Im falschen Rennen

Schwans Kandidatur Schwans Kandidatur war ein Coup, der für die SPD zur Last wird

Natürlich musste die SPD einen Kandidaten aufstellen. Das neue System aus fünf Parteien zwingt alle mehr als zuvor, bei jeder Gelegenheit die eigenen Optionen zu mehren. Und diese Gegen-Kandidatur von Gesine Schwan bringt der SPD, das zeigen bereits die ersten Tage nach der Entscheidung, Bewegungsspielräume. Dass die Gegner drohen und den Vorgang nutzen, um früher als geplant ihren Lager-Wahlkampf einzuläuten, das ist ebenso nahe liegend wie unerheblich. Politiker von Union und FDP, Leitartikler von Zeit und FAZ versuchen mit hohem Rede- und Zeilenaufwand, das politisch und moralisch Verwerfliche an dieser Tat dem Publikum begreiflich zu machen: Da werde eine ganz, ganz schlimme Links-Regierung vorbereitet.

Die Vorhaltungen sind keine fünf Minuten Debatte wert, sind sie doch ohne Grund und Boden: Das Amt des Bundespräsidenten ist so unbedeutend geworden, dass von der Wahl machtpolitisch weder das eine noch das andere Signal ausgeht; das mag bei Gustav Heinemann anders gewesen sein - vor 40 Jahren. Wenn Gesine Schwan ein Markenzeichen hat, dann ihre lebenslange Beschäftigung mit den politisch verderblichen Seiten von Sozialisten und Kommunisten und ihren anti-kommunistischen Kampf. Und zudem weiß jedes Kind, dass es 2009 zu keiner rot-rot-grünen Koalition kommen wird, ist die SPD doch so derangiert, dass sie nie und nimmer das Kraftzentrum einer solchen Regierung sein könnte.

Interessanter ist die Frage, ob in dieser Gegenkandidatur eine Alternative zu Horst Köhler steckt. Köhler versucht sich als Bürger-Präsident zu positionieren, der den politischen, auch den wirtschaftlichen Eliten sagt, sie hätten mal wieder über die Stränge geschlagen. Grundeinkommen, zu hohe Managergehälter, mehr Bürgerbeteiligung, Finanzmärkte als Monster - da kommen schon einige Wortmeldungen zusammen. Bei allem: Er ist Agenda-2010-Liebhaber geblieben und Marktradikaler zugleich, aber anständig soll es zugehen auf der Welt. Was böte Gesine Schwan? Als Wissenschaftlerin, die sich mit der Entlarvung freiheitsschädlicher kommunistischer Ideologien und dem Brückenschlag zwischen Ost- und Westeuropa beschäftigt, sich dabei viel Anerkennung erarbeitet hat, ist sie nicht aus dieser Zeit gefallen. Aber was würde sie, die Kanzler Schröder ebenfalls wegen seines Einsatzes für die Agenda 2010 schätzt, so viel anderes sagen als Köhler dies ohne ihre Eloquenz tut?

Was beschäftigt diese Gesellschaft? Die große Mehrheit der politischen Elite - die wirtschaftliche Elite sowieso - konzentriert sich auf die Aufgabe, diese hocheffiziente, bereits auf Hochtouren laufende weltweit präsente Wirtschaftsmaschine Deutschland noch wettbewerbsfähiger zu machen. Der Mehrheit der Bürger fliegen seit Jahren die Konsequenzen dieser Politik um die Ohren, hat diese doch umstürzlerische Folgen für millionenfache Alltage. Der jüngste Armutsbericht gibt Einblicke, die vielfältigen Unsicherheiten, die Menschen bedrängen, erzählen auch davon. Diese Mehrheit meint deshalb, man müsse sich endlich in der Hauptsache mit diesen Folgen beschäftigen und nicht länger der Aufgabe, diese Maschine noch hochtouriger zu machen. Es ist also die Stunde für Auseinandersetzungen über eine neue Gesellschaftspolitik, für die ein in der Welt der Ökonomie Gefesselter und eine, die vor allem alte Gefahren der Freiheit im Blick hat, vermutlich wenig Gespür haben. Und das Thema "mehr Vertrauen schaffen", das beide mit Inbrunst intonieren, ist eben auch nur nett. Wenn Horst Köhler der falsche Kandidat ist, ist sie nicht die Richtige.

So ist die Kandidatur von Schwan weniger für die Gesellschaft denn für die SPD von Bedeutung. Sie signalisiert, dass die Erneuerungsarbeit der SPD bis auf weiteres abgeschlossen ist. Allein die kleinen Korrekturen, die Kurt Beck durchsetzte, brachten die Partei aus dem Tritt und ihren Parteivorsitzenden dem Abgrund näher. Es wird - daran ändert auch das neue Steuerkonzept nichts - an einer Alternative zur CDU nicht weiter gearbeitet werden. Die Risiken sind zu groß. Der Partei fehlt die Kraft. Man wird sich weiter mit Hilfe von Lupe und Seziermesserchen auf die Suche nach Unterschieden zwischen CDU und SPD machen müssen. Wo Inhalte sich gleichen, schlägt die Stunde des Marketings.

Das Produkt ist die Kandidatur Gesine Schwan - zwar nur eine Wiederholung, aber immerhin eine Option, sich mit einer wachen, intellektuellen, eloquenten Politikerin Aufmerksamkeit zu verschaffen, ohne intern weitere Verwerfungen auszulösen. Die Sozialdemokraten bedachten bei diesem Coup nur eines nicht. In ihr spiegelt sich die Fahlheit der beiden potenziellen Kanzlerkandidaten schärfer wieder, als den Beteiligten lieb sein kann.

So geht mit Gesine Schwan die beste momentan verfügbare Kanzlerkandidatin der SPD in ein Rennen um das falsche Amt. Der Coup wird deshalb zur Last.

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