Der Prätendent

Präsidentschaftswahlen Nach Hollande und dessen Premierminister Valls bringt sich nun auch der Wirtschaftsminister Macron ins öffentliche Gespräch. Wofür steht er? Hat er reale Chancen?

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Emmanuel Macron
Emmanuel Macron

Bild: ERIC PIERMONT/AFP/Getty Images

Lunel, Mai 2016. Der sehr junge Minister für Wirtschaft gerät ungewollt in Kontakt mit Gewerkschaftlern. Das Gespräch eskaliert. Hört auf, Frankreich zu blockieren! ruft der Minister. Mir macht ihr keine Angst mit euren T-Shirts! Sein Gegenüber ist alles andere als eingeschüchtert: Mit Ihrem Einkommen kaufen Sie sich natürlich Anzüge! Der Minister Das beste Mittel, sich einen leisten zu können, ist immer noch zu arbeiten! Sein Gegenüber kontert:: Ich arbeite, seitdem ich 16 bin! Am Ende warnt er den Minister: Passen Sie auf! Die Jugend ist verzweifelt! Der wendet sich ab, nicht ohne zu bemerken: Es gibt auch eine Jugend, die arbeiten will.

Noch immer gibt es sie in Frankreich – die "kleinen" Unterschiede.

Szenenwechsel. Paris, 13. Juli. Eröffnung der Kampagne Emmanuel Macrons. Im großen Saal der „Mutualité“, dem emblematischen Gebäude der französischen Linken (ursprünglich hatte der Saal gar 1789 Sitzplätze), warten fast zweitausend Menschen ungeduldig auf den Minister. Dass draußen einige Manifestanten „Macron collabo du MEDEF“ (Verband der französischen Unternehmer) rufen, stört sie nicht. Wichtiger ist ihnen die Frage: Ist der „Kandidat“ Macron präsidiabel?

Ein Kleidungsproblem gibt es diesmal auch nicht. Die Arbeiterklasse ist absent. Die Migranten sowieso. Angesagt ist das „Afterwork“-Outfit des „neuen Kapitalismus“. Nach dem echten Business das (Polit-)Showbusiness. Das Publikum ist weniger alt als bei diesen Meetings üblich. Einige junge Leute tragen T-Shirts mit der Aufschrift „En marche“. Sie gehören zu der freiwilligen Kommunikationstruppe, die im Auftrag des Wirtschaftsministers die Stimmung im Land erkundet. Als der Kandidat – pünktlich – erscheint, gibt es als Impulsapplaus 5 Minuten standing ovations. Macron wirkt locker und bescheiden. Auf den Anzug mag er nicht verzichten, wohl aber auf die Krawatte. Seine Rede ist lang und perfekt einstudiert. 4 Prompter geben ihm Sicherheit. Langsam spricht er und recht leise, als ob er während des Redens noch reflektiert. Wie mittlerweile üblich, geht er auf der Bühne auf und ab. Die Gesten sind knapp, aber an den entscheidenden Stzellen markant. Ohne Zweifel ist er sympathisch – wenn er es nicht gerade mit zornigen Gewerkschaftlern zu tun hat. Die Botschaft, die die Anwesenden schon kennen, kommt mit einer gewissen Leichtigkeit an: dieser Mann steht für das „neue“, das dynamische Frankreich. Dieser Mann ist präsidiabel. Er vermittelt Vertrauen.

Das Impulsreferat des Kandidaten ist merkwürdig inhaltsarm. Die Aufgabe ist allerdings keine leichte. Macron, der das nach ihm benannte Arbeitsflexibilisierungsgesetz und die politische Ratlosigkeit der Hollande-Regentschaft mit verantwortet, muss sich von seinen Kollegen, deren Inhalte er teilt, unterscheiden. Sanft redet er, die sprichwörtlichen „Coups de menton“ (Kinnstöße) seines Konkurrenten Valls liegen ihm fern. Sein Sprachregister ist das der Werbeagenturen und Wohltätigkeitsverbände, in Infinitivkonstruktionen verabreicht: die Hand reichen – versöhnen - sich einbringen - das Land verändern - das alte System beenden - Erfolg haben - den Wechsel begleiten - versammeln – erklären - Risiken wagen - dem Land dienen. Um das „Wahre“ geht es ihm, die „wahre“ Freiheit (der Unternehmer, der „Créateurs“, der Gehaltsempänger – in dieser Reihenfolge), die „wahre“ Gleichheit (als Chancengerechtigkeit), die „wahre“ Solidarität“. Nichts Konkretes, aber das wird vom begeisterten Publikum auch nicht erwartet. Für eine „neue Bewegung“, für die numerische Ökonomie, für Wettbewerb – das war's. Und so beendet Macron seine eineinhalbstündige Rede:: Für ein Projekt! Für eine Vision! Für Entscheidungen! Für das Land! Wir sind die Bewegung der Hoffnung... Vive la République! Vive la France! Erschöpft genießt der Redner die stehenden Ovationen für die Leistung, so sympathisch Phrase an Phrase aneinandergereiht zu haben - ohne hineinzufallen, wie Prévert einst mit bitterer Ironie schrieb.

Die großen Zeitungen reagieren eher leicht belustigt. Und auch die Reaktionen seiner Parteigenossen sind nicht sehr freundlich. Sein Kabinettschef und Konkurrent Valls verweist auf die „kollektiven Regeln“, die zu respektieren seien, die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, äußert ihr Erstaunen, dass sich ein Ex-Bankier und Ex-Präsidentenberater als „Antisystème“ präsentiere. Der Präsident selbst weist Macron im Interview zum Nationalfeiertag streng zurecht (Wer die Regeln der Regierung nicht respektiert, kann nicht bleiben), handelt aber wieder einmal nicht. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet nicht statt – wie auch? Wie soll man sich mit Phrasen auseinandersetzen, die man selber täglich von sich gibt?

Wofür steht Macron?

Nach der (vorläufig) ersten Wahl Sarkozys 2007 erklärte der Philosoph Badiou seinen Studenten: Liebe Freunde, ich spüre in diesem Saal den Geruch der Depression. Ich nehme aber an, dass ein Sarkozy als Person Sie trotzdem nicht deprimieren würde. Was Sie also deprimiert, ist das, wofür der Name Sarkozy steht.

Wofür steht also Macron?. Ihm fehlt die Verbissenheit und offensichtliche Brutalität eines Sarkozy. Wie die Eingangsepisode zeigt, verkörpert er zwar bürgerlichen Klassenhabitus, aber den der liberalen Bourgeoisie, gepaart mit einem ungeheuren Bildungskapital. Das unterscheidet ihn von einem überangepassten Empörkommling, der vor Vulgarismen nicht zurückschreckt. Der 1977 in Amiens geborene Emmanuel Macron ist Sohn eines Medizinprofessors. Auch seine Mutter ist Ärztin. Der Absolvent der Karriereschule ENA, hat auch einen Abschluss in Philosophie (wer die Fußnoten von Paul Ricoeurs.berühmten „La mémoire, l'histoire, l'oubli“.. liest, hat den Arbeitsfleiß Macrons vor sich). Der Hochintelligente macht zunächst Karriere in der Finanzinspektion, wird auf Empfehlung des einflussreichen Intellektuellen Jacques Attali Bankier bei Rothschild (wo er ein Milliardengeschäft für Nestlé einfädelt, das ihn selbst zum Millionär macht). Politisch ist er seit 2002 im PS organisiert, was nicht notwendig ein Widerspruch ist. Zunächst Berater des Präsidenten Hollande, wird er 2014 nach dem Rücktritt des eher linken Arnaud Montebourg Wirtschaftsminister.

Vieles scheint ihm zuzufliegen. Er ist sportlich und vor allem musisch begabt. Als exzellenter Klavierspieler, wurde er von den Medien zum „Mozart de l'Elysée“ ernannt. Offensichtlich hat er etwas von einem Wunderkind, einen eigenen Kopf zum Beispiel. Seit seiner Jugend verbindet ihn eine Art „amour fou“ mit seiner damaligen Französischlehrerin, weswegen seine entsetzten Eltern ihn an das Renommiergymnasium Henri IV in Paris „versetzten“. 2007 konnten die beiden endlich heiraten. Seitdem versucht seine kluge, deutlich ältere Frau ihn vor den „brutes“, wie sie sagt, in Wirtschaft und Politik zu schützen. Und in der Tat wirkt er manchmal verwundbar, was jedoch seine Glaubhaftigkeit als „französischer Kennedy“ nur stärken kann.

Auf der Suche im politischen Feld Sarkozys postulierte Badiou einen typisch französischen „Transcendantal pétainiste“. Der erwache, wenn „das Vaterland in der Krise“ sei. Also immer, möchte man ergänzen. Die Krise erzeuge die Notwendigkeit der „nationalen Regeneration“. Die alte bürgerliche Gesellschaft müsse sich „neu“ erfinden, sich vom Kulpabilisierten absetzen. So wie Pétain sich 1940 vom Bösen des Front populaire distanzierte, so verteufelte Sarkozy die 68er. Ein Bruch wird notwendig, eine „neue Bewegung“, die Ökonomie, Politik und Gesellschaft erneuere.. die Faulheit, die moralische Dekadenz sind zu bekämpfen – durch Mehrarbeit, durch Dienst an der Nation, durch Hingabe an die Modernität (so modern wie die Nazis für Pétain, so fit wie wahlweise die Angelsachsen und die Deutschen für Sarkozy)..

Ist das Schema auf Macron anwendbar? Deutlich ist, dass ihm die Attribute des starken und nationalstolzen Mannes, die Sarkozy, aber auch Valls politisch vermarkten, fehlen. Insofern wäre es völlig verfehlt, ihn zum Verfechter eines „Pétainisme soft“ zu machen. Ein Präsident Macron wäre der ideale Vertreter eines „Sarkozysme soft“ mit ähnlichem Wirtschaftsprogramm („Modernisierung'“, Flexibilisierung der Arbeitskraft, Privatisierung), aber unterschiedlicher Kommunikation der Grausamkeiten („Erklären“, „Mitnehmen“, „Versöhnen“). Wahrscheinlich wäre seine Akzeptanz bei der angestrebten Klientel (der berühmten Mitte) größer. Sarkozy ist für bestimmte bürgerliche und kleinbürgerliche Schichten entzaubert. Ob er dem Front national viele Stimmen abnehmen kann, ist fraglich. Andererseits: die recht gelassenen Reaktionen seiner Genossen und der milde Spott der Medien zeigen, dass Macron bei diesen Vorwahlen gegen Hollande oder Valls wohl noch keine Chancen .hat. Aber er ist noch jung – und die Kandidatennot des PS wird groß werden. Keine Spezialität der französischen Sozialisten.

Bezeichnend ist, dass bei all diesen diesen Spekulationen die Arbeiterklasse (in alter und neuer Form) nicht mehr vorkommt.Sie ist für die politische Kaste kaum noch politikwürdig. Macron spricht schon nicht mehr von den Arbeitern, sondern von Gehaltsempfängern (wahrscheinlich meint er höhere Salärs). Mit Ausnahme von Mélenchon überlässt man sie dem Front national.Schließlich haben sie den „neuen Geist des Kapitalismus“ noch nicht verstanden. Wahrscheinlich nimmt ein Macron sein Lunel-Erlebnis als Beleg.

Zur Macronschen "Bewegung der Hoffnung" passt ein Zitat des großen Komikers Coluche: Die Rechte macht vor den Wahlen Versprechungen, und hält sie nicht. Die Linke macht Hoffnung, und zerbricht sie. Die Frage, was schlimmer ist, erübrigt sich fast.

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