Olaf Scholz pflegt einen ziemlich lockeren Umgang mit großen Worten, etwa mit „Wumms“ oder „Zeitenwende“. Schon 2017 hat er in seinem Buch Hoffnungsland eine „Zeitenwende“ konstatiert, damals gemünzt auf die Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus und die Herausforderungen durch Migration und nationalistische Tendenzen.
Hinter der zur Epochenwende aufgebrezelten Wendezeit stand freilich schon 2017 eine viel grundsätzlichere Sorge: Scholz bedrückte die anhaltende Wachstumsschwäche in den westlichen Industrienationen. Der demokratische Kapitalismus schien sich erschöpft zu haben und suchte verzweifelt nach neuen Verwertungsmöglichkeiten für das reichlich vorhandene, aber teils unschlüssig herumliegend
verzweifelt nach neuen Verwertungsmöglichkeiten für das reichlich vorhandene, aber teils unschlüssig herumliegende, teils wild durch Steueroasen und riskante Finanzanlagen vagabundierende Kapital. Da kamen der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die neuen Feindbilder gerade recht.35 Kampfjets für acht Milliarden EuroFlugs zog Olaf Scholz, nun Bundeskanzler, sein altes Zauberwort aus der Tasche und verkündete eine neue „Zeitenwende“. Diesmal galt es, den heimischen Kapitalismus mit gigantischen Rüstungsprojekten, die sich gegen den russischen Imperialismus und die autokratischen Regime richteten, aus der Krise zu holen; so wie US-Präsident Franklin Delano Roosevelt in den 1930er Jahren die US-Wirtschaft mit einer beispiellosen Aufrüstung gegen die faschistischen Achsenmächte wiederbelebte. Man könnte auch sagen: Der demokratische Staat als ideeller Gesamtkapitalist nutzt heraufziehende Krisen, um die schwächelnde Wirtschaft aus ihren selbst angelegten Sümpfen zu ziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Geld in überteuerte oder nutzlose Projekte fließt, solange der Staat dafür garantiert.Da Haushalts- und Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages nun die ersten Milliarden des von Olaf Scholz angekündigten 100-Milliarden-Aufrüstungs-Programms durchgewunken haben – das Märchen von der schlecht ausgerüsteten Bundeswehr ist ja inzwischen fest in den Köpfen verankert –, lohnt es sich, das prominenteste Projekt etwas näher zu betrachten: die Beschaffung von 35 F-35-Kampfjets für 8,3 Milliarden Euro. Ein einträgliches Geschäft für den US-amerikanischen Hersteller Lockheed Martin, denn es wird bestimmt nicht bei 8,3 Milliarden bleiben, und ein Segen für die Strategie des Pentagons, das die volle Kontrolle über die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik behalten möchte. Einem europäischen Kampfjet hätten die US-Strategen ihre Atombomben nicht so ohne Weiteres anvertraut, da bleibt man – trotz aller NATO-Partnerschafts-Ideologie – weiter misstrauisch. Eine F-35 dagegen sendet alle Einsatzdaten automatisch ans Pentagon.Wendehälse der ZeitenwendeDie Entscheidung für den superteuren und anfälligen Tornado-Nachfolger (Stückpreis gut 200 Millionen Euro) fiel nur drei Wochen nach Beginn des Ukrainekriegs. Davor wurde jahrelang zäh um eine europäische Lösung gerungen, um ein Joint Venture, das dem von Airbus sehr ähnlich ist; auch eine Weiterentwicklung des Eurofighter hätte genügt oder das Warten auf das europäische Future Combat Air System (FCAS). Aber Zeit glaubte man angesichts der russisch-chinesisch-iranischen Bedrohung nicht mehr zu haben. Zeitdruck macht immer gute Geschäfte. Da eine rein europäische Lösung ein Schritt zu einem souveränen Europa gewesen wäre, ventilierte die US-Lobby noch kurz vor dem Krieg eine transatlantische Kompromisslösung aus 40 modernisierten Eurofightern und 15 Boeing F-18 Super Hornets für die atomare Bewaffnung. Auch das hat sich nun erledigt.Obwohl eine rein europäische Lösung nicht nur im Interesse Frankreichs und der europäischen Rüstungsindustrie, sondern auch im Interesse der gesamten EU gewesen wäre (denn US-Amerikaner sind eher bereit, einen Atomkrieg auf Europa zu begrenzen als die Europäer einen Atomkrieg auf ihrem Territorium riskieren würden), gaben die Wendehälse der Zeitenwende nach und machten den Weg frei für die Unterstützung der US-Rüstungsindustrie und die politischen Sonderwünsche des Pentagons.„Eine Zeitenwende“, schrieb Olaf Scholz 2017, „zeichnet sich durch zwei Charakteristika aus: Politische Gewissheiten verblassen und die Politik ist mit den täglichen Reaktionen auf die Veränderungen so beschäftigt, dass ihr kaum die Zeit bleibt, den Kopf zu heben und das große Ganze in den Blick zu nehmen.“ Eine kluge Definition. Was Haushalts- und Verteidigungsausschuss des Bundestages als Anzahlung auf das 100-Milliarden-Aufrüstungspaket durchgewunken haben (die erheblichen Folgekosten noch gar nicht eingerechnet), zählt zu jenen „täglichen Reaktionen“, über die Politiker in den Zeiten von Zeitenwenden gar nicht mehr nachdenken sollen. Sie dürfen bestenfalls abnicken. Zeitenwenden sind Hochzeiten für Opportunisten.