Es war nicht alles schlecht – in der Bundesrepublik. Vor 25 Jahren, genau am 16. Februar 1987, standen zwei Bundesminister und ein Manager vor Gericht, um das gegen sie verhängte Urteil wegen Steuerhinterziehung entgegen zu nehmen. So etwas gab es bis dahin noch nie.
Dabei hatten es die Übeltäter nur gut gemeint. Der Manager – er hieß Eberhard von Brauchitsch – wollte nur das tun, was alle aufrechten Staatsbürger auch gern tun möchten, aber nicht dürfen: Möglichst keine oder zumindest weniger Steuern zahlen. Eberhard von Brauchitsch wollte dies seiner Firma – es war der Flick-Konzern – ersparen. Die zuständigen Wirtschaftsminister Hans Friderichs von den Liberalen und sein Nachfolger Otto Graf Lambsdorff, ebenfalls FDP, zeigten Verständnis für Brauchitschs Sparwünsche und entlasteten seine Firma von der lästigen Steuerzahlung. Sie wäre nicht unbeträchtlich gewesen. Schließlich hatte der Flick-Konzern im Jahr 1975 Aktien im Gesamtwert von 1,9 Milliarden DM verkauft. Dabei handelte es sich nicht um irgendwelche Wertpapiere, sondern um solche der Daimler-Benz AG, die auch nicht an irgendwelche Klienten, sondern an die Deutsche Bank veräußert worden waren. So weit, so gut – und so teuer.
Tüchtiger Steuerfahnder
Nicht gut und für den Staat auch ziemlich teuer war – die Steuersumme belief sich immerhin auf 986 Millionen DM –, dass dem Flick-Konzern eine Steuerbefreiung zugestanden wurde, weil es sich bei dem Aktien-Verkauf um „volkswirtschaftlich förderungswürdige Reinvestitionen“ gehandelt habe. Jedenfalls wollten das die freidemokratischen Wirtschaftsminister Fridrichs und Lambsdorff so erkannt haben. Darauf kamen sie jedoch nicht wegen ihres finanzpolitischen Sachverstandes, sondern durch die – sagen wir es so – finanzielle Nachhilfe Eberhard von Brauchitschs. Der Flick-Manager hatte nämlich Fridrichs, Lambsdorff und einige andere frei-, christ- und sozialdemokratische Politiker großzügig mit Spenden bedacht. Natürlich nicht offen, sondern getarnt und in gestückelten Zahlungen von jeweils 30.000 bis 100.000 DM. Das fiel einem tüchtigen Steuerfahnder auf. Davon gab und gibt es nicht viele. Daher ist es absolut berechtigt, seinen Namen zu nennen. Er hieß Klaus Förster und durchforstete die Kassenbücher des Flick-Konzerns. In dem äußerst penibel geführten Kassenbuch von Rudolf Diehl, des überaus tüchtigen „Generalbuchhalters“ dieses Unternehmens, waren geheimnisvolle Geldzahlungen an verschiedene Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien vermerkt. Förster zählte alles zusammen und gab das Ergebnis an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter. Diese zählte zwar nicht alles nach, wohl aber eins und eins beziehungsweise die Tatbestände „Bestechung“ und „Bestechlichkeit“ zusammen und erhob Anklage gegen verschiedene Manager und Politiker.
Mit den nun eingeleiteten Strafverfahren sank die Zahl der Beschuldigten auffallend und merklich. Einigen von ihnen musste nämlich vom Gericht ein „schlechtes Erinnerungsvermögen“ attestiert werden. Das war nicht gut, bewahrte sie aber vor weiteren Befragungen und denkbaren Bestrafungen. Zum Schluss blieben nur noch von Brauchitsch, Fridrichs und Lambsdorff übrig. Sie hätten, wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, wegen Bestechung und Bestechlichkeit verurteilt werden müssen. Stattdessen wurden sie nur der Steuerhinterziehung und Beihilfe dazu für schuldig befunden und verurteilt. Graf Lambsdorff musste eine Geldstrafe von 180.000 DM zahlen. Seine Anwalts- und Prozesskosten in Höhe von 515.000 DM sind ihm freilich von seinem Ministerium erstattet worden. Das war nicht schlecht, aber auch nicht gut. Immerhin führte es dazu, dass der rechtskräftig verurteilte und damit vorbestrafte Wirtschaftsminister Lambsdorff zurücktreten musste.
Dieses Bauernopfer des Grafen war den Grünen allerdings nicht genug. Sie forderten mehr. Konnten dies auch deshalb tun, weil sie zu von Brauchitschs Zeiten nicht im Parlament vertreten waren, weshalb sie von der Versuchung verschont blieben, sich von ihm mit Spenden korrumpieren zu lassen. Doch mit dieser etwas gemeinen Bemerkung können und sollen die Verdienste nicht geschmälert werden, die sich die Partei bei der Aufklärung der Flick-Affäre erwerben konnte. Ihr Vertreter im Untersuchungsausschuss des Bundestages – es war der frühere RAF-Anwalt und spätere SPD-Innenminister Otto Schily – verlangte von den einschlägigen Ministerien Akteneinsicht. Dies wurde ihm gewährt, jedoch erst nach einem entsprechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und letztlich auch nur partiell. Doch das, was Schily und einige andere nicht so parteiliche Volksvertreter im Untersuchungsausschuss herausfanden, war schon bemerkenswert. Immerhin konnte nachgewiesen werden, dass der damalige Bundestagspräsident Rainer Barzel (CDU) ebenfalls Zuwendungen von der Firma Flick erhalten hatte. Als dies bekannt wurde, sah sich der einstige Kanzleraspirant der Union gezwungen, besser zurückzutreten. Dieses Schicksal drohte auch dem damaligen Bundeskanzler und späteren „Kanzler der Einheit“, Helmut Kohl. Gegen ihn wurde Strafanzeige wegen Falschaussage im Untersuchungsausschuss gestellt. Kohl berief sich zu seiner Rechtfertigung auf leider aufgetretene Erinnerungslücken. Und Heiner Geißler, der damalige CDU-Generalsekretär, bescheinigte ihm gar einen „Blackout“. Das bewahrte Kohl vor einer Strafverfolgung. Auch nicht schlecht!
Kohls Blackout
Gut war, dass sich bei alldem die Repräsentanten der etablierten Parteien nicht mit ihren Bestrebungen durchsetzen konnten, über die ganze Sache Gras wachsen zu lassen. Das von ihnen allen Ernstes vorgeschlagene Amnestiegesetz kam nicht zustande. Was nicht zuletzt das Verdienst der oder zumindest von Teilen der Medien war, die ihrer sonst vielfach zu Unrecht gelobten Rolle als des Staates Vierter Gewalt wirklich nachkamen, indem sie die Flick-Affäre zu einem Skandal gemacht hatten, durch den die demokratische Bundesrepublik in ihren demokratischen Grundfesten erschüttert wurde.
Ende gut – alles gut? Hier sind doch einige Zweifel angebracht. Sicher, das Parteienfinanzierungs-Gesetz wurde verschärft, womit der wohlgemerkt immer und von Anfang an illegalen Parteienfinanzierung engere Grenzen gesetzt worden sind. Im Jahr 2002 entschloss sich der Gesetzgeber dann dazu, den unter Strafe zu stellen, der absichtlich die Herkunft von Einnahmen der Parteien verschleiert oder sonstige unrichtige Angaben über deren Finanzen macht.
Doch geholfen hat das nicht viel. Es gab und es gibt noch weitere Fälle von Korruption „in diesem“ – um einmal einen Lieblingsspruch des Kanzler Kohls zu gebrauchen – „unserem Lande“. Sie gefährdeten die Reputation und den demokratischen Charakter des Staates – eine korrupte Demokratie ist und kann nämlich keine gute Demokratie sein.
Doch dazu nichts mehr – und schon gar nichts zur causa Christian Wulff. Dafür sollen sich Journalisten interessieren. Mich als Historiker interessieren mehr die tatsächlichen und möglichen Folgen des Flick-Skandals. Die tatsächlichen waren, wie gesagt, gering. Die möglichen hätten immens sein können. Was wäre geschehen, wenn sich Helmut Kohl nicht auf seinen „Blackout“ hätte heraus reden können? Wäre er dann auch zum Kanzler der Einheit geworden? Hätte man den verteufelten „Unrechtstaat“ DDR so einfach an den verherrlichten Rechtsstaat BRD anschließen können? Doch diese Wenn-Fragen stehen einem Historiker nicht zu. Er hat sich mit der faktischen und nicht mit der kontra-faktischen Geschichte zu beschäftigen. Fakt ist und zur faktischen Geschichte gehört, dass auch in der Bundesrepublik „nicht alles schlecht war.“ Oder? Was meinen Sie?
Wolfgang Wippermann hat bereits über den sogenannten Radikalenerlass von 1972 geschrieben
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