Das schöne Jahr

Front populaire Vor 80 Jahren - im anderen Mai - wurde in Frankreich die Volksfrontregierung gewählt. Eine im Zorn über die Gegenwart geschriebene Erinnerung.

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Unter den zahlreichen überlieferten Bildern des Front populaire hat eines besondere Symbolkraft: Auf einem Meeting im Mai 1936 grüßen die Vertreter der Volksparteien ihre Anhänger. Der Sozialist Léon Blum zeigt entschlossen die Proletarierfaust, der Kommunist Maurice Thorez grüßt die Menge mit geöffneter Hand. Hinter den beiden steht der Edouard Daladier vom linksliberalen Parti radical und bis vor kurzem Ministerpräsident ... und dreht sich eine Zigarette. Drei Gesten, drei strategische Attituden.

Ereignisse

Der 6. Februar 1934 war, gramscianisch gesprochen, kathartisch. Hunderttausende Rechtsnationalisten und Faschisten (und wenige Kommunisten) demonstrierten, "Nieder mit den Dieben" rufend, gegen das parlamentarische System. Bei Versuch, das Parlament zu stürmen, kam zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, mit 17 Toten und zahllosen Verletzten. In der Folge musste die Regierung Daladier zurücktreten . Seine Partei bildete nun mit der Rechten eine Koalition der „Nationalen Union“. Die linken Parteien, vor allem aber deren Basis und die Gewerkschaften, erkannten endlich, dass der Faschismus auch Frankreich eine reale Bedrohung war. Am 12. Mai 1934, bei einer großen antifaschistischen Demonstration der Gewerkschaft CGT schlossen sich die sozialistischen und kommunistischen Züge, "Einheit!" skandierend, so spontan wie spektakulär zusammen.

Noch am 15. Februar hatte der kommunistische Abgeordnete Ramette erklärt: Man verteidigt die bourgeoise Republik nicht. Man tötet sie, man zerstört sie! Unter dem Einfluss des jungen Generalsekretärs Thorez (und der Komintern) verzichtete die kommunistische Partei auf diesen Revolutionarismus und stellte sich bewusst in die republikanische Tradition von 1789. Thorez verfocht die Politik der „ausgestreckten Hand“. Am Nationalfeiertag des Jahres 1935 schloss sich die „radikale Partei“ dem Bündnis von SFIO und KPF an. Hunderttausende demonstrierten: Le fascisme ne passera pas.

Die Parlamentswahlen im April und Mai 1936 brachten den Sieg der Volksfrontparteien. In der Kammer gewannen sie 376 der 598 Sitze. Vor allem die KPF hatte zugelegt: 72 russische Abgeordnete sind in den Palais-Bourbon eingedrungen, titelte das rechte „Echo de Paris“.Ministerpräsident des Volksfrontkabinetts wurde Léon Blum, Daladier sein Stellvertreter. Blum wagte es sogar, drei Frauen in sein Kabinett aufzunehmen. Die KPF beschränkte sich auf Unterstüzung von außen, eine geschickte Position: einerseits wurde so der antikommunistisc he Furor der Rechten gedämpft, andererseits konnte die KPF über die Gewerkschaften Druck ausüben.

Am 8. Juni titelte der sozialistische „Populaire“: Victoire de la classe ouvrière! Und ein Sieg war es in der Tat. Im „Matignon-Abkommen“ hatten sich Unternehmerverbände und streikende Gewerkschaften auf entscheidende Verbesserungen geeinigt: Lohnerhöhung, Tarifverträge, Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden, 15 bezahlte Urlaubstage. Maurice Thorez gab sich verantwortungsvoll: Man muss einen Streik beenden können. Man muss sogar einem Kompromiss zustimmen können.

Aber das zu Erwartende geschah. Kapitalflucht setzte ein. Die nötigen Investitionen blieben aus. Die Kaufkraftsteigerung der Massen erhöhte die Importe, was wiederum die Handelsbilanz aus dem Gleichgewicht brachte. Viele Unternehmer torpedierten das Matignon-Abkommen. In der Folge wurden die Streiks teilweise wieder aufgenommen. Die Regierung geriet aber nicht nur unter gewerkschaftlichen Druck. Die Basis der KPF und Teile der sozialistischen Partei kritisierten die offensichtliche Anpassung Blums an die Radikale Partei. Die notwendigen umfangreichen Waffenlieferungen an den Frente popular im einsetzenden spanischen Bürgerkrieg unterband er, gegen seine Überzeugung, um, wie er öffentlich argumentierte, schlimme Konsequenzen für ganz Europa zu verhindern. Angesichts der ökonomischen Probleme verkündete Blum in einer Radioansprache schließlich; Eine Zeit der Pause ist notwendig. Darum muss der Staat heute von seinen Mitarbeitern Mäßigung und Geduld fordern.

Im März 1937 demonstrierten Volksfrontanhänger gegen die Genehmigung einer faschistischen Kundgebung. Die Polizei griff drakonisch durch. Es gab Tote. Die CGT erklärte daraufhin den Generalstreik. Blum war immer stärker auf die Radikale Partei angewiesen, die ihn in der Kammer unterstützte, im Senat aber sabotierte. Im Juni 1937 verweigerte sie ihm dort die Zustimmung zu Gesetzen gegen die Währungsspekulation. Blum blieb nur der Rücktritt.

Kampfformen

Der Kampf um die Köpfe (und Fäuste) war seit der Dreyfusaffäre immer auch ein die Auflage steigernder Pressekrieg. Die Volksfrontparteien waren hier „natürlich“ hoffnungslos unterlegen. Immerhin hatten sie mit den Zeitschriften „Marianne“ und „Vendredi“ (Freitag) prominente intellektuelle Unterstützer (auch deutsche Exilanten). Ihre Gegner waren nicht nur die rechtsextremen Blätter (Action française, Le Petit Journal, Gringoire), sondern auch die bürgerlichen Le Figaro und La Croix sowie die Massenpresse (Paris Soir). Virtuos wurde das gesamte rassistische Register gegen Juden und Freimaurer eingesetzt, von Karikaturen und Witzen bis zur persönlichen Diffamierung Léon Blums: .Ein deutscher Jude, menschlicher Abfall und als solcher zu behandeln, so Action française im Juni 1936. Der Innenminister Roger Salengro, Sozialist und Freimaurer, wurde regelrecht in den Freitod getrieben.

Auch die Geschichte diente als Waffe (sie kann sich nicht wehren). Am 8. Mai 1936 mobilisierte die Erinnerung an Jeanne d'Arc Zehntausende (die Le Pens knüpfen bis heute daran an). Die Action française war erfreut, keinen dieser Metöken, die man zum guten Teil in den Versammlungen des Front Populaire findet, anzutreffen. Diese demonstrierten allerdings zwei Wochen später ihr Geschichtsbewusstsein zu Hunderttausenden beim Gedenken an die Toten der Commune. Sie sind für die Freiheit gestorben, für soziale Gerechtigkeit, für die Republik, so der sozialistsche Le Populaire, dessen Bericht mit einem Vive la Commune! Vive le Front populaire! endete.

Während bestimmte Unternehmer und Mitglieder der „200 familles“ (Daladier) verstärkt faschistische Parteien unterstützten und die willfährige Presse nutzen konnten, war die stärkste Waffe der Arbeiter der Streik. Nur so war der Erfolg der Matignon-Abkommen erklärbar. Im Mai setzte eine regelrechte Streikwelle ein, durchaus spontan. Die Unternehmer wurden mit konkreten Forderungen konfrontiert, die im Ablehnungsfall mit Streik beantwortet wurden. Die Philosophin und damalige Fabrikarbeiterin Simone Weil hat 1936 die heilsame Wirkung dieser Befreiung beschrieben: Sobald wir spürten, dass der Druck schwächer wurde, bildete sich aus den jahrelang schweigend angesammelten Leiden, Demütigungen und bitteren Rachegefühle plötzlich die Kraft, sich aus der Umklammerung zu lösen. Das ist die ganze Geschichte des Streiks. Es gibt keine andere...Sich für einige Tage als Mensch fühlen. Von den Forderungen abgesehen, ist dieser Streik an sich eine Freude. Eine reine Freude.

Kultur

Sag mal, Genossin Sonne, findest du nicht auch, dass es eher dumm wäre, diesen Tag einem Chef zu schenken? Jacques Préverts so poetische wie politische Frage gibt den Geist des kurzen Sommers des Front populaire wieder, ein übrigens ziemlich verregneter Sommer. Endlich das Meer sehen können! Von Paris aus fuhr der „Train rouge“ ans Mittelmeer. Ein Figarojournalist begleitete ihn: Bis Melun diskutierten wir über Politik, über Spanien und die Revolution. Ab Melun diskutierten wir über Angeln, Ausflüge und Tourismus. Camping, ein damals neues Wort, wurde zur großen Ferieninnovation der Arbeiterklasse. Emblematisch waren die jungen Arbeiterpaare, die auf einem vollgepackten Tandem zum Zelten fuhren.

Die Regierung Blum hatte ein Ministerium für Freizeit und Sport geschaffen, das die Rechte sofort als „Ministerium für Faulheit“ denunzierte. Reduzierte Tarif trugen zur Demokratisierung von Museen und Theater bei. Die Gruppe Oktober mit Jacques Prévert drehte Filme im Geist des poetischen Realismus. Jean Renoir schuf die Meisterwerke „Das Leben gehört uns“ (1936) und „Die Marseillaise“ (1936 – 38). Erfolgreicher aber war Julien Duviviers Musikfilm „La Belle équipe“ (1936), ein Dokument des damaligen Lebensgefühls: die Copains von Jean Gabin, die Liebe, die Solidarität, das Tanzen … und das Akkordeon.

Noch 1942, anläßlich des Prozesses, den Vichy-Frankreich ihm machen zu müssen glaubte, erklärte Léon Blum: Ich habe damals nicht oft mein Kabinett verlassen, aber jedes Mal, wenn ich beim Durchqueren der Banlieues die Straßen voller Motorräder, und Tandems sah, mit Arbeiterpaaren in schicken Pullovern, hatte ich trotz alledem das Gefühl, ein Licht in ihr dunkles, schwieriges Leben gebracht zu haben... Wir hatten ihn ihnen Hoffnung gegeben.

Und heute?

Die Parallelen drängen sich auf: Die Linke sieht sich enormen Problemen gegenüber. Autoritäre und faschistische Parteien erstarken in ganz Europa, vor allem in Frankreich. Sie ziehen ihre Kraft auch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Arbeitsverhältnisse werden prekär. Die Kriegsgefahr nimmt zu. Aber statt der Hoffnung und der Freude wie vor 80 Jahren repräsentiert die Linke nur noch eine Perspektivlosigkeit, die wiederum den Rechten nutzt. 1936 war die Politik von Leidenschaft bestimmt. Heute, so der Publizist Alain Duhamel, hat sich das sozialistische Projekt im Markt aufgelöst.

Natürlich gibt es die Zwänge der „Realpolitik“. Aber dass ausgerechnet im 80. Erinnerungsjahr des Front populaire eine sozialistische Regierung per Gesetz die Arbeitsbedingungen verschlechtern will, ist ein Offenbarungseid. Trotzdem spricht Hollande am Grab Blums pathetische Worte. Sein ehrgeiziger Wirtschaftsminister Macron allerdings gedenkt in Orléans mittels einer „präsidialen Rede“ (Nouvel Observateur) am 8. Mai der Heroine der Rechten, Jeanne d'Arc. Er nennt die Veranstaltung eine “belle fête populaire“. Der „Affront populaire“ ist auch eine Art Politik. Sie kann allerdings zum Front National führen..

Lesen wir lieber Simone Weil. Sie beendete 1936 ihren Aufsatz mit den Worten: Heute weiß jeder, dass diejenigen, denen auf dieser Erde die Rolle zugeschrieben wird, sich zu bücken, zu unterwerfen und zu schweigen, dies nur tun, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Gibt es diese? Die Zukunft wird es zeigen. Aber auf diese Zukunft darf man nicht warten, man muss sie machen.

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