Charlie:nicht zuträglich

Überraschungen Der Preis für "publizistischen Mut" an Charlie Hebdo hat Diskussionen ausgelöst. Und unerwartete Reaktionen. Radikale Opiumkritik schädige "gedeihliches Zusammenleben".

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Charlie Hebdo ist der Verständigung der Kulturen nicht zuträglich. Der Kulturbeauftragte der CSU liebt den Jargon der Eigentlichkeit.. Wenn es um die Verleihung des Preises für „publizistischen Mut“ durch den amerikanischen Pen an Charlie Hebdo geht, kommt er richtig in Fahrt. Da kennt er keine Gnade.

Charlie Hebdo sei nicht „preiswürdig“, verfügt er in einem Interview. CH „verhöhnt die (!) Religion“. Die Verspottung der Religion wolle er natürlich nicht verbieten. Aber, so belehrt er die CH-Redakteure, dies geschieht in einer Stadt wie Paris, die große Probleme mit dem Zusammenleben der Kulturen hat. CH ist die Selbstverherrlichung eines aufgeklärten Standpunktes, für den Religion an sich (!) etwas Veraltetes ist“. So argumentieren Antiaufklärer seit mehreren hundert Jahren.

Entsprechend möchte der Kulturbeauftragte darüber reden, was CH für „ein gedeihliches Zusammenleben anrichtet“. An anderer Stelle verweist er darauf, dass es Menschen gibt, die zutiefst verstört und verletzt reagieren. Der Kulturbeauftragte verlangt Selbstzensur: Wie etwas verstanden wird, zählt doch letztlich mehr, als wie es gemeint ist.

Man reibt sich die Augen , denkt, dass man mit dieser Argumentation auch Nazis aufwerten könnte (in einem Land wie Sachsen-Anhalt zum Beispiel), und dann liest man prompt folgendes: Ich würde auch einem Nazi das Recht auf freie Meinungsäußerung zusprechen, aber ich würde ihn nicht auszeichnen wollen.

"Verantwortung" der Autoren? Aufklärung über Fanatismus nur in bekömmlichen Dosen? Keine „Blasphemie“? Schon gar nicht die Abschaffung der entsprechenden Rechtsparagraphen, die wohl im Unterschied zu den Religionen nicht veraltet sind? Ein „gedeihliches Zusammenleben“ wichtiger als die Wahrheit? Der Vergleich ermordeter Aufklärer mit Nazis legitim?

Charb kannte diese und ähnliche Vorwürfe. Am 5. Januar, zwei Tage vor seiner Ermordung, beendete er sein letztes Werk. Es ist ein bitteres Pamphlet geworden. Der Kampf gegen die Dummheit ermüdet. Auf den Vorwurf, Charlie handele „unverantwortlich“, antwortet er: Es geht doch nicht um Zeichnungen von gutem oder schlechtem Geschmack. Es geht darum, dass die Zensoren die Meinungsfreiheit, diese Hure, weg haben wollen. Die Selbstzensur ist dabei, eine hohe Kunst in Frankreich zu werden. Nicht nur in Frankreich möchte man ergänzen.

Und er nimmt sich das Moslembild der Charlie-Kritiker vor: Wäre es nicht endlich Zeit, mit diesem ekelhaften Paternalismus des weißen, bourgeoisen, „linken“ Intellektuellen aufzuhören. Er persifliert: Ich, der ich offensichtlich gebildet bin, ich verstehe den Humor von Charlie Hebdo. Aber aus Respekt für euch, die ihr den zweiten Bildungsgrad noch nicht erreicht habt, werde ich solidarisch diese islamophoben Zeichnungen verfolgen, so als ob ich sie nicht verstünde. Und an anderer Stelle:'Die Kolonisierten von gestern hält man wohl für die Idioten von heute.

Bitterauf die Kritik einiger Pen-Mitglieder reagierte der beim Attentat schwer verletzte Redakteur Philippe Lancon: Dass Romanciers dieser Güteklasse in so wenigen Worten so viele Dummheiten sagen, mit der ganzen Eitelkeit schöner Seelen, macht mich als ihr Leser traurig. Er verspricht, ihre Romane in seinem Krankenhausbett zu lesen – neben denen Rushdies.

Korrektur. Das Interview erschien nicht in einer bayrischen Kirchenzeitschrift, sondern in der „konkret“ 6/15, deren Herausgeber sich im selben Heft als „Kommunist, Freund aller Revolutionen und jeder normwidrigen Abweichung“ bezeichnet. Der Interviewte ist auch nicht CSU-Mitglied, sondern der Präsident des Pen-Zentrums Deutschland. Dies erklärt den zornigen Ton des Beitrags.

Charb, Lettre aus escrocs de l'islamophobie qui font le jeu des racistes. Paris 2015 (Les Echappés)

Charlie Hebdo, 6 mai 2015

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