A bas le pédagogisme (letzter Teil) - die Schule der Feigheit

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2007 erscheint bei Gawsewitch die Ecole de la lâcheté, die Schule der Feigheit. Autor ist der frühere Philosophielehrer Maurice Tarik Maschino, der jetzt als Journalist für die bekannte Monde diplomatique arbeitet. Maschino hat mehrere Bücher zu Bildungsproblemen veröffentlicht, die sich in ihrem kritischen Esprit wohltuend von den Reformhymnen einiger deutscher Bildungsjournalisten abheben.

Im erwähnten Buch beschäftigt er sich mit der Frage aller Fragen, die auch bundesdeutsche "Reform"-Gegner nicht loslässt: Warum beteiligen sich die Unterrichtenden aktiv an den "Reformen" - gegen ihre Interessen und gegen die ihrer Schüler? Die Frage nach dem Mitläufertum also. Provozierend fragt Marashino: Ist es das Proprium eines Intellektuellen (und im Prinzip sind die Lehrenden Intellektuelle) die öffentliche Meinung zu fürchten oder im Gegensatz dazu ihren kritischen Geist zu praktizieren?

Kritischer Geist! Lehrer und Intellektualität! Ich sehe manchen Leser grinsen - und empfehle en passant Adorno, Tabus über den Lehrerberuf (Besseres gibt es nicht im deutschen Sprachraum).

Maschino stellt fest: In der Schule der Reformer wimmelt es von diesen kleinen Chefs, die nicht im eignen Namen zu sprechen wagen. Durch die aber andererseits die Sprache der Reformer spricht. Wie kommt's? M. beginnt den empirischen Teil seines Buches mit der lakonischen Feststellung: Außer im Gebirge kommt man nur kriechend nach oben. Wer Erfolg haben will, gehorcht seinem Herrn, schmeichelt ihm, leckt ihm die Hände und kuschelt sich an seine Füße. Das gilt - wie leicht zu verifizieren - nicht nur für das pädagogische Ppersonal, aber dieses scheint besonders anfällig.

Und es gibt ja auch besonders viele Chefs, die den Pädagogismus und die neoliberale Schule nicht schnell genug implementieren können. In Frankreich sind die Lehrer in regelmäßigen Abständen individuell zu inspizieren - ein Traum aller Soziokraten. Beförderungen hängen davon ab, aber auch das Verbleiben in nicht geliebten Verhältnissen. Der Inspecteur kommt also, seit Wochen ängstlich erwartet, oder die Inspectrice. Die Funktion macht den Menschen, das nach oben gereckte Haupt, das sichere Wort, das ganze Arsenal des Inspektoren, den Titel, den Kontrolleur, der hinten sitzend, alles registrierend. Dies erinnert mich übrigens an die Qualitätsinspektoren in meinem Land, die meinen, nach 20 Minuten laptoptisierter "Bebachtung" des Unterrichts die "Qualität" einer ganzen Schule evaluieren zu können - und das mit Hilfe von Powerpoint. Brrrrr!

Nach den "kleinen Chefs", den Kommissaren der Pädagos", kommen die "Chefchen", wie M. sie nennt, die Direktoren, die Rektoren, die Gendarmen der nationalen Erziehung. Das sind die diejenigen, die die Transmission der ministeriellen Direktiven garantieren (wollen) und die damit weit entfernt sind von der Funktion der "pädagogischen Leuchtürme", als die hiesige Bildungsjournalisten sie phantasieren. Sie haben nach M. zwei Hauptsorgen: 1) nie "negativ" auffallen, 2) sich mit den Eltern verbünden. Das muss allerdings zu merkwürdigen Kontorsionen führen. Und zu extremer Angst. Was wiederum die Konsequenz hat, dass die Lehrer in tendenziell angstneurotischen Strukturen arbeiten müssen.

Aber wer erwartet von Vorgesetzten eigentlich anderes? En France wie in Teutschland.

Bleiben die Lehrer. Die an der Bildungsfront. Die mit dem Frontalunterricht. Und da macht die Lektüre Maschinos wirklich traurig. Hören wir doch regelmäßig von Lehrerstreiks im Land der Revolution. Um dann dies zu lesen:

Allzeit bereit. Die Unterrichtenden als Teil der Gesellschaft verhalten sich auch wie diese: feige. Sie haben Angst, sich zu kompromittieren. Sie geben vor, nichts zu sehen, nichts zu hören. Und die Streiks? Nichts als Rituale, behauptet Maschino. Die kleine traditionelle Revolte: ein oder zwei Streiks im Jahr und ebenso viele Demos, auf denen man seit Jahrzehnten dieselben Parolen skandiert. Es sei natürlich richtig, für die 35 Stunden zu demonstrieren, noch richtiger aber wäre es zu manifestieren, wenn man den Lehrern, den Unterrichtsfachleuten, die Vermittlung von Bildung untersagt, wenn ihre Schule "getötet" wird und vor allem, wenn die eigenen Gewerkschaften mit den Regierenden konnivieren. Glückliches Frankreich, möchte man trotzdem rufen! Bei uns wird noch nicht einmal gegen die Arbeitszeitverlängerung demonstriert. Nichts hat unsere GEW gegen die Arbeitsverlängerung und Arbeitsverdichtung durch Ganztagsschulen unternommen. NICHTS!

Nun verstehen sich die meisten (älteren) Lehrer in Frankreich als Linke. Und auch mancher BRD-Teacher wird sich in den Aussagen des von Maschino zitierten Kollegen wiederfinden: Man macht einen runden Rücken, man schweigt, aber in der Klasse versuchen wir, das Beste herauszuholen. Sehr verdienstvoll, meint Maschino, aber total unwirksam. Nichts wird offen, publikumswirksam in Frage gestellt. Zu passiv, und in letzter Instanz ein kooperativer Beitrag zum Tod der (republikanischen) Schule.

Dabei macht sich der Autor keine Illusionen über die unpolitische Haltung der Mehrheit auch der französischen Lehrer. Er bezeichnet sie in sarkastischer Verzweiflung als politische Analphabeten. Sie können und wollen nicht die Machtfrage stellen. Sie schließen die Augen, sie lassen zu, sie wenden an. Politische Absprachen finden nicht statt. Die Abschließung ist total, die Isolierung komplett. Jeder bastelt in seienr Ecke, manchmal in unerträglichem Leiden. "Einzelkämpfer halt," höre ich einen "Reformer" denken. In der Tat. Nur: die "Reformen" werden durch die Schaffung "serieller Individualisten" mit den immergleichen Methoden kein kollektives politisches Handeln erzeugen. Sie sollen es ja auch verhindern. Die Tränen herunterschlucken, lächeln. Dieses Passe-partout-Lächeln, das die Marke des Lehrers, aber auch der Verkäuferin bei Monoprix ist. Wie treffend! Beide sind als Verkäufer konzipiert.

Maschino beendet sein Werk appellativ. Seid mutig. Habt den Mut, dem Gruppendruck zu widerstehen. Seid solidarisch. Seid individuell. Seid stolz. Vernachlässigt euch nicht. Lebt. Kämpft.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Aber wenn ich erleben muss, dass meine KollegInnen den ganzen Tag wie Arbeitsbienen brummen und wahrscheinlich noch im Schlaf von der Arbeit summen, ...

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