Die wichtigste Aufgabe der Münchner Sicherheitskonferenz ist es, den „informellen Dialog zur friedlichen Beilegung von Konflikten“ zu fördern, doch am vergangenen Wochenende goss sie vor allem Öl ins Feuer. Statt als „Plattform für diplomatische Initiativen“ zu dienen, hatten sich der neue Konferenz-Präsident Christoph Heusgen und sein Mentor und Vorgänger Wolfgang Ischinger entschlossen, die „Schurkenstaaten“ Russland und Iran nicht einzuladen. Man wollte lieber unter sich bleiben, wie früher, als die Konferenz noch ein familiäres Nato-Treffen mit Rüstungslobbyisten war und den ehrlicheren Titel „Wehrkunde-Begegnung“ trug. Die kurzzeitigen Öffnungsbemühungen des ehemaligen Konferenzpr
äsidenten Horst Teltschik, der für einen Ideen-Austausch ohne Vorbedingungen warb, sind damit endgültig Geschichte. In München debattierte man wieder selbstzufrieden in der geistigen Enge des Kalten Krieges und der üblichen Schuldzuweisungen.Auch Chinas Chefaußenpolitiker Wang Yi war nur eingeladen, um ihn wegen der lächerlichen Ballon-Affäre zur Rede zu stellen und ihm die US-Folterwerkzeuge in Form möglicher Wirtschaftssanktionen zu zeigen, falls sein Land mit Russland kooperiere und Waffen liefere. Wang entgegnete kühl, es seien „die USA und nicht China, die ständig Waffen auf das Schlachtfeld schicken“. Die Reaktion der USA auf die Ballons bezeichnete er als „hysterisch“.In dieser eisigen Atmosphäre des Nicht-Dialogs weckte die Ankündigung Wangs, bald einen konkreten Plan zur „Beilegung der Ukrainekrise“ vorzulegen, wenig Neugier, im Gegenteil, die westlichen Konferenzteilnehmer bemühten sich umgehend, Chinas Vorstoß kleinzureden und abzuweisen. China sei nicht neutral, deshalb könne es auch nicht vermitteln. Basta. So reiste Wang ohne deeskalierende Konferenzdepesche zu Wladimir Putin nach Moskau, während US-Präsident Joe Biden am gleichen Tag Wolodymyr Selenskyj in Kiew aufsuchte. Im Gepäck hatte er weitere Sanktionen, weitere Waffenlieferungen und weitere Ermahnungen an China und Russland, rote Linien nicht zu überschreiten.Wo in diesem Infokrieg bleibt da die EU? Sie ist auf eine Statistenrolle reduziert. Während US-Präsident Biden „das neue Europa“ mit seinen Besuchen in Warschau und Kiew aufwertete, kritisierte Selenskyj „das alte Europa“, indem er Deutschland Zögerlichkeit und Frankreich Naivität vorwarf: Emmanuel Macrons Dialogbereitschaft gegenüber Russland kanzelte er als „Zeitverschwendung“ ab. Es scheint, als ersetze die Achse Washington-Warschau-Kiew allmählich die Achse Washington-Berlin-Paris. Ja, die US-Regierung kann frei wählen zwischen den beiden Achsen und sie, bei Bedarf, gegeneinander ausspielen. So tritt am Ende das ein, was als heimliches Ziel Putins beschworen wurde: die politische Implosion Europas als eigenständiger Akteur.Olaf Scholz reist nach IndienZugleich rücken jene Regime enger zusammen, die der Vorherrschaft der USA etwas entgegensetzen wollen. Bereits im vergangenen Sommer haben Russland und China eine „neue Ära der Zusammenarbeit“ eingeleitet, der aktuelle Besuch Wangs soll die Kooperation weiter festigen. Der Iran könnte der Dritte in diesem Bunde sein. So treibt die unnötige Zurückweisung der chinesischen Friedensinitiative – die aufs Haar der Abwehr der Initiative des brasilianischen Präsidenten Lula gleicht – den Westen in eine gefährliche Wagenburgmentalität: Letztlich glaubt man dann nur noch der eigenen Propaganda und verliert den Kontakt zur Realität.Es wäre daher an der Zeit, dass UN-Generalsekretär António Guterres den Ukrainekrieg zur Chefsache erklärt und einen „Friedensclub“ oder ein hochrangig besetztes Gremium nach dem Vorbild der Nord-Süd-Kommission einberuft, um eine praktikable Lösung zu erarbeiten: China, Brasilien oder Südafrika könnten darin ebenso vertreten sein wie Indien, Frankreich oder die Türkei.Die Bundesregierung scheint unterdessen abzutauchen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) nimmt am Infokrieg rund um den Jahrestag des Kriegsbeginns nicht teil. Er fährt am 24. Februar nach Indien. Dort geht es wohl nicht nur um Wirtschaft und eine Wiederholung der immer gleichen Schuldzuweisungen, sondern, nebenbei, auch um eine indische Vermittlerrolle.