Mimesis und Praxis

Soko Chemnitz Der Literaturwissenschaftler Wolfram Ette stört sich an der Aktion des Zentrums für Politische Schönheit. Aus 3 Gründen
Ist das noch Kunst?
Ist das noch Kunst?

Foto: imago/HärtelPRESS

1.

Handelt es sich um Kunst? Nur unter dieser Voraussetzung greift Artikel 5 des Grundgesetzes. Ich würde sagen: nein. In erster Linie handelt es sich um eine politische Aktion. SOKO Chemnitz ist nicht Mimesis, Nachahmung oder Darstellung der Wirklichkeit zum Zweck ihres tieferen Verständnisses, sondern eine Praxis. Dass diese Praxis mit illegalen Mitteln und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen versucht, Licht ins Dunkel der Neonazi-Szene und ihre Unterstützer zu bringen, ist dabei sekundär. Aber man muss am Unterschied von Mimesis und Praxis festhalten, wenn man die Grenze zwischen Kunst und Nichtkunst nicht gänzlich aufheben will. Wenn es sich aber um eine Praxis handelt, die mit ästhetischen Mitteln agiert, ohne selbst Kunst zu sein, ergibt die Berufung auf die Freiheit der Kunst laut Art 5 GG keinen Sinn.

P.S.: Wo genau auf der Skala zwischen Mimesis und Praxis die Aktionen des Zentrums für polische Schönheit anzusiedeln sind, welches Moment dabei überwiegt usf., ist nicht generell, sondern nur im Einzelfall zu entscheiden.

Wolfram Ette ist Literaturwissenschaftler und habilitierte sich 2009 an der Technischen Universität Chemnitz zur Kritik der Tragödie

2.

Die Aktion, die sich der Mittel des Gegners bedient, um die eigenen politischen Ziele zu verfolgen, ist eine Form politischer Romantik. Denn sie suggeriert, die Verhältnisse wären schon so, dass der Zweck die Mittel heilige. Mit anderen Worten, sie suggeriert eine bürgerkriegsähnliche Situation. Die haben wir zum Glück noch nicht und ich würde mir wünschen, dass das so bleibt. Die Voraussetzung einer Situation, in der wir von allen Querelen der Ambivalenz befreit wären und die Eindeutigkeit einer militärischen Situation herrscht, ohne dass die Situation schon gegeben ist, verstehe ich aber so, dass eine solche Situation im Stillen herbeigewünscht wird. Das aber ist politische Romantik.

3.

Die Aktion trägt dazu bei, diesen Zustand herbeizuführen, wirkt also eskalativ. Und dies aus zwei Gründen:

a. Diejenigen, die den realen Folgen ausgesetzt sind, entlassen wurden oder anderen Drangsalierungen ausgesetzt sind, werden Vergeltung schwören und sie nach Möglichkeit auch ausüben. Falls ihnen dabei auch noch Unrecht geschah – Kann man garantieren, dass nur Rechte auf der Namensliste des ZPG stehen? Könnte ich nicht auch durch welchen Zufall auch immer auf sie geraten sein? –, wird es die Sache des „radikalen Humanismus“ keinesfalls stärken.

b. Die Aktion ist verletzend durch ihre Arroganz. Zum einen unterstellt sie den Rechten, sie seien einfach dumm und nach allen Regeln der Kunst reingelegt worden. Zum anderen drückt sich darin die Überlegenheit der Hauptstädter aus, die den ostdeutschen Provinztölpeln einen überbraten und aus gelassener Distanz zusehen, wenn die sich anschließend zerfleischen.

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