"Die Pflicht, Obono zu bekämpfen"

Kalkulierter Rassismus Das rechte Blatt "Valeurs actuelles" offenbart mit einer rassistischen "Sommergeschichte", wie unerbittlich der bürgerliche Rassismus mittlerweile geworden ist.

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Ngombong, Die Négritude macht uns doch zu Geschwistern!

Danièles Flehen ist vergeblich. Der Dorfälteste übergibt sie den Toubous (Vorsicht: Wortspiel), aggressiven Nomaden aus dem Norden, als Sklavin. Für die Frau beginnt ein Martyrium von Erniedrigungen. Nur der Vergewaltigung entgeht sie:

Ihr fortgeschrittenes Alter entsprach nicht dem Geschmack der Räuber.

Danièle wird weiter verkauft, diesmal an arabische Händler. Diese behandeln sie besser. Schließlich geht es um Geldwert ihrer Ware. Auf dem Sklavenmarkt in Tripolis findet sie nach penibler Begutachtung zunächst keinen Abnehmer, bis sich der Botschafter Smyrnas in Tripolis, ein gewisser Bal-al-Adur (wieder Vorsicht!), erbarmt. Ein französischer Missionar kann sie am Ende befreien und in ein Kloster der Benediktinerinnen bringen: ora et labora!

"Obono, die Afrikanerin" ist eine schlichte, im 18. Jahrhundert spielende Story ist garniert mit großen, dunkel gehaltenen Illustrationen. Sie bedient sich der Jahrhunderte alten Klischees der veklemmt-lustvollen Empörung über die Sklaverei. Stets ist die Protagnistin verfangen „im dreifachen Netz des Exotismus, der Frivolität und der Unterhaltung“ (Achille Mbembe). In dieser narrativen Tradition sind die Übeltäter nicht die Weißen. Und das war zu erwarten. Erschienen ist der kalkulierte Kitsch nämlich in der einschlägigen rechten Zeitschrift „Valeurs actuelles“. Nicht zu erwarten war allerdings, dass hier offen und ohne jeden Skrupel eine bekannte Politikerin rassisiert wird: Danièle Obono, Mitglied der France insoumise, Abgeordnete der Nationalversammlung. Nicht viele werden den langen Text gelesen haben. Es lohnt wahrlich nicht. Selbst die zahlreichen Anspielungen sind dröhnend. Wirkung zeigen jedoch die großen Illustrationen: die arabischen Sklavenhändler hoch zu Pferde , der Zug der Slavinnen, eine nackte an Halsketten gelegte Obono und ihr verzweifeltes Gesicht, das einer Sklavin.

„Valeurs actuelles“ (re)produziert seit langem die Vorurteile des rechts schillernden Bürgertums. Kaum eine Ausgabe verzichtet auf die Meinung eines Finkielkraut respektive Zemmour zu der angeblich wachsenden Kriminalität in den „Cités“, der Brutalität jugendlicher Migrantenbanden, den „Tränen des weißen Mannes“ bezüglich Kolonialismus und Sklaverei, dem „Separatismus“ der „Indigenisten“, der neuesten Tollheit der „Bobos“ etc. etc. Dabei scheint das Marion Maréchal nahestehende Blatt durchaus palastwürdig. Selbst der Präsident gewährte ihm ein langes Interview.

Danièle Obon wird gleich mehrfach herabgewürdigt. Zunächst wird sie als Protagonistin einer Erzählung instrumentalisiert, deren Zweck die Ablenkung vom frühkapitalistischen europäischen Sklavenhandel mittels der Fokussierung auf den innerafrikanischen ist, ein beliebtes Verfahren der rechtsextremen Historiographie und Publizistik. Dabei dient vor allem die Herausstellung der vermeintlichen Grausamkeit der Araber und der „Schwarzen“ als Relativierung der Schuld der Europäer, ihrem "Blanchissement" (Weißwaschung). Schließlich waren gerade die Franzosen Vermittler der "universellen" Zivilisation. So weit, so schlecht.

Die öffentliche Herabsetzung Obonos ist in diesem Fall jedoch ungewöhnlich hart. Sie überschreitet den Rahmen der üblichen kleinen und großen Demütigungen und ungelenken Attitüden des Alltags, die „rassisierte“ Menschen in der Republik erleben müssen. Schließlich ist sie gut eingeübt, die „weiße Fiktion“, aufgrund der eigenen „Filiation“ Mitglied einer „Nation“ mit entsprechender Kultur, Herkunft und Religion zu sein, etwas, das sich „Fremde“ erst „verdienen“ müssen.

Zur Zielscheibe wurde Danièle Obono, als sie vor drei Jahren als frisch gewählte Abgeordnete gegen einen kategorischen Imperativ für schwarze Franzosen verstieß. In einer Fernseh“diskussion“ weigerte sie sich, eine Liebeserklärung für Frankreich abzugeben, quasi als Buße dafür, dass sie einen Rapper verteidigt hatte, der doch tatsächlich „Nique la France!“ (Fuck Frankreich!) getextet hatte. Spätestens seitdem ist sie bevorzugtes Hassobjekt der Rechten und ihrer Extreme. Sie habe sich von der republikanischen Parole „Je suis Charlie“ distanziert, sei Mitglied der „Indigènes de la République“, stehe ihnen zumindest nahe, zeige Verständnis für radikale Muslime, sei eine „schwarze Rassistin“, weil sie den neuen Ministerpräsidenten Chastex einen „weißen Mann von rechts, einen Technokraten und Ämteranhäufer“ genannt habe und überhaupt: sie solle besser nach Gabun zurückkehren. Im sozialen Netz wird sie permanent mit Beleidigungen überschwemmt.

Verstörend sind die Angriffe von der linken Seite. Noch kurz vor Erscheinen des „Sommerromans“ kritisiert Charlie Hebdo – nicht zum erstenmal – die angeblich kommunitaristischen Teile der France insoumise, repräsentiert durch Danièle Obono. So sei ihr Gebrauch von Begriffen wie „Weißheit“, „Rassisierung“ oder „Intersektionalität“ vom essenzialistischen „Indigenismus“ inspiriert. Charlie Hebdo kritisiert noch nach dem 27. August Obonos „anti-laizistische Ideen, ihre Hinnahme des radikalen Islamismus und ihre identitären Obsessionen.“ Das republikanische Blatt „Marianne“ beklagt „die Aufgabe des Universalismus“ durch „die rassialistische Bewegung“, zu der auch Obono zähle.

Das Kalkül der „Valeurs Actuelles“ scheint aufgegangen. Mit dem Aufmerksamkeitswert steigt ihr ökonomischer Wert, und der Fall ihrer Auflage wird – (hoffentlich nur) kurzfrsitig – aufgefangen. Ihre Referenzautoren, vor allem natürlich Zemmour, springen auf den Zug und kämpfen weiß und mannhaft an ihrer Seite. Auf CNews gibt letzterer am 31. August die Marschrichtung vor:

Man hat nicht nur das Recht, Obono zu kritisieren, sondern man hat die Pflicht, sie zu bekämpfen.

Es folgen falsche Zitate, Dekontextualisierungen und erfundene Behauptungen, das leider übliche Verfahren, spätestens seit dem Antisemiten Drumont Ende des 19. Jahrhunderts.

Immerhin stehen diesen tausendfach reproduzierten Invektiven, solidarische Stellungnahmen gegenüber. Ungewöhnliche sogar. Selbst der Präsident, die Minister und zahlreiche Abgeordnete der République en marche distanzieren sich von dieser Attacke. Bei vielen wird es gut gemeint sein. Auch die Staatsanwaltschaft von Paris ermittelt gegen "Valeurs actuelles".

Diese republikanische Solidarität bietet aber auch strategische Vorteile im kommenden Wahlkampf. Macron und sein „Team“ werden sich als Hüter der Republik sowohl gegen die essenzialistischen Rechten als auch als Kämpfer gegen den "Separatismus" der Muslime und "Afrikaner" und ihre grünen und linken Unterstützer präsentieren können. Durch den Fall "Valeurs actuelles", der zum „Fall Obono“ gemacht wird (mit Ausbaupotential), gewinnt die Pseudotheorie des „Großen Austausches“ noch mehr Adepten , was wiederum den Rassemblement national stärkt. Macron wird es also wieder mit seiner Traumgegnerin Marine Le Pen zu tun haben.

So das Kalkül. Dass es aufgeht, ist ziemlich wahrscheinlich. Der Rassismus ist von unfassbar langer Dauer. Im Song „Nique la France“, den zu unterstützen Obono vorgeworfen wurde, heißt es:

Fuck Frankreich und seine kolonialistische Vergangenheit, seine Mauern, seine Wälle und seine kapitalistischen Delirien.

Angesichts des Falls „Valeurs actuelles“ bekommt man ein gewisses Verständnis.

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