Das magische Pflaster

Barrikadengeschichte Für Eric Hazan sind die Barrikaden etwas spezifisch Pariserisches. Ihre Zeit ist vorbei. Nicht aber ihr Vermächtnis.

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Welcher aufrechte Linker und Freitagleser hat ihn nicht des öfteren, den Tagtraum, "auf die Barrikaden zu gehen". Allzu empörend ist der Lauf der Dinge. Die soziale Erosion nimmt stetig zu, genauso wie die Zumutungen der herrschenden Klassen. Dass der Traum aber nicht Realität wird, dass auf unseren Straßen eben keine "Insurrektion improvisiert wird" (Heine), ist leicht zu verstehen, leichter zumindest als die Zustimmung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag.

Die Barrikade ist nämlich etwas ganz Besonderes, wie Eric Hazan in einem seiner neuen Bücher zeigt (1). Hazan, Flâneur, ursprünglich Herzchirurg, jetzt Verleger (La Fabrique) und Autor, ist einer der besten Kenner der (revolutionären) Geschichte der französischen Hauptstadt (2) und als freiheitlicher Linker der ideale Historiker dieses "revolutionären Objekts".

Die Barrikaden gehören zum Pariser Génie: man findet sie in allen unseren Konflikten, von Karl V. bis zu unseren Tagen (Chateaubriand)

Genau genommen beginnt diese Pariser Geschichte in den Religionskriegen. 1588 findet dort der erste "Barrikadentag" statt. Der sehr katholische Liga-Führer und Herzog de Guise vertreibt mithilfe einer "Révolte populaire" Heinrich III. Ein Capitaine de Brissac soll der Erfinder der Barrikade sein. Ihre Konstituenten: umgestürzte Wagen, Pflastersteine, Stühle, Tische und - natürlich - mit Erde gefüllte Barriques (Weinfässer). Ihre Wirkung: die Schweizer des Königs werden regelrecht eingesperrt. Manövrierunfähig und ohne Kontakt mit anderen Regimentern sind sie den Schüssen und Steinwürfen, auch aus den oberen Stockwerken ausgesetzt, von den verbalen Provokationen durch Kinder und Frauen ganz zu schweigen.

Auch nach jahrzehntelangen Pausen tritt diese Kampfform spontan und und in sofortiger Perfektion wieder auf. Es scheint tatsächlich schon in der frühen Neuzeit so etwas wie eine kulturelle Tradition des Barrikadenkampfes zu geben.

Während der großen Revolution jedoch sind Barrikaden eher die Ausnahme. Ihre hohe Zeit ist das 19. Jahrhundert. Und ihre Hauptstadt ist natürlich Paris. Benjamin widmet in den "Passagen" den Barrikaden und ihrem Feind Haussmann ein ganzes Kapitel. Von Anfang an, so Hazan, werden sie künstlerisch begleitet. Die Imagerie ist bis heute geprägt durch Delacroix' "Freiheit, die das Volk führt"und Daumiers Radierungen, durch die Augenzeugenberichte von Chateaubriand, Heine, Hugo und vielen anderen. Man muss ergänzen: Die Dichtung Baudelaires, die "Education sentimentale" Flauberts sind (auch) künstlerische Tranformationen des Barrikadengeschehens.

Dies wird die realen Barrikadenkämpfer allerdings weniger interessiert haben, die im Juli 1830 und im Februar 1848 den "Forces de l'ordre" tapfer widerstehen. Die Barrikade wird 1848 eine Art Exportmodell, sogar und gerade in teutsche Lande. Doch schon im Juni 1848 und im Mai 1871 werden die vorwiegend proletarischen Barrikadenkämpfer massenweise zusammenkartätscht. Hazan zeigt: die Geschichte der Barrikaden ist auch die Geschichte der zerstörten Hoffnungen des Proletariats.

Alles ist vorbei! Danken wir Gott!

Mit diesen Worten der Erleichterung verkündet der Senatspräsident am 25. Juni 1848 die Niederschlagung der Arbeiterrevolte. Draußen werden währendessen Tausende Leichen in Gruben oder in die Seine geworfen. Zu deutlich wird: gegen Kanonen und barrikadenerfahrene Militärs haben Barrikadenkämpfer keine Chance. Engels, selbst in Barrikadentaktik nicht unerfahren, kritisiert:

Das Höchste, wozu es die Insurrektion in wirklich taktischer Aktion bringen kann, ist die ... Vertheidigung einer einzelnen Barrikade. Aber selbst in der klassischen Zeit der Straßenkämpfe wirkte ... die Barrikade mehr moralisch als materiell.

Die rücksichtslose Niederwerfung der Commune ist der schlagende Beleg dieser These. Louise Michel berichtet über die letzte Barrikade in der rue de la Fontaine-au-Roi:

Auf der Barrikade flatterte die rote Fahne. Sie widerstand, spuckte Feuer auf das blutende Gesicht von Versailles ... Im Augenblick der letzten Schüsse kam ein Mädchen, um zu helfen. Sie blieb trotz aller Warnungen an diesem Ort des Todes.

Diesem Mädchen widmet Clément sein "Temps des cérises": "Nur kurz ist sie, die Zeit der Kirschen". Für Hazan endet hier die eigentliche Barrikadengeschichte. Im 20. Jahrhundert bleibt die Barrikade marginal, trotz Petrograd, Berlin, Barcelona. Die Kämpfe werden mit anderen Mitteln entschieden. Auch Paris 1968 ist für den Autor allenfalls eine "scène de théâtre", eine fast poetische Geste des Abschieds. Das Spezifische, das Volk hinter seinen Pflastersteinen, seine Straße und sein Viertel verteidigend, ist verschwunden, verloren für immer. Der "mythe barricadier" bleibt.

Unter Napoléon III. - Benjamin hat dazu das entsprechende Material gesammelt - ist Paris "hausmannisiert" worden, Benjamin Ende der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts:

Haussmanns Tätigkeit wird heute, wie der spanische Bürgerkrieg zeigt, mit ganz anderen Mitteln ins Werk gesetzt.

Die großen Boulevards, die wir heute als städtebauliche Kunstwerke genießen, zerschnitten brutal Paris-Centre mit seinen "rue-villages", wie Hazan die Barrikadenbiotope nennt. Der Abriss ganzer Viertel und der entsprechende Aufbau-Boom mit den entsprechenden Wohnungspreisen vertrieb die Proletarier in die Peripherie, wo die Fabriken schon auf sie warteten. Interessanterweise beendete ausgerechnet die napoleonische Niederlage gegen die Deutschen die Abrissorgie.

Heute, so Hazan, kömmt es weiterhin darauf an, die "Ordnungskräfte" zu blockieren, dies jedoch nicht mehr in diffus gewordenen Vierteln, sondern in den Strömen des Verkehrs, der Eisenbahn, der Energie, der Informationen. Dazu hat er ein neues Werk veröffentlicht (3).

Man sollte es bei einem im Barrique angebauten Roten studieren. Und vielleicht kommt man bei der Lektüre auf bestimmte Gedanken, auf Träume...

(1) Eric Hazan, La Barricade. Histoire d'un objet révolutionnaire. Paris 2013 (Editions Autrement)

(2) Eric Hazan, L'invention de Paris, Paris 2002 (Seuil)

(3) Eric Hazan&Kamo, Premières mesures révolutionnaires, Paris 2013 (La Fabrique)

Anzeigenbild: HultonArchive / Illustrated London News / Getty Images
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