"Calle" und der Pakt mit dem Teufel (zweiter Teil)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Plettenbergs Bürgermeister stand also vor einem echten Dilemma: Die Überreichung des Ehrenrings an Schmitt würde den "Kronjuristen Hitlers" würdigen und die Stadt eventuell vor aller Welt ins politische Zwielicht tauchen. Die Nichtüberreichung würde die Verleugnung des berühmtesten Sohns der Stadt bedeuten und ihn selbst als politischen Feigling zeigen, der sich der "politischen Korrektheit" beuge (den Ausdruck gab es damals natürlich noch nicht). Man sprach eher von "linken Spinnern". Die politischen Hegemonen Plettenbergs, die "Schmittianer" waren, auch wenn sie ihn nie gelesen hatten, würden es ihm nie verzeihen. Und er plante, landespolitisch tätig zu werden.

Allerdings waren die nationalsozialistische Theorie und Praxis des Carl Schmitt denen, die es interessierte, auch damals bekannt - und erkannt. Das immense Ausmaß der NS-Tätigkeit ist jedoch erst in den letzten Jahrzehnten durch die Veröffentlichungen von Nicolaus Sombart (1991), Raphael Gross (2000) und Reinhard Mehring (2009) auch für die so genannte breitere Öffentlichkeit zugänglich geworden. Vor allem letzterer bietet - trotz aller Empathie Schmitt gegenüber - eine äußerst faktenreiche Darstellung. Es ist also möglich, die Lebensgeschichte des "Jahrhundertgelehrten" zu "historisieren". Sombart schreibt in diesem Sinne: "Der Irrtum des Schmittschen Denkens ist die Wahrheit der deutschen Geschichte", die Lebensgeschichte Schmitts ist sozusagen "ein fortlaufender Kommentar der deutschen Geschichte." Dies möchte ich im Folgenden so kurz wie möglich darlegen (es ist wahrscheinlich trotzdem zu lang).

Schmitt wird 1888 in einer kleinbürgerlichen Plettenberger Familie mit Migrationshintergrund (Mosel, Lothringen) geboren. Nach dem Abitur studiert der begabte junge Mann nicht - wie zuerst geplant - Theologie (er hätte Hebräisch lernen müssen), sondern Rechtswissenschaft. Seinen letzten Schliff erhält er bei einem freundlichen Mentor, dem Rechtwissenschaftler Fritz von Calker in Straßburg. Das Elsaß ist seit 1871 bekanntlich als "deutsche Reichsprovinz" annektiert. 1910 wird Schmitt Rechtsreferendar in Düsseldorf, wo er den beziehungsrelevanten Geheimen Justizrat und Zentrumsabgeordneten von Zehnhoff kennen und schätzen lernt. Emotional wichtiger sind ihm damals der auratische Dichter Theodor Däubler ("Nordlicht") und der Assistent seines Straßburger Doktorvaters von Calker, Fritz Eisler, dessen(jüdische) Familie ihn auch finanziell unterstützt. Dies hindert ihn aber nicht daran, schon damals antisemitische Sätze in sein Tagebuch abzusondern.

Die Alterskohorte Schmitts gehört historisch zum "Kanonenfutter" des Ersten Weltkriegs. Und so wird auch der Freund Fritz Eisler gleich zu Beginn des großen Massakers getötet. Nicht so Carl Schmitt, der als historischer Glückspilz aufgrund seiner Beziehungen in München, der späteren "Hauptstadt der Bewegung", einen kriegswichtigen Bürojob bekomt - als Zensor. Und der nun, wie Mehring schreibt, mit großem Interesse zum Beispiel Zolas "J'accuse" liest, um anschließend dessen Beschlagnahmeverfügung zu schreiben. Bürochef Schmitts ist ein diesem wohlgesonnener Hauptmann Dr. Roth, der 1919 für standrechtliche Erschießungen von Mitgliedern der Räterepublik verantwortlich sein und - selbstverständlich - 1923 am Hitlerputsch teilnehmen soll.

Schmitt positioniert sich gleich zu Beginn der Weimarer Republik im ideologischen Kampf geggen den liberalen und "bolschewistischen" Feind. Er vertritt wie viele Bildungs(klein)bürger die Position eines General Groener: "Vier Jahre war das deutsche Volk ungebrochen gegen eine Welt von Feinden, nun lässt es sich wie eine Leiche umwerfen, von einer Handvoll Matrosen, denen das russische Gift ... eingespritzt war. Doch wer sind die Drahtzieher? Juden hier wie dort" (zit. Wehler). Schmitt formuliert juristisch: Wer sich wehrt, gibt sich Recht. Denn, soviel hat er inzwischen ergründet: Auctoritas, non veritas facit legem.

Zumal er im konterrevolutonärem München seinen beruflichen Aufstieg erlebt. Aufgrund seiner Connections wird er Dozent an der Münchener Handelshochschule. Und er erhält 1920 das Eiserne Kreuz zweiter Klasse. Der Pour le Mérite seines späteren Freundes Ernst Jünger war natürlich nicht drin. Wissenschaftlich entwickelt er sich an den Problemen der nationalen Rechten der Weimarer Republik weiter und nimmt Stellung zu Fragen wie: Wie kann eine dikatatorische Suspension des Rechts rechtens sein (1921)? Schmitt bezieht sich auf die unmittelbare Geschichte. Antwort: Die militärische Aktion (zu lesen: gegen die Novemberrevolutionäre) ist ein "Notwehrrecht". Im wirklichen Notfall kann der, der die Nothandlung ausübt, nicht von dem unterschieden werden, der darüber entscheidet, ob der Notfall gegeben ist. Das Standrecht ist eine Rückkehr zur Rechtsform. 1922 schreibt er in der "Politischen Theologie" den berühmten, gerade auch zeitgeschichtlich zu verstehenden Satz: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.

Carl Schmitt geht seinen seinen Weg, wird Rechtsprofessor in Bonn, wo er sich, wie Mehring beschreibt, ständig von jüdischen Seilschaften umzingelt fühlt, was sich in weiteren antisemitischen Ausfällen im Tagebuch manifestiert. Es wäre interessant, die Antisemitismustheorie Horkheimer/Adornos an Schmitt zu verifzieren: die Angst und der Neid des Kleinbürgers, so brillant er auch sei, vor dem eleganten Habitus des Bourgeois, der mit dem Judentum identifiziert wird. In dieser Zeit "hat" Schmitt übrigens zwei Frauen , eine Ehefrau (Ex-Studentin) für Geist und Seele und eine (Verkäuferin) für den Körper, der ja schließlich auch sein "Recht" verlangt. ja, ja, es brodelt unter seiner Oberfläche.

Wissenschaftlich distanziert er sich weiterhin vom Liberalismus, den er originellerweise mit der Romantik verbindet. Es geht ihm um eine "demokratische" Willensbildung jenseits des Liberalismus und Humanismus - und damit der Weimarer Verfassung. Um die Identität von Herrschenden und Beherrschten. Die "Identität" hat schon damals eine "unheimliche Konjunktur" (Niethammer). Schmitts Vorbild ist hier der italienische Faschismus, der für ihn die Möglichkeit der "Homogenität" belegt. Er studiert die Meisterdenker Mosca und Pareto.

1928 erscheint schließlich das meistzitierte, zeittypisch mehrmals "korrigierte" Werk: "Der Begriff des Politischen". Hindenburg ist mittlerweile Reichspräsident, der "Hoffnungsträger" (Wehler) aus dem Ersten Weltkrieg. Ist der Weg zur ersehnten "Homogenität" damit beschritten? Kernsatz des Werks ist natürlich die bekannte Phrase: Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Unterscheidungen zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Der Feind konstituiert uns als Menschen: Wir haben einen Feind, also sind wir. Im Tagebuch steht: Distinguo ergo sum. Die Menschen sind durch "Abstandnahme".

Diese Abstandnahme wird jedoch gefährdet, wenn der "Feind" nicht erkennbar ist, wenn er maskiert auftritt. Wie der Teufel mit seinen süßen Versprechungen (hier greift sicher ein psychohistorischer Erklärungsansatz, wie Sombart ihn materialreich vorführt) auftritt. Das Freund-Feind-Denken bedeutet das Identifizieren und Ausmerzen des "Heterogenen" durch das politische Kollektivsubjekt, das sich konstituiert, "als ob" Gesellschaft und Individuum eine Einheit seien. Die Diktatur ist wieder um einen Schritt näher herangerückt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden