Das Kaffeehaus als zweite Heimat

Glosse Im City-Café sitzt der Weltgeist jedenfalls nicht mehr. Anmerkungen zum Verfallsprozess des öffentlichen Lebens
Das Kaffeehaus ist wesentlich mehr als nur ein Ort, um heiße Getränke zu bestellen
Das Kaffeehaus ist wesentlich mehr als nur ein Ort, um heiße Getränke zu bestellen

Foto: ZFMG

Fabian saß im Café Limberg, trank einen Kognak und machte sich Gedanken“, lesen wir gegen Ende von Erich Kästners Roman Fabian. Ich sitze im City-Café, dem einzigen übrig gebliebenen Café in meiner Stadt (früher gab es fünf), und mache mir ebenfalls Gedanken. Ein Cognac steht nicht auf meinem winzigen Bistrotisch, dafür ein mit gewissen Pausbackenengeln bedruckter Becher. Der Kaffee ist viel zu dünn. Dass ich mir die Finger verbrenne, ist nicht weiter schlimm, denn es gibt hier keine Zeitung, in der zu blättern sich lohnte. Allerdings wird der Stapel Bild auf der Theke über den Sahneschnitten immer dünner.

Nein, ich bin keiner dieser ergrauten Exrevoluzzer, die wie ihre Väter alles mit „früher“ vergleichen. Aber die Gedanken, sie kommen einfach. Darüber, dass zum Beispiel ein Eduard Devrient sich 1839 über die freie und politische Pariser Café-Kultur wunderte, die dem Theatermann für die deutschen Zustände „unerreichbar“ schien. Darüber, dass schon um 1700 ein Coffee-House auf 200 Einwohner kam. Jedes von ihnen bedeutete antifeudale Freigeistigkeit, Liberalismus im besseren Sinne. Ohne Kaffee keine Revolution (und kein Kapitalismus, ich weiß). Ich denke an die kaffee-basierte Kulturentwicklung, zu der auch distinktive Fingerübungen an Untertasse und Henkel gehörten. Der Tisch war oval, die Decke aus weißem Damast. Ein Porzellanschälchen für den Kaffeesatz stand darauf. Platz für viele, auch für den, der allein in der Welt, aber nicht einsam sein wollte: die zweite Heimat also für Journalisten, Schriftsteller, Philosophen, Politiker.

Selbst die konservative „Fraktion“ der Paulskirchenversammlung traf sich im Café Milani. Im selben Jahr 1848 aber entfalteten in patriotische Wallung geratene Bürger Paduas im Café Pedrochi die Tricolore und marschierten ins Risorgimento. Café und Politik – eine, nicht mehr, unendliche Geschichte. Ich denke an die Weimarer Zeit mit ihren Cafés als „Wartesäle der Literatur“ (Hermann Kesten) und natürlich an Sartre und den kaffee-berauschten Geist des Paris von 1968.

Die heroische Phase ist passé. Was geblieben ist, sind Spuren im Privaten: der Morgenkaffee mit seinem Duft und dem Röcheln der neuesten Espressomaschine, das der Marie Antoinette abgerungene Croissant (das Volk isst jetzt statt Brotmischung „Harry’s Aufbackhörnchen“) und die Tageszeitung als Fenster zur klein gewordenen, aber unverstandenen Welt. Und dies trotz und wegen der „deutschen Kaffee-Ideologie“ (Wolfgang Schivelbusch) mit ihrem Kaffeekränzchen als Öffentlichkeitsersatz für die „tüchtige Hausfrau“, ihren Torten und diversen Ersatzkaffees.

Und selbst diese Spuren verschwinden im Nichts. Wie die schönen Tassen. Wie die Zeitungen aus totem Holz. Wie der Qualm von Zigarren. Es gibt keine Bürger mehr. Nicht einmal mehr Kleinbürger. Es gibt Antiraucher-Gesetze. Und es wird weiter gehen. Als nächstes lernen wir: Koffein schadet der Gesundheit. Und gesund ist man, wenn man gerne arbeitet. Ohne Kaffee.

Ja, ich weiß. Wie jeder Nostalgiker habe ich den Fortschritt vergessen: Im City-Café ist zum Beispiel die Bedienung abgeschafft, die Kunden, die nicht mehr Gäste heißen, holen selber ihr Geschirr zum schnellen Verzehr und entsorgen es auch. Und wenn man die Location verlässt, ruft mindestens einer aus dem dreiköpfigen City-Café-Team: Schönen Tach noch!

Wolfgang Walkiewicz bloggt als wwalkie auf freitag.de

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