Unvorstellbar schwer krank

Myalg. Enzephalomyelitis Sehr schwere ME bedeutet, unvorstellbar schwer krank zu sein. Zu krank für einen Klinikaufenthalt.

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Myalgische Enzephalomyelitis, kurz ME, ist eine sehr schwere Krankheit. Die „Internationalen Konsenskriterien für ME“ enthalten vier Schweregrade zur Einteilung der Patienten: „(…) mild (eine ca. 50%ige Senkung des Aktivitätsniveaus durch die Erkrankung), mäßig (meist hausgebunden), schwer (meist bettlägerig) oder sehr schwer (...)“ (Ü. d. A.). Hier möchte ich auf den schwersten Grad „very severe“ (sehr schwer) eingehen.

Sehr schwere ME zu haben bedeutet „vollständig bettlägerig sein und Hilfe bei den grundlegenden Aufgaben zu benötigen.“ (Ü. d. A.). Die sehr schweren Fälle haben jedoch zusätzlich noch fürchterliche Schmerzen und hunderte weitere schwere Symptome.

Neurosensorische- und Bewegungsstörungen äußern sich in Form von Licht-, Lärm-, Vibrations-, Geruchs-, Berührungsempfindlichkeit und Lähmungen. Viele vertragen keinerlei Licht, selbst wenn nur geringstes Dämmerlicht auf ihre Augen trifft können sie starke Symptome bekommen, als ob sie direkt in die Sonne blicken müssten. In Autopsien von Schwerstkranken wurden Entzündungen der Spinalganglione gefunden. Sämtliche Reize werden nicht mehr ausreichend vom Gehirnstamm gefiltert und die Neuronen feuern zu früh.

Diese Überempfindlichkeiten gegenüber Reizen sind ziemlich einmalige Symptome, die sich fast nur bei ME finden und die für schwere ME typisch sind. Da die Krankheit unbekannt ist, glauben die Klinikärzte nicht, dass der Patient auf diese Dinge mit Verschlechterung des gesamten Zustandes reagiert, sondern die Patienten werden noch mit schädlichen Reizen provoziert. Manchen dieser ME-Patienten werden in der Klinik die Schlafbrille und der Gehörschutz weggenommen und sie müssen Elektroenzephalographie (EEG) mit Blitzlicht über sich ergehen lassen. Diese Menschen sind zu krank für einen Klinikaufenthalt und sie werden nach solchen Untersuchungen kränker nach Hause geschickt als sie eingeliefert wurden.

Jede Übertretung der Grenzen des total erniedrigten Energielevels führt zu einer Verschlechterung, die Erholungszeit ist dabei extrem verlängert (>24h) und ein Rückfall kann zu wochenlanger oder dauerhafter Verschlechterung führen. Selbst ein Gespräch kann schon zu viel sein, schwerste Fälle können nicht mehr sprechen. In schwersten Fällen kann sich der Patient gar nicht mehr erholen und somit führt jeder Überreizung zu permanenter Verschlechterung. Jede Verschlechterung führt dabei zu einer stärkeren Empfindlichkeit gegenüber jeglichen Sinneseindrücken. Dies kann sich ein Gesunder leider nur schwer vorstellen.

Viele ME-Patienten, auch mild, moderat oder schwer Betroffene, können extrem auf Lebensmittel, Medikamente oder Chemikalien reagieren. Gerüche können ebenfalls zu einer Verschlechterung führen. Wegen der Geruchsempfindlichkeit bekommen viele bereits beim Gebrauch von Desinfektionsmittel eine Symptomverstärkung. Leider nehmen Ärzte und Krankenhäuser auf diese Reizempfindlichkeiten keine Rücksicht. Auch die Verwendung von Parfüm und Duftstoffen in Hygieneartikeln wie Waschmittel und Deo ist sehr problematisch. Zum Glück gibt es duftstofffreie Alternativen. Diese sollten für Ärzte und Pfleger, neben einem Verbot von Parfüm in Krankenhäusern und bei Arztpraxen, zur Regel werden.

Bei schweren Fällen treten auch häufig Lähmungen (zum Beispiel spastische Lähmung) auf. Sie können dabei bei Crashs, also Zusammenbrüchen nach Überlastung, für eine begrenzte Zeit oder bei sehr schwereren Fällen dauerhaft auftreten. Allerdings können diese auch bei milden Fällen, in der Regel für kurze Zeiträume, auftauchen.

Die Orthostatische Intoleranz ist ebenfalls ein fieses Symptom. Es zwingt den Patienten dazu, immer in horizontaler Lage zu liegen. Je nach Schwere ist kurzes sitzen möglich, aber es gibt auch Fälle die 24/7 liegend verbringen müssen und nicht einmal um zu essen sitzen können. Ignorieren des Symptoms führt zu einer Mangeldurchblutung des Gehirns und zu Ohnmacht. Um eine milde Form der Orthostatischen Intoleranz nachzuweisen wird der „Tilt Table Test“ verwendet. Bei schweren Fällen kann es sein, dass diese selbst den Kopf nicht mehr anheben, in manchen Fällen auch nicht mehr durch Dritte anheben lassen können. Der Körper ist so extrem schwach.

Auch die Nahrungsaufnahme ist bei sehr schweren Fällen ein kritischer Punkt. Essen muss gekaut und verdaut werden. Viele können nicht mehr kauen und dadurch nur noch Trinknahrung zu sich nehmen. Diese muss dabei von einem, sehr vorsichtig vorgehenden, Angehörigen in den Mund geschüttet werden. Erschwerend kommt hier, dass den Mund zu öffnen bereits eine schwere Anstrengung darstellen kann. Andere können nicht einmal mehr schlucken und müssen per Sonde ernährt werden.

Manche sehr schwere Fälle benötigen eine Windel, nicht weil sie inkontinent sind, sondern weil sie so schwer Betroffen sind, dass es ihnen nicht mehr möglich ist, eine Bettschüssel zu verwenden. Obwohl sie ihre Verdauung noch willentlich steuern können und bei vollem Bewusstsein sind.

Schwere ME-Fälle verbringen manchmal viele Jahre in kompletter Dunkelheit und Stille, ohne soziale Kontakte, wie lebendig begraben. Immer wieder liest und hört man auch von sehr schwer Betroffenen, die nach wenigen Jahren an der Krankheit verstorben sind.

Bei Krebs und anderen Erkrankungen werden die am schwersten Betroffenen am intensivsten versorgt, sogar die Angehörigen werden häufig noch psychologisch betreut. Bei den von ME am schwersten Betroffenen ist das leider nicht der Fall. Diese werden in der Klinik oft als Simulanten behandelt, es wird ihnen zum Beispiel keine Trinknahrung gegeben, da die Ärzte abwarten, ob der Patient doch noch aufsteht und isst. Andere berichten, dass sie nicht mit Inkontinenzartikeln versorgt wurden. Je stärker die Behinderung durch die Krankheit, umso unglaubwürdiger wirkt der Patient auf die Ärzte, da bisher übliche Labortests die Schwere der Krankheit nicht beweisen können.

Es für diese Patienten überlebenswichtig, dass diese Krankheit endlich erforscht, in Universitäten korrekt gelehrt wird und dadurch die Ärzte lernen, die Betroffenen korrekt zu behandeln.

Noch ein eindrückliches Zitat einer Schwerstbetroffenen:

„Ich kann nicht gewaschen werden, ich kann meinen Kopf nicht heben, ich kann niemanden bei mir haben, ich kann nicht aus dem Bett gehoben werden, kann nicht aus dem Fenster schauen, kann nicht berührt werden, kann weder fernsehen noch Musik hören – die Liste ist lang. ME hat meinen Körper zu einem quälenden Gefängnis gemacht.“ Emily Rose Collingridge (1981-2012)

Fazit

Sehr schwere ME bedeutet Leben voller Leid und unvorstellbarer Qualen. Die Patienten sind zwar noch am Leben, aber mehr tot als lebendig, denn sie sind wirklich zu keinerlei körperlicher oder geistiger Aktivität mehr in der Lage. Aktiv zu sein ist doch das Leben, und solche schwer kranke Menschen sind dazu nicht mehr fähig. Sie können sich auch nicht mehr mit Freunden treffen oder Gespräche führen, da bereits alles Lebensnotwendige, wie essen und verdauen, zu Überlastung führt. ME ist keine psychiatrische Krankheit, sondern eine chronische neuroimmunologische Krankheit, vermutlich durch Infektion verursacht, weshalb in einigen Ländern ME/“CFS“-Patienten die Blutspende bereits untersagt wird (Australien).

Dieser Artikel darf frei weiter verbreitet werden. Eine Namensnennung wäre nett, ist aber nicht notwendig.

Weitere Informationen

Sophia Mirza
Late M.E. sufferer Sophia Mirza – vid 1
Late M.E. sufferer Sophia Mirza – vid 2

Chronic fatigue syndrome – I have/had chronic fatigue syndrome. Can I donate?

Liste von an ME verstorbenen: Memorial
YouTube: ME/CFS hat meinen geliebten Sohn Simon getötet.

Informationen für Ärzte:
Myalgic Encephalomyelitis International Consensus Primer
Internationale Konsenskriterien für ME

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