Deutsches Feiern

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Der Nachrichtensprecher sagt: Die Hauptstadt bereitet sich auf die morgen stattfindenden Feierlichkeiten vor. Wie er "Hauptstadt" betont! HHHauuuuptstadt!

Ja, sie werden ihn kriegen, ihren Nationalfeiertag. Den richtigen, den 9. November. Nicht den langweiligen 3. Oktober. Sie werden diesen Tag arbeitsfrei begehen können, als "Tag der Freiheit". Mittelfristig werden sie auch eine deutsche Freiheitsstatue bauen, halb Paulskirchengermania, halb Claudia Schiffer. Der Berliner Volksmund wird sie zärtlich "Angie" nennen.

Sie werden sagen, dass wir schon seit langem in der Normalität der "freien Völker" angekommen seien. Die Amerikaner haben schließlich den Unabhängigkeitstag und die Franzosen das, was wir den "Sturm auf die Bastille" bezeichnen, sie selber nüchterner die "Einahme" derselben nennen. Und wir Deutschen haben den "Mauerfall". Fall? Wurde sie am 9. November nicht geöffnet? Überklettert? Betanzt? Bepinkelt? Nein! Mauern müssen spätestens seit Jericho "fallen", um geschichtsmächtig zu werden.

Die Welt ist wieder einmal, was der Fall ist ist. Nicht mehr der Fall ist die politische Erinnerung an den "Terroristen" Georg Elser. Auch nicht der 9. November der Synagogenbrände. Die sind ja nun wirklich "aufgearbeitet". Ich bitte Sie! Natürlich ist der 9. November des Hitlerputsches mit dem geplanten Marsch auf die HHHauuuuptstadt erst recht kein Fall.

Sie werden sich den 9. November als Nationalfeiertag schenken. Mit einem kleinen erinnerungspolitischen Schwenker auf den 9. November 1918 - als Beginn der ersten deutschen Republik. Aber nur kurz, sonst wird noch Karl Liebknecht ein Fall. Und die Befreiung von den Kommunisten wollen wir ja feiern. Ach, den Robert Blum vom 9. November 1848, den schenken wir uns auch. Freiheitsmärtyrer werden gebraucht.

Und so wird es jedes Jahr in der Hauptstadt ein Riesenspektaktel für die Freiheitsfähnchen schwenkenden Riesenmassen geben: Riesenkönigskinder, Tötung des Riesendrachens, Riesenumpustung der Riesenmauer, Riesenhändedruck. Vielleicht inszeniert von Riesenstahl. Der Bundespräsident wird Kränze an den hundert Mahnmalen abwerfen, das neueste davon wird das Ehrenmal für die Freiheitskämpfer der BundesWEHR sein. Wir werden zum zweihundertmillionensten Mal die Mauerbilder im Fernsehen sehen, Reagan wird zum viermillionensten Mal Gorbatschow tremolierend auffordern, the wall zu open und in den Zeitungen werden wir zum achtmillionensten Mal lesen können: "Mein persönlicher neunter November".

Und warum in Belgien und Frankreich zwei Tage später Nationalfeiertag ist, wird uns nicht interessieren, nicht die Bohne.

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