Hommage an Heideggers Denken des Seins

Einladung und Doku Sechs Thesen zur Vorbereitung. Wer die Dokumentation der neuen Debatte über Heideggers Schwarzen Hefte lesen will, möge sie bestellen: autonomes.seminar@t-online.de

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Ihre Freitag-Redaktion

Einladung zur Hommage an Heideggers Denken des SeinsDonnerstag, den 19. März 2015, 18:30 – 20:30 Uhr im Raum 293 des Seminargebäudes der Humboldt-Universität in der Invalidenstraße 110, 10115 Berlin (gegenüber U6-Bf Naturkundemuseum)

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Warum jetzt eine Hommage auf Heideggers Denken des Sein?

... weil derzeit die Person Heidegger als Nationalsozialist und Antisemit ins kollektive Gedächtnis eingeprägt wird. Wer den Namen Heidegger hört, soll endgültig und für immer Nazi und Antisemit und „totalitärer Denker“ (Vasek/Hohe Luft) assoziieren.

... weil vor allem aber Heideggers Werk als Denkweg, Denkweise und Werkphilosophie pauschal als nationalsozialistische und antisemitische Philosophie gebrandmarkt wird. Solches Bestreben gipfelt in solcher Schlussfolgerung: „Heideggers Sein ist sehr wohl antisemitischen Wesens“, so Georges-Arthur Goldschmidt in seiner Besprechung in der „Quinzaine littéraire“.

Hängen bleiben soll: „Heideggers Philosophie ist im Kern anti-liberal, anti-demokratisch, anti-humanistisch, anti-rational.“ (Vasek/Hohe Luft).

Wer Seinsdenken hört, soll endgültig und für immer solches Denken als antisemitische NS-Philosophie verabscheuen.

Genau darauf zielt die Debatte der Heidegger-HasserXinnen* und StellensucherXinnen.

(Anmerkung WR: Das X repräsentiert das Dritte Geschlecht neben dem Weiblichen und Männlichen)

Martin Heidegger hat zu Lebzeiten verfügt, dass seine Schwarzen Hefte am Schluss der Gesamtausgabe veröffentlicht werden sollen. Was heißt das? Er wollte, dass seine antisemitischen und völkischen Ressentiments bekannt werden. Er wusste, dass diese Aussagen seinem Ruf schaden. Heidegger hat sich somit selbst als Heiligengestalt des Seinsdenkens demontiert. Er hat aus eigenstem Entschluss seine Aura zerstört.

Gleichwohl macht er es den StellensucherXinnen schwer. Hunderte Seiten verschwurbelter, teilweise öder Kommentare müssen sie lesen, bis sie –endlich- die eine oder andere „Stelle“ finden, um sich dann angemessen „empören“ zu können.

Aber genau das sollte geschehen. Heidegger selbst liefert die Empörungsvorlage, und sie empören sich. Heidegger ent-larvt seine Ressentiments, und die StellensucherXinnen berühmen sich, Heidegger ent-larvt zu haben. Heidegger ist eben ein Filou.

Aber warum geschieht diese von Heidegger selbst inszenierte Demontage des Autors samt seines Denkens? Warum und worumwillen gerade jetzt? Was ist der Sinn?

Weil das Heideggersche Denken des Seins eine Fundamentalkritik ermöglicht, eine Fundamentalkritik ...

- der technisch-kapitalistischen Verhältnisse (des Gestells);

- der vielgestaltigen Systeme des vollendeten Nihilismus;

- des mörderischen Subjektivismus und

- des Denkens in der tödlichen Logik der Wert- und Unwertsetzung des Wert- und Verwertungsdenkens.

Weil Heideggers Seinsdenken uns begreifbar macht, dass und wie das losgelassene rechnende, menschenzentrierte Denken Ungeheuer wie Auschwitz (und Hiroshima, Tschernobyl, Fukushima, Terrorkrieg und Kriegsterror, ökosoziale Katastrophen, gigantische Ungleichheit, Artensterben u.v.m.) gebar, gebiert und gebären wird.

Weil es begreifbar macht, dass die immense Gefahr besteht,

- „dass der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ (Foucault, Die Ordnung der Dinge);

- dass Auschwitz in noch schrecklicherer, wenngleich anderer Gestalt, wiederkehren wird, wenn "eines Tages das rechnende Denken als das einzige in Geltung und Übung bliebe." (Gelassenheit, S.25).

Diese schrecklichen Aus-Sichten gilt es mit unseren kleinen Kräften aufzuhalten! -

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Auf der Heidegger-Hommage vom 19. März 2015 werden nachfolgende sechs Thesen vertreten. Gegenthesen sind erwünscht, denn die Hommage möge zum Streitgespräch werden – Kontakt: wolfgang.ratzel@t-online.de

Sechs Thesen

1. Wenn das Sein unseres Daseins in der Welt und auf der Erde sich als Sorge zeigt (vgl. Heidegger: Sein und Zeit, §39, S.182), dann ist diesem Sich-um-sich-und-seine-Mit-und-Umwelt sorgenden Dasein sein Geschlecht, seine Hautfarbe, Volkszugehörigkeit, Klassenzugehörigkeit, seine Gesundheit und Handicaps, sein Alter und seine sexuelle Orientierung vollkommen gleich-gültig.

Die von Heidegger herausgearbeiteten Existenzialien erweisen sich somit als Strukturmerkmale eines Daseins, dem sein Geschlecht, seine "Rasse", Volks- und Klassen-Zugehörigkeit, seine Gesundheit und Handicaps, sein Alter und sexuelle Orientierung vollkommen gleich-gültig sind!

(Anmerkung WR: Die wichtigsten Existenzialien sind das In-der-Welt-sein, die Sorge, die Befindlichkeit (und Stimmung), die Angst, das Verstehen, die Verfallenheit und die Rede).

2. Ebenso ist dem Dasein, das auf das Sein hört und ihm gehört, das sich als Hirt und Treuhänder des Seins versteht, und das sich um die Inobhutnahme seiner Mit- und Umwelt sorgt, das Geschlecht, die Hautfarbe, die Volks- und ethnische Zugehörigkeit, die Klassen-, Schicht- und Milieu-Zugehörigkeit, die Gesundheit und Handicaps, das Alter und die sexuelle Orientierung seiner Mitwelt, d.h. der Anderen, vollkommen gleich-gültig!

3. Wenn nun Heidegger in seinen „Schwarzen Heften“ dem Judentum eine „betont rechnerische Begabung“ zuschreibt; wenn er behauptet, dass die leere Rationalität und Rechenfähigkeit sich im Judentum eine „Unterkunft im ‘Geist‘“ schuf – dann spricht hier ein Autor, der im Moment der Niederschrift von antisemitischen Ressentiments und Denkfiguren beherrscht wird.

Heideggers Denken des Seins verlangt jedoch nicht diese Zuschreibungen. Es kommt ohne sie aus. Wir Nachkommenden müssen das Werk Heideggers vor den Ressentiments Heideggers schützen, bewahren und mit unseren kleinen Kräften auf die Höhe der Zeit fort-denken. Heideggers Werk hilft uns dabei.

4. Heideggers „Sündenfall“ geschah, als er begann, völkisch-metaphysisch zu denken, d.h.: als er begann, verschiedenen Völkern verschiedene seinsgeschichtliche Aufgaben zuzuschreiben: Das Griechentum war für den ersten Anfang, das Deutschtum für den Anderen Anfang zuständig, das Judentum hingegen für „die Entwurzelung des Seienden aus dem Sein“. Das Judentum verkörpert somit die Gefahr, die das Sein als Rettung schickt (vgl. Die Kehre). Zwischen Griechen- und Deutschtum stand (positiv) das Russentum und (negativ) das Amerikanertum.

Das Existenzial vom „Gemeinsamen In-der-Welt-Sein mit den Anderen“ verwandelte sich in die Denkfigur eines völkisch-metaphysisch aufgeladenen Volksdaseins. Es konnte sich nunmehr ein „Schicksal des deutschen Volkes“ ereignen, einen „Willen zum geschichtlichen geistigen Auftrag des deutschen Volkes“ (Selbstbehauptung der deutschen Universität, S. 10).

Im Denken eines metaphysisch-aufgeladenen Volksdaseins zweigte Heidegger in die Irrnis ab, und dort konnten ihn seine antisemitischen Ressentiments begleiten.

5. Heideggers DenkWeg geht durch Irrnis und Verirrungen, aber sein Seinsdenken selbst ermöglicht uns, dieses Irren als unvermeidbar zu begreifen, denn:

„Mit dem Heilen zumal erscheint in der Lichtung des Seins das Böse. Dessen Wesen besteht nicht in der bloßen Schlechtigkeit des menschlichen Handelns, sondern es beruht auf der Bösartigkeit des Grimmes („Über den Humanismus“, S.51).

Indem Heideggers in die Denkfigur des Volksdaseins ab-irrt und mit ihm seine antisemitischen Ressentiments verknüpft, erscheint das Nichtend-Böse in seinem Werk – neben dem Heilen.

Aber Heidegger hat ausdrücklich verfügt, dass wir alle in seinen „Schwarzen Heften“ dieses Zusammen von Heilem und Bösen erfahren können – als Teil seines Werks.

6. Die Art und Weise, wie Heideggers Antisemitismus kritisiert wird, transportiert auf ihrer Kehrseite die Forderung nach der Reinheit und philosophisch-politischen Korrektheit des Denkens und der DenkerXinnen. Nur das Heile soll sprechen dürfen.

Aber es gibt keine Reinheit des Denkens und Handelns. Alles Denken und Handeln ist immer auch unrein, verdorben, böse, destruktiv, weil das Nichts im Sein immer schon als nichtendes Nichts da ist. Die Maxime der Reinheit des Denkens und Tuns erweist sich als eine totalitäre Denkfigur.

Wir alle sind TrägerXinnen von rassistischen und/oder antisemitischen und/oder sexistischen und/oder homophoben Ressentiments, Vor-Urteilen und Denkfiguren.

Wer es nicht ist, der werfe den ersten Stein.

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ciao, Wolfgang Ratzel

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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