Massenproteste gegen Südkoreas Präsidentin

Seoul Die Weltöffentlichkeit wurde diese Woche überrascht von Massenprotesten in Südkorea gegen die südkoreanische Staatspräsidentin Park Geun-Hye

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Tausende fordern am Samstag den Rücktritt der amtierenden Präsidentin
Tausende fordern am Samstag den Rücktritt der amtierenden Präsidentin

Foto: Chung Sung-Jun/Getty Images

In den letzten Tagen gingen im ganzen Land Zehntausende auf die Straßen um gegen Park zu demonstrieren und ihren Rücktritt zu fordern. Die Zustimmung zur Präsidentin sank auf fünf Prozent. Das ist der historisch niedrigste Wert in Südkoreas demokratischer Geschichte. Für den 12. November, 14 Uhr hat der deutsche „Koreaverband“ zu einer Demonstration gegen Park Geun-Hye vor dem Brandenburger Tor in Berlin aufgerufen. Das ist ungewöhnlich, weil sich die hier lebenden Koreaner normalerweise nicht in die Politik ihres Heimatlandes einmischen.

Warum demonstrieren die Südkoreaner auf einmal gegen ihre Präsidentin, die doch durch eine Mehrheit von Wählerstimmen in ihr Amt gekommen ist?

Es geht um eine Korruptionsaffaire innerhalb des Präsidialamts. Choi Sun-Sil, eine Jugendfreundin und vermutlich enge politische Vertraute von Park Geun-Hye ist im Präsidialamt für die Kleidung der Präsidentin zuständig, bekleidet (wie passend!) aber keinerlei politisches Amt. Dennoch hat sie sich faktisch wie eine Vorzimmerdame von Park verhalten. Keine politische Initiative konnte an die Präsidentin herangetragen werden, die nicht über Chois Schreibtisch ging. Darüber hinaus soll Choi von Firmen wie Samsung Spenden für ihre angeblich gemeinnützigen Stiftungen gefordert haben, mit denen Choi dann ihre eigenen Taschen füllte.

Choi wurde mittlerweile verhaftet und Park Geun-Hye hat sich öffentlich entschuldigt, dass solche Dinge im Blauen Haus, dem Sitz der südkoreanischen Präsidentin in der Hauptstadt Seoul, passieren konnten. Park Geun-Hye bildete außerdem ihr Kabinett um.

Zum besseren Verständnis muss man wissen, dass Park Geun-Hye die Tochter des ehemaligen südkoreanischen Präsidenten und Militärdiktators Park Jung-Hee ist. Bis zu Parks gewaltsamen Tod 1979 war der südkoreanische Sektengründer Choi Tae-Min Mentor des Militärdiktators. Park Jung-Hee wurde 1979 von seinem eigenen Geheimdienstchef Kim Jae-Kyu erschossen. Parks Frau Youk Young-Soo, also die Mutter der jetzigen Präsidentin, wurde 1974 von einem mutmaßlichen nordkoreanischen Agenten aus Japan im südkoreanischen Parlament erschossen. Die Schüsse galten offenbar dem General Park Jung-Hee, trafen aber dessen Ehefrau.

Die jetzt beschuldigte Choi Sun-Sil ist die Tochter des Sektengründers Choi Tae-Min. Aus diesen langjährigen familiären Verstrickungen erklärt sich wohl die verhängnisvolle Rolle, die Choi Sun-Sil ohne offizielles Amt im südkoreanischen Präsidialamt spielen konnte.

Korruption ist in den südkoreanischen Eliten weit verbreitet. Es kommt immer wieder zu Demonstrationen gegen die jeweilige Regierung, die nach unseren Maßstäben recht gewalttätig verlaufen. Die Polizei ist martialisch mit Schilden, Schlagstöcken und Tränengas ausgerüstet, die Demonstranten, meist Studenten, die bereits ihren Militärdienst in der Armee absolviert haben, werfen mit Steinen auf die Polizei und gehen mit Knüppeln gegen sie vor.

Allerdings gab es schon lange nicht mehr so massive landesweite Proteste.

Die Korruptionsaffaire im Präsidialamt ist nur der Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen gebracht hat. Schon in den letzten zwei Jahren ist die Unzufriedenheit vor allem der jungen Leute mit Park Geun-Hye gewachsen. Südkorea ist ja bekannt für sein äußerst effizientes aber brutales Bildungswesen. Wer sich durch Schule und Universität zu einem akademischen Abschluss durchgearbeitet und viel Geld für Nachhilfeunterricht ausgegeben hat, konnte bisher davon ausgehen, dass er danach einen anständigen Job bekam. Das ist jetzt nicht mehr so. Immer mehr Jungakademiker finden keine Stelle.

Auch dafür gibt es Gründe. Südkorea hat ein beispielloses Wirtschaftswunder hinter sich. Das Land war ein eindeutiger Gewinner der Globalisierung. Wir erinnern uns, was Südkorea uns Deutschen angetan hat: Der Bremer Vulkan wurde von Hyundai vom Weltmarkt für Frachtschiffe gefegt. Samsung statt Grundig, LG statt Telefunken, Posco statt Thyssen-Krupp Stahl.

Den gleichen industriellen Umbruch erleidet nun auch Südkorea durch die übermächtige Billigkonkurrenz aus China. Dieses Jahr ging Hanjin, die größte koreanische und der Welt fünftgrößte Containerschiff-Reederei in die Insolvenz. Die Containerschiffe von Hyundai Heavy Industry mag auch niemand mehr kaufen und der Stahl von Posco ist gegen die chinesische Billigkonkurrenz chancenlos. Die südkoreanische chemische Industrie ist ebenfalls schwer unter Preisdruck. In Südkorea fahren fast nur Autos aus einheimischer Produktion. Das gilt jedoch nicht für die Oberklasse. Da fahren fast nur Luxuswagen made in Germany, trotz horrender Importzölle. Man wird sehen, ob der jüngste Abgasskandal bei Audi daran etwas ändert. Und nun auch noch das Desaster mit den brennenden Akkus bei Samsungs Flaggschiff, dem Smartphone Galaxy S7! Wird es Samsung so ergehen wie Nokia?

So wie Deutschland sich von seiner Schwerindustrie , Werftindustrie und dem Kohlebergbau verabschiedet und neuen Geschäftsfeldern wie z.B. der Umwelttechnologie zuwendet, gelingt das auch zögerlich Südkorea. Aber aus Werftarbeitern macht man nicht über Nacht Schönheitschirurgen, aus Telefon-Ingenieuren nicht Ingenieure für Atomreaktoren, um mal zwei neue Geschäftsfelder zu nennen, mit denen Südkorea jetzt auf dem Weltmarkt reüssiert.

Südkorea hat eine Fläche nur wenig größer als Österreich aber genauso gebirgig. Auf dieser Fläche leben 50 Millionen Menschen, die Arbeit benötigen, aber in der beginnenden Wirtschaftsflaute keine neue Anstellung finden.

Dazu kommen große Probleme für die rasant wachsende Menge alter Menschen. Nicht nur werden diese älter als früher, sondern sie werden auch nicht mehr von ihren Kindern versorgt, die in die Großstädte ziehen und mit dem Kampf um einen Arbeitsplatz ausgelastet sind. Ein effizientes Rentensystem fehlt jedoch. Mit 50 Jahren ist man in Südkorea schon zu alt für den Arbeitsmarkt und erhält eine einmalige Abfindung. Von der muss man dann bis zum Lebensende leben. Im Großraum Seoul gibt es Hunderte von "Altenhotels". Dort wohnen alleinstehende alte Menschen in einer Box aus 4 qm Fläche. Da passt gerade das Bett hinein. Dazu gibt es Gemeinschafts-Duschen/WC und -Küchen. Diese Alten fahren den ganzen Tag U-Bahn um sich die Zeit zu vertreiben. Für über 65-jährige ist die U-Bahn in Seoul kostenlos und für sie sind in jedem Waggon die drei äußersten Sitzplätze reserviert. Park Geun-Hye bemüht sich zwar, ein bescheidenes Sozialsystem aufzubauen, hat aber bisher wenig Erfolg damit. Eine von ihr mit eingeführte Grundrente von ca. 200 Euro im Monat kann die Altersarmut nicht wirklich beseitigen.

Für alle oben genannten Unzufriedenen ist es natürlich unerträglich, zu sehen, wie sich die Eliten durch Korruption und Vetternwirtschaft die Taschen voll machen.

Das Verhältnis zu Nordkorea ist so schlecht wie immer. Das kann man also nicht Park Geun-Hye anlasten. Allerdings wird ihr von einem Teil der Bevölkerung verübelt, dass sie daran nichts ändert. Park Geun-Hye gilt als Amerika-hörig und gestattet es den Amerikanern, in Südkorea neue Raketenabwehrsysteme zu installieren, die offiziell gegen Nordkoreas Atomraketen gerichtet sind, in Wahrheit aber China bedrohen. Die Bevölkerung steht einer Wiedervereinigung skeptisch gegenüber, nachdem sie in Deutschland gesehen hat, wie teuer so etwas wird und wie lange es dauert.

Trotz der aktuellen Proteste kann man davon ausgehen, dass Park Geun-Hye ihre Amtszeit bis 2018 durchstehen wird, es sei denn, es kämen in der Präsidialamtsaffaire noch gravierende neue Tatsachen ans Licht, so dass ihr ein Teil ihrer Parlamentsmehrheit die Gefolgschaft versagt.

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Geschrieben von

Querlenker

Zu den Problemen unserer Zeit stelle ich funktionierende Lösungen vor, die aber aus Gründen der Konvention, der Moral oder Faulheit niemand anpackt.

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