Freiheit und Bedingungsloses Grundeinkommen

Streitgespräch zwischen Robert Ulmer (Netzwerk Grundeinkommen) und Wolfgang Ratzel (Autonomes Seminar) in der Reihe "Anderer Anfang Buen Vivir"

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Autonomes Seminar an der Humboldt-Universität zu Berlin – seit 1998 - Ehrenamtlich, frei und offen für alle - Tel. 030-42857090 - eMail: autonomes.seminar@t-online.de

Berlin, den 30. Mai 2016

Liebe Denkende und Interessierte,

Einladung zum Streitgespräch in der Reihe „Anderer Anfang – Buen Vivir“:

Thema: „Freiheit und Bedingungsloses Grundeinkommen“

Es streiten sich: Robert Ulmer (Netzwerk Grundeinkommen) und Wolfgang Ratzel (Autonomes Seminar)

Anlass des Streits ist die Abstimmung der Schweizerischen Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» am Sonntag, den 5. Juni 2016. Es geht um die Frage, ob ein Bedingungsloses Grundeinkommen unsere Freiheit vermehrt oder uns eher Unfreiheit bringt. Der Initiativtext der Volksinitiative kann angefordert werden unter: autonomes.seminar@t-online.de - oder: http://www.grundeinkommen.ch/initiativtext/

Zeit: Donnerstag, den 2. Juni 2016 von 18:30 - 20:30 Uhr

Ort: Seminargebäude der Humboldt-Uni, Invalidenstraße 110, Raum 293 (ehrenamtlich, frei und offen für alle - beim Tram+U6-Bf Naturkundemuseum)

Ein 17seitiges Dossier zum Thema kann angefordert werden.

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Voraussichtlicher Ablauf des Streits:

1. Vorstellung der Schweizerischen Volksinitiative

2. Streitbeiträge (wobei die Streitenden auf die Argumente des Mitstreiters eingehen)

- zuerst: Beitrag Robert Ulmer

- dann: Beitrag Wolfgang Ratzel

3. Diskussion

4. Abstimmung der Schweizerischen Volksinitiative

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Beitrag Robert Ulmer (Kurzfassung):

Bedingungsloses Grundeinkommen schafft eine Option mehr: die Option, ohne Erwerbsarbeit ein würdiges und erfülltes Leben zu führen.

Eine neue Geschäftsgrundlage des Arbeitsmarktes. Die individuelle Freiheit der Lohnabhängigen wäre gestärkt. Eine gesellschaftliche Verbesserung, die gegen den vorherrschenden autoritären Ungeist erkämpft werden muss.

Beitrag Robert Ulmer (Langfassung):

Entfaltungsfreiheit für alle auf dem finanziellen Bürgersteig BGE

Warum sind so viele einverstanden mit einem repressiven Sozialstaat, der zum Gehorsam und zur Bescheidenheit erzieht, der die Prekarisierten dazu trainiert, in der Unterbietungskonkurrenz um unattraktive Jobs mitzuspielen? Es geht um absichtsvoll hergestellte Unfreiheit - befriedigt dies ein Bedürfnis, das Bedürfnis, Arbeitslose mit harten Strafen zu bedrohen?

Anders das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Es ist eine Einkommenssicherung für alle, perspektivisch weltweit, an keine Mitwirkungspflichten gekoppelt, insofern ein Gratiseinkommen, das es allen ermöglichen soll, zu unattraktiven Jobs Nein zu sagen. Das BGE wäre ein Beitrag zur Realisierung der Freiheit, das Leben leben zu können, das ich leben will. Der Arbeitsmarkt hätte eine neue, eine freiheitliche Geschäftsgrund-lage: die beiden Vertragspartner begegnen sich auf Augenhöhe, das heute vorherr-schende Machtungleichgewicht wäre abgeschafft. Freie Kooperation statt erzwungener Kooperation. Das BGE wäre soziale Infrastruktur, ein finanzieller Bürgersteig, auf dem sich alle frei bewegen können und niemand mehr vom Sumpf der Armut bedroht ist.

Die Ablehnung des BGE resultiert aus einer autoritären Haltung, aus einem tief verwurzelten Misstrauen vor zu viel Freiheit. Es ist die Angst vor der Freiheit der anderen - wo kämen wir denn hin, wenn alle machen was sie wollen! Und es ist die Angst vor der eigenen Freiheit, die Angst vor der Einsicht, dass ich selber verantwortlich dafür bin, inwieweit mir das Leben gelingt oder nicht.

Robert Ulmer - http://robertulmer.wordpress.com/

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Beitrag Wolfgang Ratzel:

1. Wer im Zustand der Not und der Herrschaft des Nötigen lebt, lebt immer schon im Zustand der Unfreiheit, auch wenn er von bürgerlichen Freiheitsrechten umkleidet ist. Er lebt auch dann noch im Zustand der Unfreiheit, wenn er über das Allernötigste verfügt. Denn was nötig ist und als „Not“ aufgefasst wird, kennt keine Obergrenze.

2. Wer eine Gabe nicht erwidern kann oder will, wird von der Gabe und dem Gebenden beherrscht und ist deshalb immer schon unfrei.

Wer von der Mutter Gesellschaft und vom Vater Staat mit einem bedingungslosen Grundeinkommen versorgt wird (taken care of), bleibt auch als Erwachsener de facto im Versorgungszustand des Kindes befangen und damit im Zustand der Unfreiheit.

3. Im freien Bereich des Unnötigen bin ich erst, wenn ich von der Herrschaft der Not und des Nötigen und von der Herrschaft der Gabe und der Gebenden befreit bin.

4. Eine bedingungsloses Grundeinkommen ist eine bedingungslose Gabe der Gesell-schaft und kann erst dann gesellschaftliche Wirklichkeit werden, wenn die Gesellschafts-mitglieder den Gabentausch, d.h. die freiwillige Selbstverpflichtung, eine Gabe zu erwidern, verinnerlicht haben. Derzeit denkt und handelt die Mehrheitsbevölkerung jedoch (leider) im Horizont exzessiver Selbstbereicherung auf Kosten seiner Mitmenschen, Mit-Lebewesen und „Natur“. In dieser Atmosphäre des „Immer-mehr-haben-wollens“ kann ein BGE nur in kleinen Zusammenhängen von Menschen funktionieren, die zum freiwillig-verpflichtenden Gabentausch willens und fähig sind.

5. Summa: Unter den gegebenen, von Aneignung und Nehmen gesteuerten kapitalistischen Verhältnissen macht das Bedingungslose Grundeinkommen die faktisch unfreie Bevölkerungsmehrheit noch unfreier als sie schon ist.

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Ciao, Wolfgang Ratzel

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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