Duckdalben sind Pfähle, die man in den Hafenschlick rammt, um Schiffen auch außerhalb der Kaianlagen eine Möglichkeit zum Anlegen zu geben. Die Firma „Duckdalben Consulting“, die der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs wenige Wochen nach seinem überstürzten Abgang aus der Politik in Hamburgs Steintorweg eröffnete, nennt als Unternehmenszweck: „Beratung von Personen und Gesellschaften in jeglicher Hinsicht, insbesondere aber im Bereich Private Public Partnership …“
Wer an Kahrs’ Duckdalben anlegt, bleibt vorerst sein Geheimnis. Vorerst, denn im Zuge der Cum-Ex-Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft ist der ausgemusterte Geheimniskrämer wieder ins Visier der „Medienmeute“ geraten. „
en. „Rein zufällig“ wurde Journalisten vor der nächsten Sitzung des Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschusses gesteckt, dass bei einer Razzia im September 2021 ein Schließfach gefunden wurde, in dem Kahrs 214.800 Euro und einige tausend US-Dollar gebunkert hatte. Über deren Herkunft schweigt er.Gehört das Geld zu einem „System schwarzer Kassen“, aus denen Wahlkämpfe und treue Gefolgsleute finanziert wurden wie seinerzeit bei Helmut Kohl? Oder hat sich Kahrs das Geld vom Munde abgespart und nur wegen des drohenden Verwahrentgelts nicht auf sein Konto überwiesen? Ist das Geld vielleicht sogar Teil eines „Dankes“, den das Hamburger Bankhaus Warburg 2017 für Kahrs’ Einsatz bei der Vermeidung von Steuerrückforderungen an dessen SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte abgestattet hat? Die offiziell verbuchte Spende in Höhe von 38.000 Euro wäre angesichts der erhofften Ersparnis von 90 Millionen ja etwas mickrig gewesen.Und so tauchen all die alten Geschichten wieder auf, die das „System Kahrs“ detailliert beschrieben haben: wie der „Strippenzieher“ durch Postenverteilung, Praktikanten-Jobs und basisnahes Kümmern eine Juso-Gang schuf, die ihm hörig war. Wie er mit seiner Gang linke Sozis mobbte und deren Wahlchancen durchkreuzte. Wie er Spenden der Rüstungsindustrie bedenkenlos annahm, Fördergelder nach Hamburg lotste und Tausende Hamburger zu Bildungsreisen nach Berlin einlud. Zeitweise galt er als „mächtigster Mann in der Hamburger SPD“. Und weil er nebenbei auch Sprecher des rechten Seeheimer Kreises war, durfte er überall mitreden. So antichambrierte er am Hofe des aserbaidschanischen Diktators Ilham Alijew und pflegte gute Kontakte zu den Ausrüstern der Bundeswehr. Das Recherchezentrum Correctiv ermittelte 2021: Kein anderer SPD-Kreisverband konnte mehr Spendengelder einsammeln als Hamburg-Mitte, von 2016 bis 2019 waren es 643.000 Euro. Besonders eifrig spendeten Immobilienunternehmen. In Hamburg-Mitte liegen die lukrativsten Grundstücke der Stadt.Das „System Kahrs“ ist freilich nur deshalb wieder im Gespräch, weil interessierte Kreise hoffen, damit auch Olaf Scholz in Bedrängnis zu bringen. Ihr Jagdeifer ignoriert die Tatsache, dass es Scholz war, der Kahrs zu Fall brachte. Und das ging so: Die beiden waren Ende der 1990er Jahre Vorsitzende der Hamburger SPD-Kreisverbände Altona beziehungsweise Mitte. Beide waren ehrgeizig. Doch der gebürtige Bremer Kahrs verfügte über einen Heimvorteil. Er war das politische Ziehkind des dienstältesten deutschen Ministers, des Hamburger Bau- und Verkehrssenators Eugen Wagner. „Beton-Eugen“, wie er nicht nur wegen seiner Nähe zur Bauwirtschaft genannt wurde, war der eigentliche Patron des Hamburger Public-Private-Partnership-Modells. Er baute Kahrs als Nachfolger im Bezirk Mitte auf und verschaffte ihm einen gut dotierten Job bei der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft SAGA, wo Wagner im Aufsichtsrat saß. Ohne dessen Hilfe hätte Kahrs es kaum geschafft. Für sein erstes juristisches Staatsexamen brauchte er neun Jahre – und das, obwohl sein Vater Justizsenator in Bremen war.Kahrs übernahm den Politikstil seines Ersatzvaters Wagner und glaubte, nur als derbes Schlitzohr könne man in der Politik Erfolg haben. Die Hamburger SPD war darüber arrogant geworden, sie regierte die Stadt quasi in Erbpacht. Daher merkte sie nicht, wie sich Wutbürger gegen sie zusammenrotteten. Deren Galionsfigur, ein heute vergessener Polit-Rowdy namens Ronald Schill („Richter Gnadenlos“), holte 2001 aus dem Stand 19,4 Prozent und schickte Hamburgs SPD nach 44 Jahren in die Opposition. Was folgte, war ein zehnjähriger zäher Machtkampf zwischen dem Scholz- und dem Kahrs-Lager.Die Scholz-Leute wollten Erneuerung, die Kahrsianer weitermachen wie bisher. 2003 kam es zum „Aufstand der alten Männer“ um Wagner. Scholz wankte. Sein Hamburger Statthalter, der Arzt Mathias Petersen, resignierte trotz gewonnener Urwahl bereits 2007. Um seine Linie durchzusetzen, musste Scholz zurück nach Hamburg. 2011 gewann er die Bürgerschaftswahl mit absoluter Mehrheit, ein Jahr darauf nahm er den „Fall Chantal“ (ein elfjähriges Mädchen war bei Pflegeeltern zu Tode gekommen) zum Anlass, Kahrs – der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses – ein Stück weit zu entmachten. Scholz’ Weigerung im Mai 2020, den alten Rivalen zum Wehrbeauftragten zu machen, war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wutentbrannt warf der Ausgebootete alle Ämter hin und schied aus der Politik aus.Schon aufgrund dieser Vorgeschichte dürfte der Versuch, Scholz einen Deal mit Kahrs anzudichten, erfolglos bleiben. Was nicht heißt, dass es keine politische Einflussnahme zugunsten der Warburg-Bank gab. Vieles spricht eher dafür. Scholz aber wäre kaum so dumm gewesen, sich ausgerechnet mit Kahrs einzulassen. Duckdalben braucht er nicht.Placeholder infobox-1