Die Dreistigkeit der Heuchelei

Weltherrschaft heisst Weltkrieg Die acht europäischen Unterzeichner der »Pro-Amerika-Erklärung« sollten das wissen

Herrn Rumsfeld verdanken wir die Klarstellung, dass neben vielem anderen auch die Zeit für Argumente vergangen ist und zur offenen Beschimpfung der kriegsunwilligen Europäer übergegangen werden kann. Jener Europäer, die er die »alten« im offenbar pejorativsten Sinne des Wortes zu nennen pflegt. Nun hat sich auch die Achterschar seiner Freunde der Weltöffentlichkeit präsentiert, die als die »Willigen« von der neuen Superweltmacht ausgezeichnet worden sind und die man im DDR-Deutsch als die »gesunden Kräfte« tituliert hätte.

Das von den acht Unterzeichnern präsentierte Dokument darf man erstaunlich nennen, nicht wegen seiner intellektuellen Dürftigkeit, sondern wegen der Dreistigkeit der Heuchelei, mit der es die Weltöffentlichkeit konfrontiert. »Die wahren Bande zwischen den Vereinigten Staaten und Europa sind die Werte, die wir teilen: Demokratie, persönliche Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.«

Es wird uns nicht klar mitgeteilt, wen die Acht unter »wir« verstehen. Aber wenn sie diejenigen gemeint haben sollten, denen es mit Demokratie, persönlicher Freiheit und Rechtsstaatlichkeit Ernst ist, dann kann man nicht lautstark genug erklären, dass mit solcherlei Ernst die Zugehörigkeit zu einem Klub unvereinbar ist, der eine Solidaritätsadresse an eine Regierung richtet, die seit ihrem Amtsantritt ein solches Ausmaß an Verachtung für Demokratie, persönliche Freiheit und Rechtsstaatlichkeit an den Tag gelegt hat, dass gerade die Freunde des Mutterlandes der modernen Demokratie, dessen Symbol die Freiheitsstatue ist, sich nur mit Schaudern abwenden können.

Wer hat sich in der Gemeinschaft demokratischer Völker in Sachen internationaler Gerichtsbarkeit, des Umweltschutzes, der Abrüstungsanstrengungen derart ostentativ über jede Solidarität hinweg gesetzt wie die Bush-Administration? Wer hat die Freiheitsrechte der eigenen Bürger so drastisch eingeschränkt wie das Patriot Law der gleichen US-Regierung? Und wer hat die Menschenrechte unschuldiger Zivilisten derart marginalisiert wie diejenigen Militärs und Politiker, die ihre Tötung zu »Kollateralschäden« zu erklären wagten? Und wer hat die Menschenwürde derart mit Füßen getreten wie diejenigen, die Kriegsgefangene wie wilde Tiere in Käfige gesperrt haben, unter anderem auch zu dem Zweck, sie ordentlichen Gerichten zu entziehen? Oder sind die von Bush und seinen Beratern immer neu angekündigten Präventivschläge Aktionen besonderer Menschlichkeit?

Natürlich sind das rhetorische Fragen, denn die acht Unterzeichner der »Anti-Europa-Erklärung« wissen ganz genau, wovon hier die Rede ist. Um so schlimmer die Heuchelei, mit der sie sich für eine Politik vereinnahmen lassen, die täglich allem zuwider handelt, was die Völkergemeinschaft und besonders Bürger und Bürgerinnen der EU als ihre gemeinsame Rechtsgrundlage anerkennen.

Da wir nicht wollen, dass diese Rechtsgrundlagen, mit denen auf die Katastrophen zweier Weltkriege reagiert wurde, zur bloßen Phraseologie degradiert, untergraben und schließlich liquidiert werden, müssen wir deutlich klarstellen, dass die von der jetzigen US-Regierung beanspruchte weltpolitische Führungsrolle von A bis Z unglaubwürdig ist.

Will sie uns doch glauben machen, die Außenpolitik Bushs sei eine Reaktion auf eine neue, durch die Attentate vom 11. 9. 2001 geschaffene weltpolitische Situation. In Wirklichkeit sind alle außenpolitischen Stellungnahmen des Präsidenten und seiner Berater nur eine Fortführung der von Bush senior im November 1991 - vor mehr als elf Jahren - proklamierten Neuen Weltordnung, eines von den USA präsidierten, von ihren Verbündeten unterstützten und vom Rest der Welt hinzunehmenden Imperialismus.

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Bush-Administration auf den Irak-Krieg hinarbeitet, ist nichts anderes als ein Ausdruck des aus ihrem imperialistischen Programm abgeleiteten Anspruches auf uneingeschränkten Zugriff auf die knapper werdenden globalen Rohstoffressourcen. Wer sähe nicht, dass es sich bei diesen Ansprüchen um ein Weltkriegsprogramm handelt? Ist die Zeit allzu fern, in der es die Wasservorräte sind, deretwegen 100.000-Mann-Armeen in Bewegung gesetzt werden?

Gibt es immer noch Leute, die eine angebliche Weltbedrohung durch den Irak ernst zu nehmen bereit sind? Die USA waren es, die - ausgerechnet durch Herrn Rumsfeld persönlich! - Saddam Hussein mit chemischen Kampfstoffen gegen Iran aufgerüstet haben. Die USA waren es, die im Anschluss an den Golfkrieg von 1991 den Sturz Saddam Husseins durch die irakische Opposition verhinderten. Damals wurde uns durch das Pentagon ständig versichert, ein zielgenaues Bombardement habe das gesamte Waffenarsenal Saddam Husseins vernichtet. Trotz dieser »Vernichtung« schlossen sich jahrelange Inspektionen des Irak an, die - sehr zum Schaden der UN! - von den USA eifrig zur Spionage und Vorbereitung weiterer Bombardements genutzt wurden.

Und wie glaubwürdig ist das angebliche Kriegsziel, die gefährlichen Waffen Saddam Husseins zu zerstören? Entschärft man neuerdings ABC-Waffen dadurch, dass man sie bombardiert? Warum werden dann keine Bombardements auf jene Staaten angekündigt, die - in brisantesten Spannungsgebieten gelegen - ebenfalls über Kernwaffen verfügen, wie Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea, wobei letzteres ja bekanntlich sogar zur sogenannten »Achse des Bösen« gehören soll?

Nein - diese Mythologie aus lauter Unglaubwürdigkeiten kann kein vernünftiger Mensch mehr nachvollziehen. Stellen wir darum einmal klar, worum es eigentlich geht. Wir sehen uns der Tatsache gegenüber, dass die für die derzeitige UN-Politik geltende Voraussetzung, der Besitz von Kernwaffen sei ein Privileg der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, hinfällig geworden ist. Eine durch und durch undemokratische Situation, deren einzige Rechtfertigung ihre Herkunft aus der Anti-Hitler-Koalition war.

Sie hat sich in doppeltem Sinne erledigt: Erstens hat die Globalisierung des technischen Fortschritts die Idee, bestimmte Staaten von einer Kernwaffenherstellung auszuschließen, illusorisch werden lassen. Zweitens aber ist durch das Ende der Sowjetunion tatsächlich eine Neuordnung der Völkergemeinschaft und ihrer Verfassung unerlässlich geworden. Freilich kann dies nicht eine antidemokratisch-imperialistische sein, wie sie die Bush-Dynastie proklamiert. Sie muss vielmehr auf einer Globalisierung der Konzepte des Helsinki-Prozesses beruhen, die es auch erforderlich macht, die Verfassung des Sicherheitsrates so zu verändern, dass eine Instrumentalisierung gegen Geist und Buchstaben der UN-Charta durch besondere Privilegien beanspruchende Staaten für immer ausgeschlossen ist.

Die acht Unterzeichner des »Aznar-Blair-Papiers« sollten daran erinnert werden, dass sie - soweit sie Mitglieder der EU sind oder es werden wollen - verpflichtet sind, die im jetzigen Primärrecht der EU enthaltene Bindung an die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten. Widrigenfalls könnte gegen sie ein Verfahren nach Art. 7 EU-Vertrag angestrengt werden, das sie mit der Aussetzung ihrer Mitgliedsrechte bedroht.

Das Traurigste freilich an der Initiative der Acht ist, dass sich Václav Havel zur Unterzeichnung eines Dokuments hat bewegen lassen, das aus dem in aller Welt angesehenen Bürgerrechtler einen Mitläufer gemacht hat. Hätte nicht wenigstens ihn die fatale Nähe der »willigen Vasallen« zu jenen »gesunden Kräften« 1968 in Prag, die sich der Sowjetführung und ihren Verbündeten beim Einmarsch in die CSSR andienten, abhalten müssen, seine Unterschrift unter ein Papier zu setzen, das den Geist und die Verträge Europas bewusst ignoriert? Gehörte gerade Havel nicht statt in den Kreis von »Willigen« und anderen Opportunisten an die Seite wahrer Atlantiker, die mit Roosevelt und Churchill »zu der Überzeugung gelangt sind, dass alle Nationen der Welt, aus realistischen wie spirituellen Gründen, auf den Gebrauch von Gewalt verzichten müssen«? (Atlantikcharta vom 14. August 1941)

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