Hat er nicht tausendmal recht? Dass wir von einer Bande unfähiger Idioten regiert werden? Dass sich ein übergriffiger Erziehungsstaat immer unverfrorener in unser Leben einmischt? Dass der Wahnsinn der Identitätspolitik an den Sorgen der Mehrheit vorbeigeht? Dass wir „die irrsinnigste Politik aller Zeiten“ erleben?
Am Stammtisch würde ein Journalist sicher bewundert, der so furcht- und respektlos zupackt wie Ex-Bild-Chef Julian Reichelt. Der so volksnah daherkommt, dass seine „Meinungsshow“ Achtung, Reichelt! in nur zwei Monaten bereits knapp 160.000 Abonnenten auf Youtube verzeichnet.
Reichelt hat eben keine Angst, von der woken Blase als „Nazi“, „Schwurbler“ oder „Rassist“ beschimpft zu werden. Es ist ihm egal,
chimpft zu werden. Es ist ihm egal, ob „die Mainstreammedien“ ihn in die rechte Ecke stellen oder Medienkritiker verächtlich die Nase rümpfen. Er will nicht den Kollegen gefallen, sondern ergebener Diener des Volkes sein: „Der härteste und schärfste Widersacher von Scheinheiligkeit und Heuchelei in der Politik“. So sagt er es zu Beginn jeder Sendung. Und spendet damit allen Wütenden da draußen Trost und Kraft zum Widerstand: „Lassen Sie sich nicht einschüchtern! Sie sind nicht allein mit Ihrer Meinung.“Vorbild Tucker CarlsonDer Fernsehprediger Reichelt setzt auf Fundamentalopposition, denn da sieht er „eine Marktlücke“: „Es gibt eine Mehrheit im Land, die de facto keine Medien mehr hat, das sind ganz normale Menschen mit ganz normalen Ansichten. Die werden den ganzen Tag von den Medien angebrüllt, was sie zu tun und zu denken haben. Und was sie besser nicht sagen.“ Für diese Mühseligen und Geschundenen, die von den linken Eliten „tagein, tagaus beschimpft“ werden, will er da sein. Ihnen will er aus der Seele und aus dem Herzen sprechen.Das hört sich dann so an: „Wir haben einen wahnsinnigen Gesundheitsminister, einen offensichtlichen Hochstapler und Lügner“, der uns mit seiner „Angstpropaganda“ einen „weiteren Winter des Wahnsinns“ bescheren will. Ferda Ataman, die neue Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, ist „eine lupenreine Rassistin“, „eine knallharte Ideologin“, eine „Totalitäre“, eine „Hasspredigerin“. Oder Sven Lehmann, „der durchgeknallte Queerbeauftragte der Regierung“: „ein grüner Hetzer“, ein „Tyrann“. Diese linken Identitätspolitiker „terrorisieren uns“ mit ihrem „Woke-Wahnsinn“ und wollen „Ihre Familie ausradieren“. Oder Wirtschaftsminister Robert Habeck, „der personifizierte Blackout“: „Beleidigt Millionen Deutsche“ und quält uns mit eiskalten Wohnungen.Die Grünen und ihr geistiges Umfeld sind Reichelts Lieblingsfeinde: „Grüne nehmen uns in Geiselhaft“, „Habecks grüne Freunde scheffeln Milliarden mit unserem Strom-Leid“, „Je ärmer das Land wird, desto reicher werden die Freunde der Grünen“, „Grüne verlangen allen Ernstes: Deutsche sollen im Müll wühlen“, „Furz-Steuer für Kühe: Grüne lassen uns fürs Klima hungern“, „Grüne bauen Spitzel-Apparat“, „Irre Grüne“ wollen „grünen Sozialismus“. „Klima-Terroristen und Regenbogen-Hetzer planen den Umsturz“, „Öko-Radikalinskis“, „Nachwuchs-Terroristen“, „Klima-Intifada“, „Klima-RAF“!Das ist Stimmungsmache, die an das Stürmer-Prinzip erinnert. Immer in die gleiche Kerbe hauen, permanent Panik schüren. „Wir gehen alle bankrott“, „Unser Leben wird unbezahlbar“. „Der totalitäre Staat“ überwacht uns. „Die Medien verschweigen die Wahrheit“ und alle stecken unter einer Decke. Julian Reichelt redet wie der wütende Donald Trump, der an der Spitze des Staates „bösartige Monster“ sieht, die „von linksradikalen Schurken, Anwälten und den Medien kontrolliert werden, die ihnen sagen, was sie zu tun haben.“Seine US-Vorbilder hat Reichelt offenbar genau studiert. Bis in die Details des Bühnenbildes ahmt er nach, was der rechtspopulistische Fernsehprediger Tucker Carlson in seiner allabendlichen Tonight Show bei Fox News zelebriert. Hier wie dort die gleichen Stilmittel, die gleichen Feinde, sogar die Wahnbilder ähneln sich: der linke Überwachungsstaat, der von oben geplante Bevölkerungsaustausch, die Coronadiktatur. Es sieht aus, als wollten Carlson und Reichelt Sidney Lumets Film Network aus dem Jahr 1976 noch einmal nachspielen. In dieser bitterbösen Satire auf das Privatfernsehen erlebt der ausgemusterte Nachrichtenmoderator Howard Beale als wütender Fernsehprediger ein phänomenales Comeback. Er wiegelt seine Zuschauer mit haltlosen nationalistischen Tiraden immer mehr auf und bietet dem auflodernden Hass zugleich ein Ventil: Die Einschaltquoten schießen in die Höhe, der Sender macht Kasse. Bis zu jenem Moment, in dem der oberste Boss des Senders die Reißleine zieht und dem verdatterten Beale die Grundregeln des internationalen Kapitalismus erklärt. Eine grandiose Szene, die Tucker Carlson und Julian Reichelt noch bevorsteht.Aber wer ist Reichelts Oberboss? Nachdem ihn Springer-Chef Mathias Döpfner im Oktober 2021 von seinen Aufgaben als Bild-Chef „entbunden“ hatte, musste er sich einen neuen Förderer suchen. Er wurde schnell fündig. Denn auch in Deutschland gibt es inzwischen genügend Milliardäre, die sich ein kläffendes Kampfhündchen halten wollen. Und hier wird die Sache tatsächlich interessant, denn AfD-Unterstützer wie der kürzlich verstorbene Bankier August von Finck oder der Duisburger Immobilienunternehmer Henning Conle kommen für Reichelt nicht infrage. Zwar verbreiten seine Kritiker das Missverständnis, er reite auf der Welle der AfD, doch das ist nur Show. Die AfD, sagt Reichelt, stelle zwar die richtigen Fragen, gebe aber keine befriedigenden Antworten, von Holocaust-Relativierern und Putin-Freunden in ihren Reihen ganz zu schweigen. Nein, Reichelt möchte, dass die CDU wieder so rechts wird, wie sie mal war. Teaparty und Donald Trump haben es ja auch geschafft, die US-Republikaner in kompromisslose Rechtspopulisten zu verwandeln. Solche Aggressivität, solchen unbedingten Machtwillen wünscht er sich bei der CDU. Dazu müsse die Partei den selbstmörderischen „Linkskurs“ Angela Merkels aber endlich hinter sich lassen und Tacheles reden.Der CDU-WirtschaftsratReichelt will, dass die CDU den „irren Grünen“ nicht länger hinterherläuft, sondern die Profitinteressen der vom „Klima-Wahnsinn“ gebeutelten Unternehmer schützt, und da kommt ihm der CDU-Wirtschaftsrat gerade recht Das ist jener Verein, in dem der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bis vor Kurzem Vizepräsident war. Und in dem der Koblenzer Selfmade-Milliardär Frank Gotthardt Ehrenvorsitzender des rheinland-pfälzischen Landesverbandes ist. Im CDU-Wirtschaftsrat sammeln sich Deutschlands konservative Hidden Champions, jene Provinzunternehmer, die Weltfirmen aufbauten und Milliardengewinne scheffelten, aber stets über zu hohe Steuern, zu hohe Löhne, zu schlechte Politik und zu viele Umweltauflagen klagen und sich bisweilen zu Höherem berufen fühlen.Frank Gotthardt etwa besitzt neben seinem Milliardenunternehmen ein paar regionale Fernsehsender, die bisher kaum jemand auf dem Schirm hat. Die bräuchten, so seine Überzeugung, einen Unruhestifter, der für Aufsehen sorgt, einen Krawallmacher, der der ungeliebten Ampelregierung Feuer unter dem Hintern macht. „Wir müssen werden wie die Bild-Zeitung“, lautet offenbar sein Credo. Also trafen sich Gotthardt und Reichelt Anfang des Jahres zum Abendmahl, mit der Folge, dass Reichelts Firma „Rome Medien GmbH“ nun Untermieter bei Gotthardt ist. Reichelt ist also nicht Diener des Volkes, sondern eher Diener der Milliardäre.Vermutlich glaubt Reichelt tatsächlich, dass Deutschland von Linksradikalen regiert wird. Dass uns Grüne und öffentlich-rechtliche Medien eintrichtern, was wir zu denken haben, und dass jedes Aufmucken mit Einschüchterung und Ausgrenzung bestraft wird: „Wird der Bürger unbequem, erklärt man ihn für rechtsextrem“. Reichelt möchte deshalb offenbar zurück in die gute alte Zeit, wo es noch keine woken Minderheiten gab, die sich permanent wichtig machen, sondern überall „gesunde Familien“, die gern mit Atomstrom heizten, im Garten grillten und keinen „irren Messerattacken“ von gefährlichen Migranten ausgeliefert waren.Achtung, Reichelt! ist jene Show, die dem Großkapital als Drohpotenzial dient, um den bevorstehenden Systemwandel aufzuhalten. So wie sich Italiens Großgrundbesitzer nach dem Ersten Weltkrieg die Faschisten als Schutztruppe holten, um „die rote Gefahr“ abzuwehren, so holen sich die Milliardäre jetzt ihre (bislang nur verbal attackierenden) Schlägertrupps gegen alles, was nach links-grün versifftem Umsturz aussieht.Springer-Chef Döpfner und Frontmann ReicheltMoment, werden Freitag-Leser jetzt einwenden, ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen? Hängt der Autor die Sache nicht viel zu hoch? Und tatsächlich: Der Dauerkonsum von Achtung, Reichelt! enthemmt, sein plakativer Stil färbt ab, man lässt der Wut freien Lauf. Und spürt, wie erleichternd, wie „reinigend“ ein klares Weltbild sein kann.Aus der Distanz betrachtet ist Achtung, Reichelt! dagegen eine Lachnummer. Schon wie er dasitzt und hastig sich verhaspelnd seine monotone Wut vom Teleprompter abliest – das ist Realsatire. Oliver Kalkofe oder Jan Böhmermann arbeiten bestimmt schon an einer Parodie. Doch die Leute, die Reichelts Sendung unterstützen, muss man durchaus ernst nehmen. Denn Achtung, Reichelt! ist erst der Anfang. Weitere Shows, etwa für Wirtschaft, sind geplant. Frank Gotthardts Regionalsender in Koblenz kooperiert bereits mit Bernd Förtschs Kulmbacher Der Aktionär TV. Hier, im Medien-Outback der Provinz, entsteht vielleicht jener deutsche Fox News Channel, den der Springer-Konzern im eigenen Haus nicht zustande bringt.Hat Reichelt damit Erfolg, könnte das alte Dreamteam aus Springer-Chef Döpfner und Frontmann Reichelt wieder zusammenfinden: Hier der wirklich letzte und einzige Verleger in Deutschland, „der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt“, indem er seinen Führungskräften ein Morgengebet für Trumps Wiederwahl ans Herz legt, dort der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der als „härtester Widersacher gegen Scheinheiligkeit und Heuchelei in der Politik“ gegen den woken Irrsinn der grünen Erziehungsdiktatur zu Felde zieht. Ein Feldzug wäre es auf jeden Fall. Der eine liefert die schweren Waffen, der andere feuert sie ab.