Der französische "Freitag" - die kurze Geschichte des Vendredi

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Nennt man die besten Namen,

Wird auch der meine genannt (Heinriche Heine)

Seit einigen Jahren hat sich in Frankreich die Wochenzeitschrift Marianne zu einer der medialen Stützen in der Résistance gegen den Sarkozysmus entwickelt. In der Bundesrepublik gibt es bekanntlich eine Wochenzeitschrift namens Freitag. Von (nicht nur) historischem Interesse ist ohne Zweifel, dass im Frankreich der 30er Jahre im "linken Spektrum" eine Marianne und ein Vendredi (Freitag) koexistierten. Marianne, 1932 gegründet, gehörte der republikanisch-radikalen Richtung an, während Vendredi das intellektuelle Sprachrohr des Front populaire wurde. Beide hatte Auflagen von über 100 000, was erstaunlich, aber bedeutend weniger war, als die Konkurrenz der nationalen und faschistischen Rechten aufbieten konnte. Der Gringoire allein wurde in 350 000 Exemplaren gedruckt.

Hier soll vor allem die Geschichte des Vendredi interessieren. Dessen Gründung ist nicht denkbar ohne den Schock des 6. Februar 1934. An diesem Tag protestieren Hunderttausende Rechtsextreme gegen die in ihren Augen korrupte linksbürgerliche Regierung. Das Parlament soll gestürmt werden, die Polizei greift ein. 12 Demonstranten kommen zu Tode, Hunderte werden zum Teil schwer verletzt. In der Folge dieser Ereignisse tritt der Ministerpräsident Daladier vom linken Flügel der radikalen Partei zurück. Eine Regierung der "nationalen Einheit" wird formiert. Eine faschistische "Machtergreifung" à l'allemande scheint zunächst abgewehrt.

Die Hauptparteien der Linken reagieren angesichts der bisherigen ideologischen "Grabenkämpfe" schnell. Die revolutionäre Tradition zeigt ihre Wirkung. Schon im Juli 1934 unterzeichnen die Führungen der sozialistischen und der kommunistischen Partei einen gemeinsamen Aktionsplan gegen den Faschismus. Infolge der deflationistischen Antikrisenpolitik der neuen Regierung, die in Frankreich die gleichen Auswirkungen hat wie die Brüningsche in Deutschland, erstarken die linken Oppositionsparteien. Der Parti radical schließt sich schließlich dem antifaschistischen Bündnis an. Der neu entstandene Front populaire siegt im Frühjahr 1936 bei den Parlamentswahlen. Begleitet wird dieser historische Sieg von einer landesweiten Streikwelle, von Fabrikbesetzungen und Straßenfesten - die Erinnerung an die große Revolution wird praktisch.

Die Regierung Blum setzt mit parlamentarischer Unterstützung durch die Kommunisten Lohnerhöhungen, die 40-Stunden-Woche, Urlaub und die Schulpflicht bis 14 Jahre durch. Viele Unternehmer reagieren mit Kapitalflucht ins Ausland (was bis heute ein Hauptargument der Sarkozysten ist: Wenn wir zu hoch besteuern, flieht das Kapital!) oder mit Investitionsstreik. Blum gerät immer mehr in Schwierigkeiten. Einerseits schwankt der Parti Radical, andererseits kritisiert der Parti Communiste die fehlende Konsequenz des Regierungschefs. Vor allem der spanische Bürgerkrieg, die Frage der Verstaatlichung und die Sozialpolitik stellen Zerreißproben für den Front populaire dar.

In dieser Situation spielte der Vendredi eine wichtige Rolle. Die Idee einer intellektuellen Volksfrontzeitschrift stammt von André Chamson, einem Schriftsteller und Archivar, der seinen urbanen Habitus mit seiner Herkunft aus den protestantisch-rebellischen Cevennen vereint. Der 6. Februar 1934 hat tiefe Spuren in ihm hinterlassen: Der Mensch schreit, wenn man schreit. Er läuft, wenn man läuft, schreibt er. Chamson formuliert als Hauptmission des Intellektuellen: die Stärkung des Widerstands gegen den Faschismus. Er gehört zu den Organisatoren des antifaschistischen Schriftstellerkongresses vom Juni 1935 und verfasst den Eid, der auf der großen an die Französische Revolution anknüpfenden Versammlung am 14. Juli 1935 gesprochen wird. Und er gründet den Vendredi, um gegen die "Blätter der Meute" zu kämpfen. Seine Mitherausgeber werden der pazifistische Radikalsozialist Jean Guéhenno und Andrée Jacquet de la Verryere, die sich Andrée Viollis nennt. Viollis stammt aus gutbürgerlichem Hause, ist geschieden, hat in einer feministischen Zeitung gelernt (man sieht die Unterschiede zum damaligen Deutschland!) und ist Starreporterin des Petit Parisien. Bekannt ist ihr antikolonialistisches und prokommunistisches Engagement.

Im Vendredi schreibt die Crème de la Crème des intellektuellen Antifaschismus. Darunter auch Exilanten, wie Stefan Zweig und der noch (und wieder)unbekannte Ernst Erich Noth. André Gide, Jean Giono, André Malraux, Julien Benda, Paul Nizan, Marguerite Yourcenar sind Autoren des Vendredi, um nur einige zu nennen. Viele Autoren gehören zur Generation der kurz nach 19oo Geborenen. Sie sind nicht durch das Feuer des 1. Weltkriegs gegangen, wie die Herausgeber der Marianne. Die Zeitschrift repräsentiert - comme un bloc - die Volksfrontparteien. Geeint - wie so oft - durch den gemeinsamen Feind. Die zahlreichen Probleme ( Bürgerkrieg in Spanien, Kapitalismus oder Sozialismus, die Verbrechen in der UdSSR, gerade sind Gide "geheilt" und Feuchtwanger frustriert zurückgekehrt!Victor Serge geißelt 1935 die Schauprozesse) werden , wenn überhaupt, marginalisiert. Vielleicht geht es in dieser bestimmten Situation nicht anders ("Die Mühen der Berge"!). Vielleicht bemerkt man die Scheuklappen nicht.

Man feiert die neuen sozialpolitischen Errungenschaften. Man enthusiasmiert sich angesichts der neuen "Kultur für alle". André Chamson sieht einen geistigen und moralischen Willen zur Veränderung, der - versteht sich - nichts, aber auch gar nichts mit der geistig-politischen Wende in einer späteren Zeit und in einem östlichen Land (von Frankreich aus gesehen) zu tun hatte. Man ist in dieser kurzen Zeit des Vendredi optimistisch, man hat keine Angst vor dem Pathos. Guéhenno schreibt Sätze wie diese: Wir waren frei als Wähler, als Citoyens, wir waren Sklaven als Arbeiter, als Bauern, als Produzenten. Wir erlitten das harte Gesetz der Trusts. Wir waren nicht frei, weil es keine Freiheit geben kann, wenn die Brotfrage nicht gelöst ist, weil ausgehungerte Menschen füreinander nur Wölfe sein können.

Doch die Probleme lassen sich nicht wegreden. Wie soll man sich im spanischen Bürgerkrieg verhalten? Soll man militärisch eingreifen? Chamson und Viollis sind dafür, Guéhenno dagegen. Deutschland und Italien haben proklamiert, dass sie kein sowjetisches Spanien dulden. Wir antworten:Wir dulden kein totalitäres Spanien, in wessen Gefolge auch immer, schreibt Chamson. Was soll man angesichts der Hitlerschen "Revision des Versailler Vertrages" tun? Während all dieser Diskussionen stirbt die Volksfront einen schnellen Tod - wie der Vendredi, im November 1938, nach dem Münchener Abkommen, das der neue Ministerpräsident Daladier unterschreibt - um den Frieden zu retten, wie er sagt (und wohl auch meint).

Andere Zeiten, andere Zeitschriften. Andererseits: Es sind rauhe Zeiten für die Menschen. Krisenzeiten, die politische Weichenstellungen verlangen. Wäre es nicht schön, wenn ein deutscher Vendredi den gleichen Erfolg hätte wie die französische Marianne? Und wenn die deutschen Intellektuellen auch nur ein Partikel des politischen Engagements eines Chamson oder einer Viollis wagen würden?

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