Die FDP ist wieder da. Union und SPD reißen sich um sie, Medien gieren nach Interviews und der Psychologe Stephan Grünewald registriert eine „regelrechte Lindner-Verliebtheit“ in der Bevölkerung. Gemessen an ihren Werbespots ist die FDP die derzeit modernste, professionellste und am cleversten gestylte deutsche Partei. Die von der Berliner Werbeagentur „Heimat“ betreute, von den Springer-Zeitungen eifrig unterstützte FDP-Kampagne präsentiert eine ganz auf den jungen Spitzenkandidaten zugeschnittene One-Man-Show: Christian Lindner als einsamer Held, der mutig und unverdrossen anrennt gegen all die Bedenkenträger, Miesmacher und Bremser, welche die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gefährden.
Man könnte die Image-Politur – mit Blick auf die französischen Wahlen – eine Macronisierung der FDP nennen: Der jungenhafte Parteivorsitzende Lindner, 38, kopiert den erfolgreichen Wahlkämpfer Emmanuel Macron, 39. Dessen Optimismus und Selbstbewusstsein überträgt er eins zu eins auf die „neue FDP“. Und wie sein Vorbild Macron ist Lindner politisch offen für alle: ein überparteilich auftretender Wahlkämpfer, der die vorgeblich rundumerneuerte FDP sowohl als dynamische Alternative zu den Stillstandsparteien der Regierung präsentiert, als auch scharf abgrenzt gegen die links-grünen Oppositionsideologen. Lindner positioniert die FDP auf diese Weise geschickt als reine Zukunftspartei jenseits von CDU, SPD, Grünen und Linken, und er setzt dabei – aus strategischen Gründen – auf Schwerpunkte, die mit allen Parteien kompatibel sind: Digitalisierung, Bildung, Entbürokratisierung. Auf diesen Feldern kann er höchstmögliche Dynamik versprechen, ohne jemals konkret werden zu müssen. Im Koalitionsvertrag mit der NRW-CDU heißt es etwa forsch, man werde ein „Entfesselungsgesetz mit Sofortmaßnahmen zum Abbau unnötiger Bürokratie“, ein „bürokratiearmes Innovationsbeschleunigungsgesetz“ und ein ideologiefreies „Investitionsbeschleunigungsgesetz“ vorlegen. Gegen so viel Sturm und Drang kann kein zukünftiger Koalitionspartner ernsthaft etwas einwenden.
Der Gegner: die Grünen
Vergleicht man allerdings die Wahlprogramme, wird schnell klar, dass die FDP so neu, wie sie tut, nicht ist. Wie Donald Trump verachtet sie weiterhin die Jahrhundertaufgabe der ökologischen Modernisierung. Im Verein mit Windkraftgegnern, Klimaskeptikern und Diesellobbyisten sieht sie in der Umweltpolitik bloß den Vorwand für „staatliche Investitionslenkung“. Die Subventionierung erneuerbarer Energien lehnt sie ebenso ab wie die Festlegung verbindlicher CO2-Reduktionsziele im Klimaschutz. Die Liberalen wollen kein Tempolimit und keine zwangsweise Einführung von Elektroautos, keinen staatlich verordneten Ausstieg aus der Kohle, keine Pestizid-Verbote und keine „übertriebenen“ Tierwohl-Zertifizierungen in der Landwirtschaft. Die FDP stemmt sich gegen jede Form von „Verzichts- und Verbotsideologie“. Der freie Markt soll es richten.
Hauptgegner bleiben daher die Grünen. Deren Verlangen nach staatlichen Investitionsprogrammen zur Finanzierung von Energie-, Agrar- und Verkehrswende würde nach Ansicht der FDP nur massive Steuererhöhungen und Beschränkungen der Unternehmertätigkeit nach sich ziehen. Das lehnt sie ab – und will keine Vermögenssteuer und keine Erhöhung der Spitzensteuersätze, keine höhere Erbschaftssteuer und keine Finanztransaktionssteuer. Die FDP will stattdessen Steuern senken und Abschreibungsmöglichkeiten ausdehnen.
Grüne und FDP in einer gemeinsamen Bundesregierung – das wäre eine Koalition im Dauerstress. Doch für die Beteiligung an der Macht würde die FDP dieses „Opfer“ wohl bringen. Denn ihre Aufgabe ist es – egal in welcher Koalition –, Investitionshemmnisse zu verhindern. Mit den Grünen gelänge das weniger gut als ohne sie. Das lässt sich an den Koalitionsverträgen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ablesen. Die Grünen sind also nicht „die neuen Liberalen“, und die Liberalen sind kein Ersatz für die Grünen. Der Wiederaufstieg der FDP verdankt sich vielmehr dem offenen Gegensatz zur Öko-Partei. Er bedeutet einen Rechtsruck in der Parteienlandschaft. Das wird deutlich, wenn man die Entwicklung der AfD mit in den Blick nimmt.
Bei der Bundestagswahl 2013 war die FDP erstmals an der Fünfprozenthürde gescheitert. Das lag vor allem daran, dass die kurz zuvor gegründete AfD bei den „Wutbürgern“ 4,7 Prozent der Stimmen holen konnte. Die Merkel- und Euro-Skeptiker aus dem konservativ-liberalen Spektrum wie Hans-Olaf Henkel waren ins Lager der Populisten übergelaufen. Sie waren maßlos enttäuscht von der kleinkarierten Klientelpolitik der „Mövenpick-Partei“, die es nicht schaffte, die „Linkswende“ der CDU zu stoppen. Die FDP verschwand in der Versenkung. Man überließ die Partei dem 34-jährigen Lindner. Der konnte aber gegen die „Merkel-CDU“ nicht sofort zu Felde ziehen, weil die FDP kurz zuvor noch in der Merkel-Regierung gesessen hatte. Das nutzte die AfD. Sie bot den Unzufriedenen an, das neoliberale Programm der erschlafften FDP weiterzuführen und die Kritik am Schulden- und Wohlfahrtsstaat zu verschärfen. Die wirtschaftsliberale FDP wurde von der marktradikalen AfD abgelöst.
Dann kam die „Flüchtlingskrise“, die zu einem Rechtsruck in der AfD führte. Frauke Petry löste Bernd Lucke ab. Nun konnte die Lindner-FDP in die sich auftuende Lücke stoßen und sich als AfD light inszenieren. Es ist bezeichnend, dass in der Hochphase der „Flüchtlingskrise“ AfD und FDP einen parallelen Aufstieg erlebten. Innerhalb von 15 Monaten – vom Frühjahr 2015 bis zum Sommer 2016 – kletterte die AfD in den Umfragen von 4 auf 16, die FDP von zwei auf sechs Prozent. Die Radikalisierung der AfD und die Maßnahmen der Großen Koalition, die Krise halbwegs wieder in den Griff zu bekommen, bewirkten schließlich eine Umkehr der Entwicklung: Während die AfD ihren Zenit im Sommer 2016 überschritt und auf acht Prozent zurückfiel, konnte die FDP weiter zulegen. Aber nicht, wie man annehmen sollte, mit harten Gegenpositionen zur AfD, nein, die FDP etablierte sich im Windschatten der AfD als akzeptabler AfD-Ersatz.
Wie geschickt Christian Lindner die Agenda der Populisten übernahm, zeigen seine Äußerungen bei den Stuttgarter Dreikönigstreffen der FDP. Sowohl 2016 als auch 2017 forderte er das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone und attackierte die Kanzlerin. Merkel habe „Europa ins Chaos“ gestürzt, ihre „Politik der grenzenlosen Aufnahme“ sei „unverantwortlich“, die Abschiebungen müssten verstärkt werden. Der Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, konnte sich eine Spitze gegen Lindner nicht verkneifen: „Er redet teilweise wie Herr Gauland von der AfD. Der einzige Unterschied besteht darin, dass er statt eines abgewetzten Tweedsakkos einen überteuerten Maßanzug trägt.“
Die Agenda der Populisten
Lindner setzte den Rechts-Kurs ungerührt fort. Im April 2017 sagte er dem Stern, Mesut Özil solle bei Fußball-Länderspielen gefälligst die Nationalhymne singen. Das Gleiche hatte im Jahr zuvor AfD-Chefin Frauke Petry verlangt. Er kritisierte die lasche Haltung der Regierung gegenüber der Türkei und attackierte die angebliche Integrationsverweigerung in Deutschland lebender Muslime: „Warum sind so viele Deutschtürken keine Verfassungspatrioten?“ Zog Petry gegen die „griechische Insolvenzverschleppung“ vom Leder, pochte Lindner umgehend auf einen „Neustart beim Euro, wo auch in Griechenland die Regeln wieder geachtet werden müssen“.
Anfang August verlangte er überraschend einen „Neustart in den Beziehungen zu Russland“. Im Nassau Beach Club auf Mallorca sagte er, man müsse Putin helfen, seine Politik „ohne Gesichtsverlust“ zu korrigieren. Dazu sei es nötig, die Krim-Annexion hinzunehmen und den Krieg in der Ostukraine einzufrieren. Käme Putin dem Westen entgegen, könnte man die unseligen Sanktionen lockern und Russland wieder in die G8 aufnehmen. Viele dachten, Lindner wolle mit seinem „mutigen Vorstoß“ an Willy Brandts Ostpolitik anknüpfen. Doch dieser Vorschlag zielte ganz unverhohlen auf rechte Wähler. Wenige Tage später veranstaltete die AfD in Magdeburg einen „Russland-Kongress“, auf dem sie für eine Aufhebung der Sanktionen und bessere Beziehungen zu Russland warb.
Als deutsch-nationaler Hardliner präsentierte sich Lindner schließlich in der Flüchtlingsfrage. In der Bild ließ er sich unter der Schlagzeile „Alle Flüchtlinge müssen zurück!“ wie folgt zitieren: „Es gibt kein Menschenrecht, sich seinen Standort auf der Welt auszusuchen.“ Das veranlasste die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch zu der Bemerkung, Lindner erläutere hier das AfD-Programm. Und der AfD-Vorsitzende in NRW, Marcus Pretzell, lobte: „Lindner macht AfD light. Und das macht er gut.“ Ganz im Sinne der AfD spricht Lindner auch von der „Merkel-CDU“. Die „Merkel-CDU“ ist das zentrale Feindbild der rechten Partei, ja ihr Gründungsmotiv. „Die Unterschiede gegenüber der Merkel-CDU“, sagte Lindner dem Stern, „sind so groß, dass es bei einer schwarz-gelben Mehrheit nicht automatisch auf eine Koalition hinausläuft.“ Je näher der Wahltag rückt, desto wichtiger erscheint die Distanzierung. Der FAZ sagte er, eine „Unterwerfung“ unter die Union komme nicht in Frage. Dem Focus verriet er, ihm fehle „die Fantasie“ für eine Jamaika-Koalition. Das alles sind Nebelkerzen, um den Zuspruch der Rechten auf der Zielgeraden nicht noch zu verlieren.
Lindners Doppelspiel ist riskant. Will er AfD-Sympathisanten gewinnen, muss er den Eindruck erwecken, die FDP werde in einer schwarz-gelben Koalition nicht einknicken wie Guido Westerwelle 2009, sondern AfD-Anliegen knallhart umsetzen. Zugleich muss er Anhängern, die die AfD abstoßend finden, etwas bieten. Also gibt er sich mal als enthusiastischer Europäer wie Macron, mal als schneidiger Demagoge wie Alexander Gauland. Lindner ist ein Chamäleon, das eine Chamäleonpartei in die Bundestagswahl führt. Niemand weiß, welche Farbe es wohl nach der Wahl annehmen wird.
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