Hoch zu Ross

Präzedenzfall Bodenreform Sie ist ein Prüfstein dafür, ob der Revision von Geschichte widerstanden wird

Unsere deutschen Besitzeliten - was alles hat man mit ihnen schon erleben müssen! Das Echo des im Verhandlungssaal des Straßburger Gerichtshofes für Menschenrechte randalierenden Adels hat man in fast allen Medien hören können. Und als bekannt war, dass ich als Minister der Modrow-Regierung entschieden für die Unantastbarkeit der Bodenreform eintrat, erhielt ich von den betroffenen Adligen Briefe, in denen sie die Bodenreform mit der so genannten "Arisierung" jüdischen Eigentums gleichsetzten. Gerade angesichts derart schmählicher Entgleisungen sei nicht verschwiegen, dass das Mitglied einer Familie, die einen der erlauchtesten Namen der jüngeren deutschen Geschichte trägt und einen entsprechend großen Besitz nach 1945 verloren hat, mir versicherte, es habe keinerlei Verständnis dafür, wie man angesichts der größten Katastrophe der deutschen Geschichte nur damit beschäftigt sein könne, ein möglichst großes Stück Privateigentum aus dem Unglück des Vaterlandes zu retten.

Eine Aussage, die mich an eine unvergessliche Szene in der Dresdner Bombennacht vom 13. Februar 1945 erinnert. Ich sah, während wir anderen unser abgedecktes Dach gegen Funkenflug verteidigten, wie eine Mitbewohnerin dabei war, eine Konsolenuhr in den Keller zu tragen. Meine Güte, musste ich damals knapp Sechzehnjähriger denken, was nützt dir deine Uhr, wenn hier alles niederbrennt und zerschlagen wird?

Aber die in Straßburg klagenden Alteigentümer weisen derartige Erinnerungen an die historischen Hintergründe der Bodenreform mit dem kategorischen Einspruch zurück, ihnen gehe es einzig und allein um die Durchsetzung des Eigentumsrechtes, das im Grundgesetz als Inhalt des Artikels 14 normiert ist und darum zu den Fundamenten unserer Demokratie gehört.

In der Ausgabe vom 29. Januar hat sich der Herausgeber der Zeit, Michael Naumann, zum Sprecher dieser Position gemacht. Dabei zeigt er freilich, wie weit die von ihm vertretenen Rechtsauffassungen von der historischen Wirklichkeit entfernt sind, um die es bei der Bodenreform gegangen ist und noch immer geht. Spricht er doch tatsächlich von "sowjetischen Konfiskationen" und vergleicht sie mit den Verfolgungen der "Kulaken" durch Stalin.

Ein bei den enteigneten Großgrundbesitzern nur zu beliebter Vergleich. Völlig fixiert auf ihr Standesdenken der "Junker" weigern sie sich zu akzeptieren, dass das für die Enteignungen maßgebliche Merkmal nicht der Stand des Besitzers, sondern die Festlegung eines Grundbesitzes war, der nicht über 100 Hektar liegen durfte. Aus diesem Grunde waren ja auch bekannte Hitlergegner, wie der wegen seines Sozialengagements allseits verehrte Baron von Wilmowski auf Burgholzhausen unter den Enteigneten.

Rechtsgrundlage der Maßnahme war nicht irgendeine "kommunistische Ideologie", wie jene behaupten, die es noch immer nicht geschafft haben, sich von den Klischees des Kalten Krieges zu lösen. Rechtsgrundlage der Bodenreform war - neben der für sie durchgeführten Volksabstimmung - die Vier-Mächte-Autorität, in der die Sowjetunion genau so zu ihrem Handeln legitimiert war wie die Westmächte bei der Auflösung des Landes Preußen als des entscheidenden Hindernisses für den deutschen Föderalismus.

Juristischer Unsinn ist Naumanns Schlussfolgerung, was für das jüngst ergangene Urteil zugunsten der Erben von Bodenreformland zutreffe, das müsse in weit höherem Maße für die Alteigentümer von 1945 - 1949 gelten. Die 1992 verfügte Enteignung dieser Erben war rechtswidrig nicht nur im Sinne des Artikels 14 GG, sondern widersprach ebenso dem Einigungsvertrag, der die Unantastbarkeit der Bodenreform zum Verfassungsrecht erhoben hatte. Also muss diese Enteignung rückgängig gemacht beziehungsweise durch angemessene Entschädigung ausgeglichen werden.

Dass der Bund für beides zuständig ist - es mag Naumann passen oder nicht - ist eine Folge der Fehlentscheidung vom Sommer 1990, die den Bund und nicht die wiedererrichteten Ostländer zu Rechtsnachfolgern einer der Bundesrepublik beitretenden DDR ernannt hat. Es bleibt der Bundesregierung nach dem Straßburger Urteil also nichts übrig, als mit den Ländern einen für beide Seiten erträglichen Modus der Rückübertragung oder Entschädigung auszuhandeln.

Ganz anders verhält es sich mit dem Jahr 1945 und seinen Folgen. Wer die Legitimität der Bodenreform anfechten will, muss dies gegen die Legitimität des Besatzungsrechtes begründen und durchsetzen, also gegen eine Rechtsposition, die von der Sowjetunion ausdrücklich im Vereinigungsprozess geltend gemacht wurde. Auf das Grundgesetz oder die Europäische Menschenrechtskonvention zu rekurrieren verbietet sich, weil beide 1949 und 1950 entstanden, folglich zur Zeit der Bodenreform noch nicht existierten und ihre Anwendung als Klagegrundlage sowohl gegen das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes wie das der Europäischen Menschenrechtskonvention verstieße.

Krasser noch als Naumanns juristische Fehlschlüsse sind seine grob falschen Behauptungen zum historischen Kontext der Bodenreform. War es ihm nicht möglich, die Unterlagen zum 2+4-Vertrag gründlich durchzusehen? Er hätte dabei einen Blick in den als Anhang zum Vertragstext formulierten Brief Genscher - de Maizière an die Außenminister der vier Mächte der Anti-Hitler-Koalition werfen und dort den seine Schlussfolgerungen vernichtenden Satz lesen können: "Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher beziehungsweise besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen."

Dass Naumann wie der größere Teil der Kommentatoren dies ignoriert, erklärt sich sehr einfach aus der Tatsache, dass sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass das Bestehen auf der Rechtmäßigkeit der Bodenreform und der daraus folgenden Entscheidung für das Fortgelten derselben auf eine Initiative der Modrow-Regierung aus der Zeit ihrer Zusammenarbeit mit dem Runden Tisch zurückgeht. Was meinen persönlichen Anteil an dieser Sache betrifft, so habe ich mich besonders deswegen für den Erhalt der Bodenreform eingesetzt, weil ich in ihr immer das gesehen habe und auch noch sehe, was das Grundgesetz in Artikel 14 Abs. 3 "Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit" nennt.

Die Bodenreform war ein Schritt zur längst fälligen und gerade in Ostdeutschland nötigen Demokratisierung der Eigentumsverteilung und in nicht geringerem Maße ein Lastenausgleich zugunsten von Flüchtlingen und Vertriebenen. Man kann nur dankbar sein, dass sich Bundesregierung, Bundestag und Bundesverfassungsgericht diese Rechtsauffassung zu eigen gemacht haben, genau wie im Fall des Stasi-Unterlagengesetzes, das ebenfalls der frei gewählten Volkskammer der DDR zu verdanken ist.

Angegriffen wird diese Rechtsauffassung mit so abwegigen Vorstellungen wie denen angeblich sowjetischer Konfiskationen von einem leider in der Nachkriegsbundesrepublik tief eingewurzelten Revisionismus, der nicht wahr haben will, dass die Hitlergefolgschaft einer Mehrheit der Deutschen die Staatlichkeit Deutschlands bis in die Fundamente zerstört hat. Man weiß, wie verheerend dieser Revisionismus sich bereits auf die Beziehungen zu den künftigen EU-Ländern Polen und Tschechien ausgewirkt hat, wo man mit Recht die daraus folgenden Restitutionsansprüche fürchtet. Um so wichtiger ist es, diesem Revisionismus in unserem eigenen Lande entgegenzutreten. Die Stellung zur Bodenreform ist ein unbestechlicher Prüfstein dafür, wie weit dem Revisionismus standgehalten oder ihm nachgegeben wird. Die Zeit meinte titeln zu sollen: "Am Anfang der Einheit stand eine Lüge." Als für die Festschreibung der Bodenreform Mitverantwortlicher stelle ich dem die Behauptung entgegen: Am Anfang der Einheit stand der unverblümt ausgesprochene Wille, die in der DDR durchgesetzte Demokratisierung des Eigentums und den durch sie erfolgten Kriegsfolgelastenausgleich rückgängig zu machen. Die Konsolidierung der Bodenreform hat diesen Absichten eine Grenze gesetzt. Darum ist sie unwiderruflich.


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