Der Handelskrieg beginnt am Donnerstag

Südkorea-Japan: Neben dem „großen" Handelskonflikt zwischen den USA und China, ist ein „kleiner“ Handelskrieg zwischen Japan und Südkorea fast unbemerkt geblieben.

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Am Donnerstag, 8.August treten japanische Handelsrestriktionen gegenüber Südkorea in Kraft, welche die südkoreanische Elektronik-Industrie empfindlich treffen werden. Spezielle Chemikalien, insbesondere hochreiner Fluorwasserstoff für die Chipherstellung und fluorierte Polyimiden für die Herstellung von Displays für Fernseher und Smartphones, dürfen von den japanischen Herstellern nur noch an koreanische Firmen geliefert werden, wenn vorher für jede einzelne Lieferung eine spezielle Ausfuhrgenehmigung der japanischen Regierung erteilt wurde.

Bei einigen dieser Chemikalien hat Japan faktisch ein Monopol, so dass die koreanischen Großkunden wie Samsung Electronic, LG und SK Hynix beim Ausbleiben dieser Lieferungen, nicht mehr genügend elektronische Komponenten für den Weltmarkt herstellen können. Samsung Electronics ist der Welt größte Hersteller von Speicherchips und Smartphones. Kurzfristig profitiert Samsung sogar von dem Lieferengpass, denn Speicherchips werden nun deutlich teurer, wenn es kein Überangebot auf dem Weltmarkt mehr gibt. Einige Vorräte der von Japan bezogenen Chemikalien werden aber nach einem Monat aufgebraucht sein. Dann werden die Lieferengpässe auch auf die Kunden von Samsung und LG durchschlagen und die von Trump und dem Brexit aufgemischten Lieferketten auf dem Weltmarkt noch mehr strapazieren.

Japan entzieht ab Ende August Südkorea auch den Status eines bevorzugten Handelspartners, den Südkorea bisher als einziges asiatisches Land genießt. Die offizielle japanische Begründung dafür lautet, Südkorea wäre wegen seiner Annäherungspolitik an Nordkorea nicht mehr vertrauenswürdig genug. Es bestehe die Sorge, dass die seltenen Chemikalien und tausende andere Güter, die auch militärisch nutzbar seien, in nordkoreanische Hände gelangen könnten.

Die südkoreanische Regierung hat für den 9.August eine Kabinettssitzung anberaumt, auf der Gegenmaßnahmen gegen die japanischen Handelsrestriktionen beschlossen werden sollen. Bereits jetzt sieht man in einigen südkoreanischen Geschäften unverblümte Boykottaufrufe für japanische Waren.

Wie ist es zu diesem „kleinen“ Handelskrieg gekommen?

Südkorea und Japan sind beide wichtige Verbündete der USA gegen China und Nordkorea. Der Handelskonflikt zwischen Japan und Südkorea hat tatsächlich mit der aktuellen politischen Lage gar nichts zu tun. Vielmehr resultiert er aus Animositäten aus der längst überwunden geglaubten Vergangenheit beider Staaten:

Japan hatte das Königreich Korea im Jahr 1910 annektiert und das Land ab 1936 als Aufmarschgebiet für seinen Einfall in der Mandschurei und in Zentralchina benutzt, was schließlich in den Zweiten Weltkrieg mündete. Millionen Koreaner mussten als Zwangsarbeiter in den japanischen Industriebetrieben und Kohleminen für die Kriegsproduktion schuften. Eine Million Koreaner wurden nach Japan deportiert und arbeiteten dort ebenfalls als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie. Viele haben dafür keinen Lohn erhalten. Während des Zweiten Weltkriegs mussten zudem Zehntausende Koreanerinnen als „Trostfrauen“ in den Bordellen der japanischen Armee den japanischen Soldaten sexuelle Dienste erweisen.

Im Jahr 2018 hat der oberste südkoreanische Gerichtshof vier klagenden ehemaligen südkoreanischen Zwangsarbeitern eine Entschädigung von je 85.000 Dollar zugesprochen für entgangenen Lohn in der japanischen Stahlindustrie während der japanischen Besatzung. Zur Zahlung verurteilt wurden der japanischen Stahlgigant Nippon Steel & Sumitomo Metal. Die beiden Firmen weigerten sich zu zahlen. Daraufhin drohte das südkoreanische oberste Gericht mit der Enteignung von japanischem Firmeneigentum um die vier Kläger auszuzahlen. Das wiederum hat die rechtskonservative japanische Regierung Abe aufs Äußerste erbost, die dann die Handelsrestriktionen gegen Südkorea verkündet hat. Japan will das Urteil des obersten koreanischen Gerichts vor dem Internationalen Gerichtshof anfechten.

Japan verweist auf einen 1965 mit Südkorea geschlossenen Vertrag, in dem Japan an Südkorea pauschal 300 Millionen Dollar für die Begleichung erlittenen Unrechts während der Bessatzung sowie 500 Millionen Dollar Vorzugskredite gezahlt hat. Japan pocht darauf, dass mit dieser Zahlung alle Forderungen aus der Kriegszeit ein für alle Mal beglichen seien. Der oberste südkoreanische Gerichtshof hat aber befunden, das gelte nur für die zwischenstaatlichen Forderungen. Ansprüche von südkoreanischen Privatpersonen gegen japanische Firmen wegen nicht gezahlter Löhne seien mit dem Vertrag von 1965 nicht abgegolten. Das wiederum sehen die Japaner nicht ein. Schließlich sind die gezahlten 300 Millionen Dollar nie bei den südkoreanischen Opfern angekommen, denn die damalige südkoreanische Regierung des Militärdiktators Park Jung-Hee hat das Geld für die eigene militärische Aufrüstung und Industrialisierung ausgegeben. Japan befürchtet, dass nach dem wegweisenden Urteil des obersten südkoreanischen Gerichtshofs noch tausende südkoreanische Zwangsarbeiter und Trostfrauen Ansprüche auf Entschädigungen durch japanische Firmen und Institutionen geltend machen könnten.

Südkorea steht mit seinen Forderungen recht alleine da. Die anderen asiatischen Staaten, die ebenfalls unter der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gelitten hatten, haben sich mit Japan längst abschließend geeinigt. China als das am meisten betroffene Land hat im Jahr 1972 auf alle japanischen Entschädigungszahlungen verzichtet. Südkorea verlangt neben den Geldzahlungen eine förmliche Entschuldigung der japanischen Regierung. Solche Entschuldigungen hat es in der Vergangenheit mehrfach gegeben, jedoch wurden diese – zu Recht – von den Südkoreanern als pro forma und wenig glaubwürdig in Zweifel gezogen.

In der Vergangenheit gab es daher immer mal wieder Auseinandersetzungen zwischen Japan und Südkorea, z.B. um die im südkoreanischen Ostmeer liegende Inselgruppe Dokdo-Island, eine elende Felsenformation ohne strategischen oder wirtschaftlichen Wert aber mit hohem nationalistischen Empörungspotential in beiden Ländern.

Die Nachkommen der einen Million koreanischen Zwangsarbeiter in Japan sind längst in der japanischen Gesellschaft integriert. Allerdings gibt es je eine Gruppierung, die entweder Nordkorea oder Südkorea unterstützt. Koreanische Telenovelas und K-Pop gehören bereits zum Alltag japanischer Jugendlicher. Im Zuge der neuesten Auseinandersetzungen wird aber schon vereinzelt gegen die starke Präsenz der koreanischen Kultur in den japanischen Medien demonstriert. Japan ist auch tief verletzt, weil Südkorea seit dem Reaktorunglück von Fukushima japanische Fischlieferungen mit dem offiziellen Segen der WTO boykottiert.

Der neue Handelskrieg mit Japan kommt für die südkoreanische Wirtschaft zur Unzeit, denn die südkoreanische Industrie hat bereits einen schweren Stand gegen die chinesische Konkurrenz mit ihren staatlich unterstützten Dumpingpreisen. Insbesondere Huawei, das besonders mit US Sanktionen belegt ist, setzt Samsung auf dem Weltmarkt für Smartphones unter Druck. Samsung repräsentiert 20% der an der Börse in Seoul gehandelten Aktien, Entsprechend geht die südkoreanische Börse nun auf Talfahrt. Hinzu kommt, dass sich der südkoreanische Tourismussektor gerade erst langsam erholt von dem Boykott, mit dem die chinesische Regierung chinesischen Touristen untersagte, in Südkorea Urlaub zu machen. Der Grund für den Boykott war 2017 die Stationierung des US-amerikanischen Raketenabwehrsystems THAAD in Südkorea. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong-Un in Hanoi muss die unauffällige „kleine“ Zusammenarbeit zwischen Nord- und Südkorea intensiviert werden um den Annährungsprozess mit dem Fernziel der Wiedervereinigung nicht zum Erliegen zu bringen. Auch das kostet der südkoreanischen Regierung viel Geld, das sie nicht hat. Hinzu kommt, dass Trump Südkorea immer mal wieder mit Strafzöllen droht, weil die USA auch gegenüber Südkorea ein sattes Handelsdefizit haben. Insbesondere die südkoreanische Auto-Industrie windet sich wie die deutsche Autoindustrie unter dieser ständigen Drohung, von der man nicht weiß, ob und wann Trump sie in die Tat umsetzt.

Eine Umfrage der Zeitungen Yomiuri Shimbun aus Japan und Hankook Ilbo aus Korea ergab, dass im Juni 74 Prozent der Japaner Korea misstrauten und 75 Prozent der Koreaner Japan. Keine guten Voraussetzungen für eine baldige Einigung im Handelsstreit.

Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe kann mit seiner harten Haltung gegenüber Südkorea im japanischen Wahlkampf punkten. Donald Trump hat derzeit andere Sorgen als sich um das Fingerhakeln zwischen seinen beiden wichtigsten Verbündeten im Fernen Osten zu kümmern. Nur Nordkorea unterstützt Südkorea bei der Forderung nach japanischen Wiedergutmachungs-Zahlungen. Südkorea will den Handelsstreit vor die WTO bringen, Japan hat daran kein Interesse. Außerdem kann ein WTO Urteil Jahre dauern. Also ein weiterer Konflikt, der das Weltgeschehen noch unübersichtlicher macht und eigentlich überflüssig ist wie ein Kropf.

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Geschrieben von

Querlenker

Zu den Problemen unserer Zeit stelle ich funktionierende Lösungen vor, die aber aus Gründen der Konvention, der Moral oder Faulheit niemand anpackt.

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