A bas le pédagogisme (3. Teil) - Endlich kam Brighelli

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Enfin Malherbe vint (endlich kam Malherbe) ist ein geflügeltes Wort aus der Art poétique Boileaus. Auf die pädagogische Diskussion angewandt, ist die Sentenz Enfin Brighelli vint durchaus gerechtfertigt. 2005 veröffentlichte der Professeur-Ecrivain im kleinen Verlag Gawsewitch La fabrique du crétin und ließ aufgrund des immensen Erfolges 2006 das Buch A bonne école folgen. Brighelli ist Schüler der Ecole normale supérieure und Französischlehrer, allerdings auch Autor von Kunst- und Reiseführern sowie von unter Pseudonym veröffentlichten Kriminalromanen. Eine starke Feder also. Ein medienerprobter Lehrer, der sehr schnell zum Wortführer der Anhänger der Ecole républicaine werden sollte.

Schon im Vorwort der Fabrique du crétin gibt der Kollege Lecherbonnier mit einem provozierenden, aber durchaus nachvollziehbaren Vergleich den Ton vor: Das französische Schulsystem beruht formal auf Einheitsschulen, und doch produziert es wie einst das Kolonialsystem wenige "Herrschaftswissende" und eine Multitude von tendenziellen Bildungskretins, deren "Wissen" aber funktionabel ist. Schließlich braucht "man" billige, Ausbeutung akzeptierende Arbeitskräfte.

Wie es geschehen konnte, dass das moderne (von allen Bildungsinteressierten mit gesundem Menschenverstand auch bei uns geforderten) Schulsystem (Einheitskolleg bis 15 Jahre, sehr hoher Anteil an Abiturienten) viele tendenzielle Analphabeten, Schüler "ohne Appetenz und Kompetenz" produzieren konnte und dass heute weniger Arbeiterkinder in Frankreich studieren als zu Zeiten des zweigegliederten Schulsystems - das versucht Brighelli an Beispielen zu erläutern.

Er setzt sich polemisch mit den "neuen Ayatollahs der Pädagogik" und deren Dogmen auseinander. Für ihn ist der Lehrer keine "assistante sociale". Der Schüler ist nicht in der Klasse um sich "auszudrücken", er ist da, um zuzuhören, zu lernen und Notizen zu machen. Sätze, die jedem Pädagogisten - wo auch immer - die früher langen Haare zu Berge stehen lassen. Die Schule ist kein "Lebensraum", Schule ist ein Raum des "Wissens". Brighelli belegt, dass kurioserweise in den "Eliteschulen" der "guten Viertel" genau dies passiert. Man arbeitet auf die alte Art - mit den alten Resultaten. Schön böse auch die Erkenntnis, dass die Leistungen der Schüler mit den Immobilienpreisen des entsprechenden Viertels steigen.

Für die Schulen des Volkes in den "gefährlichen Vierteln" müssen die Unterrichtenden, die alle in derselben Form gebacken worden sind, in "Sequenzen" und "in Progressionen" den "Schüler ins Zentrum des Lernens" stellen - am besten "individuell". Richtig so, werden die Pädagogisten sagen. Vollkommen falsch, entgegnet Brighelli. Für seine Argumentation sprechen die schlechten Leistungen der Schüler, ihre offensichtliche Unbildung in den kulturellen Essentials. Die Pädagogisten - so Brighelli - definieren diese einfach um, reduzieren die Anforderungen in Rechtschreibung und Syntax, gehen zum Beispiel bezüglich der französischen Literatur davon aus, dass alle Texte gleichwertig seien, also ein Werbetext einem Gedicht von Mallarmé entspreche und es nur auf die Anwendung der richtigen Methode ankomme. Verabschieden wir also die Qualität, ruft Brighelli ironisch-bitter. Der Literatur wird ihr Stachel genommen. Sie darf ja auch nicht stechen.

Entsprechend sind die Lehrbücher gestaltet. Inhalte machen Methoden Platz. Es entsteht ein "methodischer Pedantismus" oder ein "pedantischer Methodismus". Die Kollegen der BRD können ihm hier sicherlich zustimmen. Es reicht, ein beliebiges Buch der Oberstufe aufzuschlagen. Diese Lehrbücher werden wiederum benutzt von Absolventen des IUFM (dem für die Institut der Lehrerausbildung), dem Brighelli die pädagogistische Formatierung der künftigen Lehrer vorwirft. Deren Sprache vergleicht er mit dem Orwellschen Newspeech, deren Handlanger sind die allmächtigen Schulinspektoren. Ein Schelm, wer an unsere Qualitätsinspektoren und deren Notebookdidaktik denkt!

Zurück also, fordert Brighelli, zurück in die Zukunft! Die Lehrer müssen "Instruktionisten" sein, die Erziehung sollte den Eltern und Sozialarbeitern überlassen werden. Er bekennt sich aus demokratischen Gründen zum Elitismus. Zum Beispiel in der Bewertung der Lehrerarbeit. Die Lehrer sind nicht gleich. Grundschullehrer und Gymnasiallehrer sind unterschiedliche Berufe, weil sie sich nicht an dasselbe Publikum wenden und nicht das Gleiche unterrichten. Ein Grundschullehrer unterrichtet Gewissheiten, ein Gymnasiallehrer die Zweifel. Die Sekundarschule nimmt eine Scharnierstellung ein. Wer dem zustimmt, kann allerdings nicht mit der GEW gleiche Bezahlung für Grundschullehrer und Sekundarstufe-II-Lehrer fordern - und dies mit der Begründung, es mache keinen Unterschied, ob man kleine oder große Schüler unterrichte. Beide seien zudem bald "Masters of Education".

Doch wo ist der deutsche Lehrer mit dem Mut Brighellis, offensichtliche Wahrheiten gegen den Mainstream auszusprechen? Wo ist der Lehrer, der die evidente Wahrheit formuliert, dass "Frontalunterricht" nicht immer "langweilig", "ineffizient" oder gar "militaristisch" ist? Wo ist der Lehrer, der fragt, ob "unsere Jungs" in Afghanistan nicht etwa durch "individualisiertes Lernen" ihre militärische Effizienz erworben haben? Weil dieses nämlich "willing executioners" produziert.

Die Fabrique du crétin endet optimistisch: Der Kretin ist kein Schicksal. Noch nicht.

Brighelli hat übrigens ein stark frequentiertes Blog, Bonnet d'âne, auf dem er regelmäßig zu Schulthemen Stellung nimmt. Hier diskutieren und streiten sich zahlreiche Lehrer - oft mit der berühmten furia francese und enormem Esprit - vor allem in Zeiten des Wahlkampfes. Könnte uns nicht passieren. Stimmt's?

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