Andrij Melnyk hat seine Mission in Deutschland erfüllt: Er durfte einfach alles

Meinung Manche Journalisten behandelten Andrij Melnyk wie verliebte Teenager, die Bundesregierung schwieg zu seiner Faschistenverharmlosung. Nun holt Kiew den Botschafter der Ukraine nach Hause. Er ist in eine Falle getappt
Ausgabe 27/2022
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland

Foto: Georg Wendt/Pool/Getty Images

Nun ist „der erfrischend andere Botschafter“ doch noch gestolpert. Andrij Melnyk, Deutschlands bekanntester Undiplomat, wird nach Kiew zurückbeordert, um dort einen Posten im Außenministerium zu übernehmen. Er hat seine Sache, wie man so sagt, überrissen.

Zwei Dinge sind an seinem Abgang bemerkenswert. Erstens: Die deutsche Politik hat sich zu keinem Zeitpunkt getraut, Melnyk in die Schranken zu weisen. Zweitens: Die liberalen Leitmedien haben in eklatanter Weise versagt.

Gehen Fernsehtalker und Großkolumnisten sonst bei jedem Naziverdacht sofort in moralisch korrekte Habacht-Stellung, erlagen sie hier wie verliebte Teenager Andrij Melnyks zweifellos vorhandenem Charme. Es war „der Guttenberg-Effekt“. Da trat ein Diplomat nicht wie ein Diplomat auf, sondern kämpfte hemmungslos und „scharfzüngig“ für eine „gerechte Sache“. Nichts lieben voreingenommene, politisch oft naive Journalisten mehr als „unverstellte Direktheit“! Und Melnyk war stets für eine Schlagzeile gut.

Wie ein Popstar wurde er durch die Talkshows gereicht und durfte jeden abkanzeln, der sich seiner beschränkten Weltsicht in den Weg stellte. Auch der Kanzler, der Bundespräsident und Deutschlands beliebteste Intellektuelle bekamen das zu spüren. Er nannte sie Loser, Arschlöcher und beleidigte Leberwürste. Der Krieg in der Ukraine brachte es mit sich, dass selbst „Aufklärungsorgane“ wie der Spiegel und das öffentlich-rechtliche Fernsehen artig über Melnyks Faschistenverharmlosung hinwegsahen. Niemand konfrontierte ihn damit.

Andrij Melnyk redet sich um Kopf und Kragen

Es musste erst ein frecher Außenseiter wie Tilo Jung kommen, der Melnyk nach allen Regeln der Kunst aufs Kreuz legte: Eingelullt von einem ebenso duz-freundlichen wie schmeichelhaften Rückblick auf sein Leben lief der Botschafter dem Interviewformat jung & naiv in die Falle. Gefragt nach dem verehrten Lemberger Faschistenführer Stepan Bandera, redete sich Melnyk um Kopf und Kragen.

Er leugnete die Beteiligung der ukrainischen Nationalisten an der Ermordung von Polen und Juden im Zweiten Weltkrieg und ließ die ihm entgegengehaltenen Dokumente nicht gelten. Historische Forschung? Alles von Wladimir Putin gesteuerte Narrative! Melnyks sture Ignoranz empörte viele Zuschauer so, dass sich die Regierungen Polens und Israels distanzierten. Die Bundesregierung? Schwieg.

Zu keinem Zeitpunkt – und die Liste der despektierlichen Melnyk-Äußerungen ist wirklich lang – platzte den Regierungsparteien der Kragen. Einzelne Staatssekretäre oder Abgeordnete, die sich über Melnyks herrischen Ton beschwerten, wurden zurückgepfiffen, in den sozialen Medien machten die Melnyk-Fans jeden nieder, der Kritik am Botschafter übte. Kein Parteivorsitzender, kein Generalsekretär (Linke und AfD ausgenommen) hatte die Kraft zur klaren Widerrede.

Der Botschafter wurde weder ins Außenministerium einbestellt noch verwarnt. Er durfte einfach alles. Das erinnerte an US-Botschafter Richard Grenell, der sich genauso dreist in die deutsche Politik einmischte. Kein Wunder, dass schon bald die „Verschwörungstheorie“ aufkam, hinter Melnyk stehe nicht nur die ukrainische, sondern auch die US-Regierung. Sein Auftrag sei es, Deutschland in den Krieg zu ziehen und das deutsch-russische Verhältnis zu torpedieren.

Das ist ihm „auf erfrischende Art“ gelungen. Er kann deshalb sagen: „Mission accomplished“. Mission erfüllt.

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