Der Streit um die europäische Urheberrechts-Reform ist ein Musterbeispiel der Irreführung. Das zeigt schon die seltsame Frontstellung der Akteure: Auf der einen Seite der Barrikade Netznutzer und netzpolitische Aktivisten, die gemeinsam mit den IT-Unternehmerverbänden Bitkom und Eco gegen die Reform zu Felde ziehen, auf der anderen Seite die Urhebergewerkschaften, die zusammen mit der Verlagslobby und den Verbänden der Kreativwirtschaft für die Reform fechten. Diese absurde Frontstellung zeigt, dass Urheber und Netznutzer auch nach zehn Jahren Debatte ums Urheberrecht unfähig sind, ihre gemeinsamen Interessen zu entdecken und solidarisch zu vertreten.
Es geht in diesem Konflikt nicht um die Installation einer „Zensurmaschine“, die das Internet kaputt macht, es geht um die Installation einer Geldmaschine. Die sich bedroht fühlende Kultur- und Kreativwirtschaft – zusammengesetzt aus zahllosen Musiklabels, Filmfirmen, Buch- und Presseverlagen – will die internet-getriebenen Plattform-Monopolisten zwingen, Lizenzen für sämtliche Werke zu erwerben, an denen sie die exklusiven Nutzungsrechte besitzen. Denn allzu viele Internet-User stellen Filmausschnitte, Musikvideos und Artikel ohne jede Erlaubnis auf Facebook, Twitter oder Youtube und teilen sie dort mit den übrigen Nutzern. Dieses sympathische Verhalten, das freigiebige Weiterempfehlen von Inhalten, pulverisiert das Geschäftsmodell jener Branchen, die den Urhebern die Nutzungsrechte abkaufen, um damit Geld zu verdienen. Die Inhaber der Nutzungsrechte behaupten nämlich, sie würden durch das unerlaubte kostenlose Öffentlichmachen auf den Internetplattformen hohe Einnahmenverluste erleiden. Deshalb müssten die Plattformen dafür sorgen, dass die Rechte derer, die viel Geld in die Produktion von Texten, Fotos, Filmen und Musik investiert haben, nicht länger verletzt werden. Am besten geschehe dies dadurch, dass die großen Plattformbetreiber Lizenzen erwerben: entweder in Form individuell ausgehandelter Verträge mit den Produzenten oder durch pauschale Vergütungen, die mit Verwertungsgesellschaften wie der Gema zu vereinbaren wären. Die Videoplattform Youtube, ein Tochterunternehmen von Google, hat schon 2016 eine solche Lizenz erworben. Über den Kaufpreis schweigen sich die Beteiligten aus. Gescheitert ist dagegen, zumindest bislang, die Lizenzierung von Presseausschnitten, die Medienhäuser wie Springer gebetsmühlenartig von Google verlangen.
Weigern sich die Plattformen, Lizenzverträge abzuschließen, müssen sie in Zukunft für unberechtigt hochgeladene Videos, Songs oder Presseschnipsel haften und Schadenersatz leisten. Insofern ist die EU-Richtlinie – analog zum deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz – eine Art Urheberrechtsdurchsetzungsgesetz.
Vermeiden können die Plattformen den Lizenzkauf nur, wenn sie technische Filter einsetzen, die sämtliche Inhalte, die urheberrechtlich geschütztes Material enthalten, noch vor der Veröffentlichung blockieren. Diese „Uploadfilter“ sind heftig umstritten, aber keineswegs neu. Seit Jahren werden sie gegen Kinderpornographie und zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt.
400 Stunden pro Minute
Zur Erkennung von Urheberrechtsverletzungen nutzt Youtube die Software-Programme „Content-ID“ und „Content Verification Program“ (CVP). Content-ID vergleicht die in einer Datenbank der Rechteinhaber gespeicherten digitalen Fingerabdrücke (Hash-Werte) mit dem hochgeladenen Material und löst bei signifikanten Übereinstimmungen eine Sperrung aus. Dass dabei Fehler unterlaufen, ist sehr wahrscheinlich, denn auf Youtube werden pro Minute 400 Stunden Videomaterial hochgeladen, insbesondere Satire und Zitate können von den Programmen schlecht erkannt werden. Dass die Plattformbetreiber aus Angst vor Schadenersatzklagen übervorsichtig agieren und Inhalte vorschnell blockieren, ist aber nicht zu erwarten. Allein der Anschein von Zensur würde ihr Image schwer beschädigen.
Nicht die Blockade von Inhalten, sondern die Pflicht zur Lizenzierung ist also der Kern der EU-Reform. Man will Handlungen nicht verhindern, sondern zu Geld machen. Schon der Name des Gesetzes huldigt dem „digitalen Binnenmarkt“. Durchgedrückt haben die Reform die Konservativen und die Wirtschaftsliberalen: die EU-Kommissare Günther Oettinger, Andrus Ansip und Marija Gabriel sowie der CDU-Abgeordnete Axel Voss als Berichterstatter im Rechtsausschuss des EU-Parlaments. Sinn und Zweck der Reform ist der Schutz der „Rechteinhaber“ – und das sind in der Regel nicht die Urheber, sondern die Inhaber der Nutzungsrechte, die so genannten Verwerter. Sie wollen bei Google, Facebook, Youtube und Twitter abkassieren. Darum geht es in den Artikeln 11 und 13 der EU-Richtlinie. Vom erhofften Geldsegen dürften die Urheber jedoch nur wenig abbekommen. Dafür sorgen die in der Debatte kaum beachteten Artikel 12 und 14. Zunächst zu Artikel 12: Dieser erlaubt – entgegen der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof (BGH) und Europäischem Gerichtshof (EuGH) – eine pauschale Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften, was einer kalten Enteignung der Urheber gleichkommt. Denn EuGH und BGH haben 2015 und 2016 gleichlautend entschieden, dass diese Ausschüttungen ausschließlich den Urhebern zustehen. Die Verlegerbeteiligung ist den Unternehmern deshalb so wichtig, weil der Erwerb von Lizenzen durch die Internetplattformen zusätzliches Geld in die Kassen der Verwertungsgesellschaften spülen wird.
Reine Augenwischerei ist dagegen Artikel 14. Dort wird zwar betont, dass die Urheber für alle Nutzungen ihrer Werke „angemessen“ vergütet werden sollen, doch die Schwächen dieses Gummibegriffs haben bereits auf nationaler Ebene zur schleichenden Verarmung vieler Künstler geführt. Fast 60 Prozent der in der Kreativwirtschaft beschäftigten Solo-Selbstständigen erzielen mittlerweile Jahresumsätze, die unter 17.500 Euro liegen.
So bleibt die Frage, warum die Urheberverbände und die Netzpolitiker in der Debatte um die EU-Reform ausschließlich auf jene Artikel 11 und 13 starren, die sich mit den Interessenkonflikten zweier rivalisierender Unternehmergruppen befassen, während alle Paragraphen, in denen die Interessen der Kreativen, eigentlichen Urheber und der Netznutzer verhandelt werden, unbeachtet bleiben. Die jetzige Reform nützt den Wenigen, nicht den Vielen.
Laut Bundeswirtschaftsminister erzielte die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft 2017 eine Bruttowertschöpfung von 102,4 Milliarden Euro. Sie übertrifft damit die Wertschöpfung der chemischen Industrie und der Finanzbranche und liegt gleichauf mit dem Maschinenbau. Doch die Teilmärkte Presse, Film und Buch stagnieren. Deren Innovationskraft ist gering, die Zahl der Firmengründungen geht zurück. Als Ursachen benennt die Branche gern Google und Facebook.
Das ist nicht so falsch, wie es sich anhört. Anfang März präsentierte der Reichweiten-Forschungsverbund der TV-Wirtschaft, die AGF Videoforschung, gemeinsam mit Google die neuesten Zahlen zur Bewegtbildnutzung in Deutschland. Danach betrug die durchschnittliche Sehdauer der Erwachsenen 232 Minuten pro Tag für TV-Bilder und 33 Minuten für Youtube-Videos. Das bedeutet, dass 2018 bereits 14 Prozent des gesamten Bewegtbildkonsums in Deutschland auf Youtube entfallen. Rechnet man die 14- bis 18-Jährigen hinzu, befindet sich die Video-Plattform inzwischen auf Augenhöhe mit dem Medienkonzern ProSiebenSat.1 und der Senderfamilie des ZDF.
Für die Werbebranche sind solche Zahlen Gold wert. Doch bei den Unternehmen der Kreativwirtschaft lösen sie Alarmstimmung aus – und den Wunsch, die immer stärker ins Netz abfließenden Geldströme wieder umzulenken. Eine Lizenzabgabe der großen Internet-Plattformen käme da gerade recht. Und die EU pariert. Es geht schließlich um die Konservierung nicht mehr wettbewerbsfähiger Branchen. Ein Jammer, dass Urheber und Netzaktivisten ausschließlich über Uploadfilter diskutieren.
Kommentare 8
der staat verpflichtet plattformen zur errichtung einer zensurinfrastruktur, da er wegen des GG (noch) nicht selber zensieren darf. ob der vorwand nun hassrede und terror heißt, oder jetzt mal geld, ändert doch nichts am ergebnis.
"Dass dabei [beim uploadfiltern] Fehler unterlaufen, ist sehr wahrscheinlich, denn auf Youtube werden pro Minute 400 Stunden Videomaterial hochgeladen, insbesondere Satire und Zitate können von den Programmen schlecht erkannt werden. Dass die Plattformbetreiber aus Angst vor Schadenersatzklagen übervorsichtig agieren und Inhalte vorschnell blockieren, ist aber nicht zu erwarten."
na dann ist ja alles supi. könnte so 1:1 auch in bild oder auf tagesschau stehen oder auf dem twitterdings vom vollvossten. mich würde wirklich interessieren, wieso ich im freitag bei jedem neuen zensurvorstoß lesen muß, dass es nicht um zensur geht. erst der herr füller, und jetzt geht das schon wieder los.
Die Antwort, warum permanent nur über Artikel 13 diskutiert wird, und nicht über die eigentlichen Inhalte dieser Gesetzesrichtlinie, ist einfach: weil Google vollkommen den Diskurs bestimmt!
Es geht um die Aufhebung des Providerprivilegs, das bislang dafür sorgte, dass Inhalte für Google sehr, sehr günstig waren. Wenn die Gesetzesinitiative in Kraft träte, würde dies einen gehörigen Geldstrom von Google zu den Kulturschaffenden umleiten. Größere Kulturbudgets wären ein Ausweis kulturellen Wachstums und damit durchaus ein Aspekt des Gemeinwohls, dem eigentlich alle zustimmen sollten - also lenkt man die Debatte ganz dreist auf einen hypothetischen Nebenaspekt und übertreibt ihn hemmungslos.
Natürlich wird es keine "Zensurinfrastruktur" geben, nichts was man auch nur im Entferntesten als "Zensur" bezeichnen könnte. Selbst die angebliche Gefahr des Overblockings ist weder schlimm, noch wahrscheinlich. Es liegt in Googles wirtschaftlichem Interesse, auch weiterhin möglichst alle Inhalte zu zeigen, daher werden sie zähneknirschend Geld in die Hand nehmen müssen, um Overblocking zu vermeiden - z.B. indem sie, wie jüngst auch Facebook, Personal einstellen!
Google betreibt Graswurzellobbyismus, mobilisiert also eigene Nutzer, für die wirtschaftlichen Interessen des globalen Monopolisten einzutreten. Die aktuellen Kampagnen heißen "Save the Internet", "Save your Internet" (beide am fehlen Impressum trotz Impressumspflicht zu erkennen) und früher "Verteidige dein Netz". Darüberhinaus mobilisiert Google ein ganzes Arsenal an NGO's, Thinktanks und selbsternannten "Netzexperten" à la Beckedahl, die allesamt auf Googles Gehaltsliste stehen, bzw. deren wirtschaftliche Existenz von Googles finanziellen Zuwendungen abhängig ist: Creative Commons, Electronic Frontier Foundation, Mozilla Foundation oder die Wikimedia Foundation. Der gestrige Generalstreik der deutschen Wikipedia war ein anschauliches Kapitel aus der Kategorie "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing".
Es ist absurd, wie leicht sich Massen von Netzkonsumenten von Google instrumentalisieren lassen. Die Gegner der anstehenden Gesetzesinitiative sind geistig vollkommen infiltriert und demonstrieren für die wirtschaftlichen Interessen eines globalen Monopolisten(!) gegen die Kulturschaffenden(!) - das wäre faschistoid, wenn dieser Pöbel nicht erkennbar doof wäre und nicht wüsste was er tut. Apropos: dass die AfD geschlossen gegen die Richtlinie stimmt, ist logisch, spricht Bände und wird kaum wahrgenommen - weil Google den Diskurs bestimmt!
https://makeinternetfair.eu/
https://dermusikpartisane.wordpress.com/2013/09/19/google-wurde-grun-wahlen-und-du/
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/eu-urheberrechtsabstimmung-anatomie-eines-politik-hacks-15743044.html
ja, ist schon immer interessant, wer auf wessen gehaltsliste steht. :)
Vielen Dank für den Beitrag. Die Diskussion um Uploadfilter ist ein Nebenschauplatz, es geht um die Zementierung der Kulturindustie, in der Urheber, sofern sie nicht zu den ganz Großen gehören, die Underdogs sind. Die GEMA verlangt Gebühren von den Urhebern, wenn sie ihre Werke selbst publizieren und wer für ein Abo von Spotify 10€ im Monat latzt, zahlt nur ca. 7% davon an die Urheber, 19% kassiert der Staat, der Rest geht an die Verwerter. Es ist schlicht Propaganda, wer behauptet, alle Urheber würden gefördert und geschützt, von dem System kann nur der Mainstream-Urheber mit extrem hohen Umsätzen profitieren, der Rest ist billiges Proletariat.
Das hat zur Folge, dass cash-orientierte Urheber sich dem Mainstream anbiedern, während subkulturelle Urheber sich mehr und mehr aus der Kulturindustrie zurückziehen. Ein Argument mehr für BGE, denn so können Urheber unabhängig und selbständig arbeiten, ohne sich von den Verwertern knechten zu lassen.
Uploadfilter sind also eine Nebelkerze.
<<Die GEMA verlangt Gebühren von den Urhebern, wenn sie ihre Werke selbst publizieren>>Vorsicht, diese Behauptung ist nicht richtig. Wer in Personalunion Plattenproduzent und Komponist ist, zahlt in seiner Funktion als Plattenproduzent tatsächlich an die GEMA, auch wenn es die eigene Platte ist. Die GEMA schüttet das Geld dann an ihn, in seiner Funktion als Komponist, wieder aus. Natürlich ist das dann ein bisschen weniger, weil 15 Prozent für die Verwaltungskosten draufgehen. Dasselbe geschiet, wenn jemand in Personalunion Konzertveranstalter und Komponist ist. Als Veranstalter muss er natürlich GEMA zahlen, auch wenn er selbst auftritt, als Komponist wird er für den Auftritt von der GEMA vergütet.Dieser eigentlich logische Sonderfall wird gerne verkürzt angeführt, um die GEMA zu verunglimpfen. Kann mich erinnern, dass Bruno Kramm den Spruch gerne gebracht hat. Ist schon ziemlich perfide, mit solchen Lügen eine Institution zu diffamieren, die als einzige konsequent für die Rechte und die Vergütung von Tonkünstlern eintritt und sich in der prekären Gegenwart - sogar mit steigenden Budgets - behaupten kann mit.
Der Aussage, dass die sinkenden Budgets im Musikgeschäft (je nach Berechnung etwa nurmehr die Hälfte des Umsatzes der späten Neunziger!) zu Konsolidierung undeiner Konzentration auf das kommerziell noch tragfähige Mainstream-Geschäft führen, ist vollkommen richtig. Man erkennt es auch daran, dass es seit Napster und PirateBay keine(!) einzige stilistische Neuentwicklung mehr gegeben hat. Wir hören immer noch die Stile der Neunziger: Hiphop, Elektro, R&B. Die Popmusik, wie wir sie im 20. jahrhundet kannten ist tot - und das ist eine sehr schlechte Nachricht, denn diese Musik hat die Menschen zusammengebracht und wurde zu einer echten Weltfolklore.
Remix the remixers! Es wäre doch ein interessantes Experiment, wenn auch die Uploads kleiner Kreativer, die davon leben wollen, bzw. allen, die jetzt um das "freie" Internet fürchten, für lau von den größeren oder allen Anderen genutzt würden.
erstmal glückwunsch, ihr habt es wirklich durchgezogen.
gestern noch:
"Natürlich wird es keine "Zensurinfrastruktur" geben, nichts was man auch nur im Entferntesten als "Zensur" bezeichnen könnte."
heute geht es ohne die kleinste schampause sofort weiter in richtung nutzung der zensurinfrastruktur.
https://www.golem.de/news/christchurch-wie-umgehen-mit-terrorvideos-im-netz-1903-140152.html
darf man wahrscheinlich demnächst nicht auch nur im entferntesten zensur nennen.
der veranstalter eines festivals wurde mal von der gema angebohrt, es ging um 50000e plus minus für gar nichts. der fall kam vor gericht, wo der veranstalter für alle(!) bands, die je bei ihm aufgetreten waren, nachweisen konnte, dass nie eine dieser bands geld von der gema erhalten hatte. und damit hat er echt gewonnen! was ne party das gab.
normalerwiese ist ein solcher nachweis für verantstalter aber nicht zu erbringen. und ginge es an irgendeiner stelle um gerechte vergütung, dann könnte doch die gema mal ansagen, inwiefern sie die künstler vergütet, für die sie vorgeblich gerade die hand aufhält.
in der realität sieht es so aus, dass der großteil der einnahmen der gema nicht einzelnen künstlern zugeordnet wird/werden kann und die gesammelten beträge dann nach irgendwelchen schlüsseln pauschal aufgeteilt werden (minus wasserkopfgebühr).
die aufteilung erfolgt zugunsten der großverdiener. grönemeyer und lindenberg & co. so hat es der veranstalter damals berichtet. sie können ja gern mit insiderfakten antworten.