Vor zehn Jahren flog die FDP aus dem Bundestag, weil die frisch gegründete „Alternative für Deutschland“ (AfD) auf Anhieb 4,7 Prozent der abgegebenen Stimmen erzielte. Auch aus sämtlichen Landesregierungen verschwanden die Liberalen. Ihr Beinahe-Exitus führte zum Rücktritt des gesamten FDP-Vorstands. Der erst 34-jährige Christian Lindner musste die Partei übernehmen und wieder aufrichten, praktisch im Alleingang.
Dieses Trauma hat tiefe Spuren hinterlassen. Ein erheblicher Teil der traditionellen FDP-Wählerschaft – wie Hans-Olaf Henkel, ehemals Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie – lief enttäuscht zu den „Wutbürgern“ über. Die AfD unter Führung des Ökonomen Bernd Lucke
rnd Lucke betrachtete sich als Hüterin der nationalliberalen Werte und der uneingeschränkten Freiheit für das deutsche Unternehmertum.Seit dieser Nahtod-Erfahrung schielt die FDP stets mit einem Auge auf die AfD und lebt in einer Art Symbiose mit ihr. Gehen die Umfragewerte der AfD nach oben, ist das für die FDP ein untrügliches Alarmsignal für das eigene Überleben. Sie reagiert dann nicht, wie man annehmen sollte, mit harten Gegenpositionen, nein, sie reagiert, indem sie sich als AfD light präsentiert, mit markigen Sprüchen gegen grüne Verzichts- und Verbotspolitiker und anschwellendem Bocksgesang gegen die Einwanderung von Asylbewerbern in deutsche Sozialsysteme. Unter Druck gebärdet sich die FDP wie eine populistische Krawallschachtel. Sinken die Umfragewerte der AfD wieder, kehrt die FDP zur Normalität zurück. Sie beendet ihr nerviges Querulantentum und ist wieder das nette, verständige Korrektiv. Dass die Springer-Medien bei diesem Symbiose-Spiel kräftig mitwirken, indem sie ihre Lieblingspartei FDP mit Kampagnen vor sich hertreiben, ist – dank Springer-Chef Mathias Döpfner – mittlerweile ein offenes Geheimnis.AfD und FDP wie Madenhacker und NilpferdeZurzeit erlebt die AfD einen neuen Höhenrausch. Im Bund liegt sie bei 16 Prozent, in einigen östlichen Bundesländern hat sie, laut Umfragen, die Spitzenstellung erobert. AfD-Stratege Björn Höcke gab beim Thüringer Parteitag als Zielmarke für die kommende Landtagswahl „33 Prozent plus X“ vor. Er meint damit sicher den für eine Machtergreifung notwendigen Korridor zwischen 33 und 45. Auch die FDP hatte einst mit ihrem „Projekt 18“ eine Chiffre gewählt, die als Angebot für eine ganz bestimmte Wählerklientel gedacht war.In der Biologie bezeichnen Symbiosen das Zusammenleben zweier unterschiedlicher Arten, die sich gegenseitig nützen, etwa Madenhacker und Nilpferde, Ameisen und Blattläuse oder Seeanemonen und Clownfische. Der Grad der gegenseitigen Abhängigkeit reicht dabei von partnerschaftlicher Allianz bis zum Schmarotzertum. Bei Letzterem hat die eine Art Vorteile, die andere eher Nachteile. Wer im Verhältnis von FDP und AfD nun Madenhacker oder Nilpferd ist, scheint allein von den äußeren Bedingungen abzuhängen, von der Großwetterlage, in der sich beide bewegen müssen. Und diese Großwetterlage verheißt stürmische Zeiten.So zeichnet sich in den USA ein Wiederholungsdrama zwischen Joe Biden und Donald Trump ab, dessen Kulturkampf-Absurditäten auf Deutschland durchschlagen werden. Die Union übt bereits mit dem reaktionären Republikaner Ron DeSantis an ihrer Seite und versucht sich in populistisch gefärbter Anti-Rot-Grün-Rhetorik, wie jüngst Markus Söder beim CSU-Landesparteitag. Robert Habeck & Co. würden die deutsche Mittelschicht mit ihrer ideologisch motivierten Heizungstausch-Verordnung in den Ruin treiben, woke Queer-Denker und aggressive Sprachpolizisten hätten nichts Besseres zu tun, als unsere Kinder zu verwirren, irre Klimakleber tanzten der hart arbeitenden Bevölkerung auf der Nase herum, eine ungebremste Einwanderungspolitik betreibe die Vernichtung der deutsch-bayerischen Kultur, und eine haltlose Verschuldungspolitik für alle Bedrängten dieser Welt (nur nicht für die eigenen Bürger!) lasse das Vertrauen in die Demokratie gefährlich erodieren.FDP unterwirft sich der AfDWährend die Grünen mit Bedacht zur Hauptzielscheibe aufgebaut werden, hält sich die SPD aus den Scharmützeln bislang heraus. Der Kanzler schweigt und schmunzelt, wie das seine Art ist, und die SPD-Führung gibt sich, so sie überhaupt noch wahrgenommen wird, in Talkshows gern nachdenklich. Sie scheint an ihrer inneren Zeitenwende zu knabbern, während andere der neuen Kampfpanzermentalität längst freien Lauf lassen.All die Verrohungserscheinungen, das bewusste Missachten von Anstand im öffentlichen Streit, nützen letztlich der AfD. Deren Fundamentalopposition gegen eine grundsätzlich falsche Richtung in der Politik nährt diffuse Protesthaltungen gegen „Zumutungen“ durch „die da oben“. Die FDP, obwohl Teil der Regierung, widerspricht nicht, sondern passt sich dem Crashkurs opportunistisch an. Sie unterwirft sich der AfD.Der Psychoanalytiker Erich Fromm hat symbiotische Beziehungen als „Verfallsformen“ bezeichnet. Hat man selbst keine Inhalte und keine Identität mehr, kompensiert man die eigene Ohnmacht durch sadistische Herrschafts- oder masochistische Unterwerfungstendenzen. Fromms Diagnose lässt sich auf die Beziehung FDP/AfD übertragen. Im Ernstfall ist auf die FDP kein Verlass. Einen echten Sturm würde die Ampel nicht überstehen.