Wurzelt das Seinsdenken in Antisemitismus?

Auftakttreffen - Was ist der Sinn und Zweck der Debatte um die Schwarzen Hefte? Worum geht es im Sommersemester 2014?

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Autonomes Seminar an der Humboldt-Universität zu Berlin – seit 1998 - Kontakt: autonomes.seminar@t-online.de

Berlin, den 3. Mai 2014

Liebe Lesende, Übende und Interessierte, unser zweites Vorbereitungstreffen hat folgenden Konsens über die Gestaltung des SoSe 2014 erreicht:
(1) Wir beginnen mit einer Auseinandersetzung über Zwecke und Inhalte der Debatte über die Schwarzen Hefte.
(2) Wir lesen 14täglich Martin Heidegger "Der Ursprung des Kunstwerks" (Vorschlag Jürgen)
(3) Wir stellen die 14tägliche Vortragsreihe unter den Obertitel "BUEN VIVIR - Lebens- und Politikformen jenseits des Wert-Denkens" (Vorschlag Wolfgang)
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(zu 1) EINLADUNG zur Auftaktveranstaltung des Autonomen Seminars im SoSe 2014:
Thema: "Welche Zwecke verfolgt die Debatte um Heideggers „Schwarze Hefte“? - Wurzelt Heideggers „gefährliches“ Seins-Denken (als Wert-, Subjekt- und Technik-Kritik) in Rassismus und Antisemitismus?"
Donnerstag, 08.05.2014 – Beginn: 18:30 - 20:30 Uhr
Seminargebäude der Humboldt-Uni, Invalidenstr. 110, Raum 293
(beim U6-Bf Naturkundemuseum)
Bei Bedarf und Interesse wird das Thema der Auftaktveranstaltung eine Woche später, am Do, 15. Mai, fortgesetzt.
Wer die "Schwarzen Hefte" einsehen will, kann dies im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann (Nähe S-+U-Bf Friedrichstrasse) tun; dort liegt ein Leseexemplar des Band 94 der Heidegger-Gesamtausgabe (1931-1938) bereit. Leider fehlen die Anschlussbände Nr. 95 und 96.
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Vorher, um 17:00 bis 18:15 Uhr, findet wie gehabt Kirsten Reuthers Osteopathisches Yoga statt.
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(zu 2) Hinsichtlich der Lektüre "Der Ursprung des Kunstwerks" empfiehlt Jürgen das Reclam-Bändchen, insbesondere auch wegen der hervorragenden Einführung durch Hans-Georg Gadamer. Dem kann ich mich nur anschließen. Die Einführung gehört zu den Texten, die mensch mit angehaltenem Atem von Anfang bis zum Schluss "einatmet". Das Reclam-Bändchen kostet zudem nur 4 Euro und liegt mehrfach ebenfalls bei Dussmann bereit.
Am "Ursprung des Kunstwerks" arbeitete Heidegger ab 1931/32. Vollendet wurde der Text nach mehrfachen Erweiterungen im Jahre 1936. Wir lesen also ein Werk, das Heideggers "Kehre" begleitete. Unter Kehre verstand Heidegger -kurz gesagt- die Hinwendung von der Frage nach dem Sinn von Sein zur Frage, wie das Sein sich von sich selbst her entbirgt und zugleich verbirgt.
Im Lektüretext geht es um die Frage nach der Wesensherkunft des Kunstwerks. Diese sucht Heidegger im Ursprung des Kunstwerks, denn: "Der Ursprung von etwas ist die Herkunft seines Wesens". Unter Wesen versteht Heidegger "Das, was etwas ist, wie es ist […]" (S. 7)
Wir sollten in unserer Lektüre immer auch darauf achten, ob die Weise, wie Heidegger das Wesen und den Ursprung denkt, rassistisch und antisemitisch ist - genauer: Ist das Denken des Wesens und des Ursprungs kompatibel zu rassistischen und antisemitischen Stereotypen? - und, wenn ja: Desavouiert eine eventuelle Anschlussfähigkeit die Bestimmung dessen, was Wesen und Ursprung ist?
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(zu 3) Buen Vivir (Das gute Leben) bezeichnet ein aus Lateinamerika kommendes plurales Konzept, das eine globale Plattform für Denkweisen, Haltungen und Verhaltensweisen jenseits des Wert- und Verwertungsdenken bieten könnte (konsequenterweise müsste von buenos vivires gesprochen werden (vgl. S.30)). Dieses Konzept erlaubt, eine Plattform in der "Form der Juxtaposition" zu denken, d.h. als "ein Nebeneinander ohne Vermischungen" (S.20).
Die Bolivianerin Silvia Rivera Cusicanqui bezeichnet die Plattform Buen Vivir als ch'íxi. ch'íxi ist ein Wort aus der Sprache des hauptsächlich in Bolivien beheimateten Volkes der Aymara, das eine Farbe beschreibt, "die sich aus dem Nebeneinander zweier Komplementärfarben ergibt, also eine Farbe, die gleichzeitig ist und nicht ist." (S. 20). "ch'ixi" erlaubte somit Buenos Vivires "als ein Nebeneinender von indigener, mestizischer oder westlicher Kritik an der Moderne, bei dem jede Kritik ihren eigenen Kern behält, alle Ansatzpunkte sich aber darin ergänzen, dass sie das herrschende Entwicklungs- und Wachstumsparadigma hinterfragen." (S. 20). Mensch kann hier getrost auch die afrikanische und ostasiatische buddhistisch-daoistische Kritik hinzufügen.
Letztendlich würde es im Autonomen Seminar darum gehen, den Kern des westlich-abendländischen Kritik an der Moderne zu formulieren und einzubringen. Vielleicht ist es uns möglich, das Verhältnis zwischen Mensch und Sein ("Natur") auf europäische Weise als Treuhänderschaft und Inobhutnahme zu bestimmen.
(Die Seitenangaben beziehen sich auf: Eduardo Gudynas: Buen Vivir. Das Gute Leben jenseits von Entwicklung und Wachstum. Die Broschüre wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben. Fundstelle: http://www.rosalux.de/publication/38264/buen-vivir.html)
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ciao, Wolfgang Ratzel
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Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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