroristisch eingestuft und gerichtlich untersagt. […]

[Frage: Was ist unsolidarisch?] „Unsolidarisch ist auch, persönliche Daten für finanzielle Vorteile herzugeben. Weniger deutlich, wenn man individuelle Konsumgewohnheiten für Kumulus-Bons preisgibt oder für den kostenlosen E-Mail-Dienst Google das Mitlesen erlaubt. Aber wer Versicherungsrabatte einstreicht, weil er seinen Autofahrstil oder seine körperliche Bewegung überwachen lässt, sorgt dafür, dass jene, die den errechneten Durchschnitt verpassen oder den Nachweis ihrer Durchschnittlichkeit nicht erbringen wollen, mehr zahlen müssen. Die persönliche Freizügigkeit mit Daten hat Konsequenzen auch für andere.“

[Und schließlich:] „Der gläserne Mensch ist somit Produkt einer kulturellen und technologischen Disposition, wobei McLuhan das Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden fatalistisch bestimmt: «Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeug uns.» Eine alte Geschichte also: Die Maschinen übernehmen das Kommando, wie der Supercomputer HAL in Stanley Kubricks Film «2001: A Space Odyssey». Eine Art Zauberlehrling 2.0, nur weiss nun, anders als in Goethes Ballade, auch der Meister nicht, wie er die gerufenen Geister wieder loswird.“

Alles unter: http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/ignoranz-bequemlichkeit-und-der-glaeserne-mensch-1.18152511

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ciao, Wolfgang Ratzel

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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