Wer die Olivenbäume rodet: Ein Flughafenprojekt gefährdet Albaniens EU-Aufnahme
Reportage Schmutzgeier, Säbelschnäbler, Alpenstrandläufer oder Brachschwalben sind als seltene Vogelarten nur noch in der Lagune bei Vlora zu finden. Der Bau des Flughafens wird dem Vogelparadies am Mittelmeer schwer zusetzen
Der Toyota von Zydjon Vorpsi schiebt sich langsam den steilen Berg hinauf. Immer wieder drehen die Räder auf dem lockeren Gestein durch. Nur in den Spitzkehren ist die Straße betoniert und mit Querrillen versehen, um ein Abrutschen zu verhindern. Geschickt hantiert Zydjon mit der Handbremse und dem ersten Gang, wenn das Auto stehenbleibt. Der Mitarbeiter einer NGO zum Schutz und Erhalt der natürlichen Umwelt, genannt Protection and Preservation of Natural Environment in Albania (PPNEA), ist der Meinung, nur von ganz oben am Hang könne man das Landschaftsschutzgebiet Vjosë-Narta – eines der größten Ökosysteme im Mittelmeerraum, mit der Lagune und der Mündung des Flusses Vjosë nördlich der Stadt Vlora – gut überblicken.
n. „Von da kannst du ermessen, welches Ausmaß die Schäden hätten, die der geplante Flughafen verursachen würde.“Mabetex steigt einTatsächlich wäre mit einem solchen Großprojekt die Schönheit einer Landschaft mit dem silbernen Grün der Olivenbäume und dem Glitzern des Mittelmeers zerstört, dessen Wasserfläche hinter der Lagune bis zum Horizont reicht. Nach dem Verlassen von Zydjon Vorpsis Toyota fällt zuerst ein dreistöckiges Haus auf, das sich offensichtlich schon seit Jahren in einem unfertigen Zustand befindet. Direkt daneben liegt einer der Betonbunker, die Albaniens kommunistische Führung zwischen 1972 und 1984 zur Verteidigung des Landes bauen ließ. Geplant waren 750.00 solcher Schutzräume, gebaut wurden Zehntausende. Für je vier Albaner war ein Unterstand gedacht. So wollte man gegen äußere Feinde gerüstet sein.Zydjon Vorpsi hat inzwischen zwei Zeiss-Monokulare aufgebaut, mit deren Hilfe man ein riesiges Gebiet überblicken kann. Zu sehen sind die Flussmündung mit vielen Sandbänken, ebenso Olivenhaine mit Bäumen, die mehr als 200 Jahre alt sind. In den Blick geraten weiße Felder zur Salzgewinnung und die Lagune. Sie ist der Lebensraum für Tausende von Flamingos, Pelikanen, Schmutzgeiern, Säbelschnäblern, Alpenstrandläufern, Brachschwalben und anderen seltenen Vogelarten. Teilweise sind sie nur noch hier zu finden und stehen auf der roten Liste gefährdeter Arten. Auf ihrem Flug in die Winterquartiere Afrikas rasten sowohl in der Lagune als auch der Flussmündung jedes Jahr mehr als 50.000 Zugvögel aus dem nördlichen Europa, die auf ihrer Route über den Nahen Osten unterwegs sind. „Und genau dort“ – so Tea Zeqaj, die in Tirana für die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet, dort für Ökologie und Nachhaltigkeit zuständig ist – „sollen ein Rollfeld von über drei Kilometern Länge und ein Terminal von 34.000 Quadratmetern entstehen.“ Dazu kämen Zufahrtsstraßen, Nebengebäude, Stellplätze für zwei Dutzend Flugzeuge mindestens und eine Marina für Motor- und Segelboote im Flussdelta mit Verbindung zur Lagune. Erste Vorarbeiten haben längst begonnen. „Für das Vogelparadies ist das der Todesstoß“, meint Tea Zeqaj. Ein Bericht der Umweltorganisation WWF aus diesem Jahr weist darauf hin, dass inzwischen Lebewesen in Feuchtgebieten besonders geschützt werden müssen. In keinem anderen Ökosystem gibt es weltweit derart gravierende Rückgänge.Die Geschichte des Projekts Airport Vlora ist für albanische Verhältnisse nicht untypisch. 2018 besuchte Ministerpräsident Edi Rama (siehe Glossar) den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan. Der bot seine Hilfe beim Bau des Airports und bei der Gründung von Air Albania an, die 2019 den Betrieb aufnehmen konnte. 2020 sollte der Flughafen fertig sein. Die Zahl der in Aussicht gestellten Arbeitsplätze wurde großzügig von 800 auf 1.000 erhöht, um hauptsächlich die lokale Bevölkerung von dem Vorhaben zu überzeugen.2019 trennen sich die albanische Regierung und der türkische Investor wegen eines Streits über ein Minimum an Umsatz, der von den Albanern garantiert werden sollte. Es kam zu einer internationalen Ausschreibung, die allerdings im Frühjahr 2020 während der Covid-19-Pandemie abgebrochen wurde. Der gewählte Zeitpunkt erscheine dem Infrastrukturministerium in Tirana als nicht geeignet, so die offizielle Begründung.Placeholder infobox-1Doch dann die Überraschung. 2021 erhielt plötzlich der mächtigste Mann im Kosovo, der umstrittene Geschäftsmann und Politiker Behgjet Pacolli, den Zuschlag für seine Firma Mabetex, die ihren Sitz in der Schweiz hat. Nachdem anfangs noch von einer Inbetriebnahme nach zwei Jahren die Rede war, soll es nun im April 2025 soweit sein. Es wird also ernst, und Zydjon Vorpsi sagt: „Wie Mabetex den Zuschlag bekam, wurde öffentlich nie kommuniziert. Kein Mensch weiß, wie viel Geld geflossen ist.“ Auch glaube er, und teile dieses Skepsis mit anderen, nicht an die versprochenen tausend Arbeitsplätze. Die gäbe es garantiert nicht für ungelernte Arbeitskräfte aus dieser bäuerlichen Region. „Für die bleibt in einem hochmodernen Airport nur ein Job bei der Gepäckabfertigung, bei der Abfallentsorgung und Reinigung. Sind die Olivenbäume erst einmal gerodet, wird sich hier Verarmung breitmachen.“ Auch die EU kommt in ihrem Albania Report 2021 zu einem negativen Urteil: Mit der Unterzeichnung des Vertrages, den Vlora Airport in dem Vjosë-Narta-Schutzgebiet zu bauen, verstoße Albanien gegen eigene Gesetze. Das Land breche zudem internationale Vereinbarungen zum Schutz der Biodiversität, die es selbst ratifiziert habe.Geschenk der NaturAnstatt die Schutzzone zu vergrößern, wird mit den Plänen für den Flughafen das Gebiet mehr und mehr fragmentiert und verkleinert. Wovor Wissenschaftler und Naturschützer warnen, fand keine Beachtung. Anträge von Nichtregierungsorganisationen wurden weder beantwortet noch behandelt. Für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ist das eine Konsequenz der nicht sonderlich ausgeprägten demokratischen Kultur Albaniens. Muss damit gerechnet werden, dass ein Feuchtbiotop zerstört wird, welches für Europa von unschätzbarem Wert ist? Die Europäische Union hatte mit Blick auf Albanien zuletzt stets moniert, dass die Rodung von Wald, dass Umweltverbrechen wie Brandstiftung, Wildern und Auslegen von Giftködern, dazu die Verschmutzung der Flüsse durch landwirtschaftliche Abwässer in ausgewiesenen Schutzgebieten enorm zugenommen hätten. Vor allem würden sie nicht genügend bekämpft.Doch bleiben Sanktionen aus. Speziell für den Fluss Vjosë müssten verstärkte Maßnahmen zur Reinhaltung getroffen werden. Er entspringt im griechischen Pindosgebirge, ist einer der letzten über Hunderte von Kilometern naturbelassenen Wasserläufe Europas und mündet nördlich der Lagune ins Mittelmeer. Er sollte – zusammen mit seinen Nebenflüssen – einen besonders geschützten Status erhalten, am besten den eines Nationalparks, glaubt die EU. Seit 2014 ist Albanien Beitrittskandidat, seit 2018 sind Verhandlungen in Aussicht, doch gibt es immer wieder Verzögerungen. Korruption und Drogenhandel erschweren den Aufnahmeprozess. Das Flughafenprojekt gehört zu den Hindernissen.Bevor wir wieder auf Meereshöhe hinunterfahren, trinken wir Kaffee im Dorf Kerkove. Tea und Zydjon sind in der Ortschaft seit Langem bekannt. Sie waren mehrmals mit einem Kinobus hier. Das heißt, sie stellten eine Leinwand im Freien auf, die Zuschauer saßen auf Strohballen. Lehrfilme über einen längst fälligen Naturschutz wurden gezeigt. Trotzdem sind die Bewohner des Dorfes gespalten. Einige erwarten, trotz aller Einwände, von einem Flughafen nach so vielen Jahren der Armut einen bescheidenen Wohlstand.Placeholder image-1Eine Stunde später sind wir auf einem kilometerlangen Damm, der schnurgerade über die Lagune führt. Die Flamingos und Reiher lassen sich von unserem Besuch nicht stören. Im flachen Wasser suchen sie nach Nahrung. Ab und zu erhebt sich einer dieser majestätischen Vögel und segelt ein Stück über die Lagune oder lässt sich auf einer der Inseln nieder, die als Brutplätze dienen. Tea und Zydjon kommen oft aus Tirana – eine Fahrt von etwa zwei Stunden, um zu beobachten, zu fotografieren, Zählungen vorzunehmen und zu katalogisieren. Sie haben Hunderte von Fotos auf ihren Handys. Manche der Vögel begleiten sie nun schon seit Jahren. Nicht nur das nationale Vogelschutzprogramm, auch internationale Institutionen sind an ihren Ergebnissen interessiert.Bei einem Gespräch in Tirana ist Alexandër Trajçe, der Geschäftsführer von Protection and Preservation of Natural Environment in Albania, verhalten optimistisch: „In diesem kleinen Land ist ein zweiter internationaler Flughafen völlig überflüssig! Wir müssen den Widerstand in der Bevölkerung organisieren und benötigen Hilfe aus dem Ausland. Das Beste wäre es, die EU würde die Beitrittsgespräche wegen des Projekts abbrechen.“ Er sagt nicht: „Dann wäre der Flughafen vom Tisch“, sondern vorsichtiger, „dann gäbe es gute Chancen, bei einer Klage gegen die Betreiber zu gewinnen. Wir haben ein Team von Anwälten mit dem Fall beauftragt und werden auch von internationalen Organisationen unterstützt“. Schließlich wird er grundsätzlich: „Wir müssen durch wissenschaftliche Forschung und strategische Partnerschaften ein Regierungs- und Sozialklima schaffen, in dem der Erhalt unseres Naturerbes Priorität genießt . Ich bin überzeugt, nichts anderes erwarten zumindest die westlichen europäischen Nachbarn von uns.“ Wegen dieser Haltung wurde er 2013 für den Future Nature Prize nominiert.Placeholder authorbio-1
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