Die Waffen des Historikers

Marx und Geschichte Mit Eric Hobsbawm ist der letzte große marxistische Gelehrte gestorben

Es ist ein Privileg für einen Schriftsteller, das Ende von drei Staaten erlebt zu haben: die Weimarer Republik, den faschistischen Staat und die DDR.

Eric Hobsbawm muss auch an sich gedacht haben, als er diesen Satz Heiner Müllers gegen Ende seines großen Werks "Das Zeitalter der Extreme" zitierte. Wie kein anderer repräsentierte Hobsbawm dieses kurze Zwanzigste Jahrhundert, das er um Jahrzehnte überleben sollte. Er war im besten Sinne "teilnehmender Beobachter". Viele seiner Werke spiegeln dieses politische und wissenschaftliche Engagment. Seine "Memoiren" sind viel mehr als nur persönliche Erinnerungen. Sie werden bei einem Hobsbawm zur Reflexion seines Werdegangs als marxistischer Intellektueller, aber auch der Privilegien eines englischen Universitätsgelehrten in extremen Zeiten. Es ist insgesamt alles andere als ein "beschädigtes Leben". Trotz alledem.

Hobsbawm war ein historiographischer Meister: er beherrschte nicht nur die Perspektive "von oben", sondern betrieb auch mit verblüffender Leichtigkeit "Geschichte von unten". Als Beispiel sei der Aufsatz "Der Schuhmacher als Politiker" genannt (in "Ungewöhnliche Menschen"). Bekannt sind seine Texte über den Jazz. Seinen Nachruf auf Billie Holiday (1959) beendete er mit diesen traurig-schönen Worten: Es ist unmöglich, keine Tränen um sie zu vergießen, und nicht die Welt zu hassen, die sie zu dem machte, was sie war.

Zu erwähnen ist auch sein Anteil bei der Entwicklung des Konzepts der "erfundenen Nation". Dabei stand Hobsbawm über allen linguistic und anderen "Turns". Er beharrte bei aller wissenschaftlichen Neugier auf den res factae und einem methodischen "Konservatismus". 1990 veröffentlichte er eine scharfe Kritik der "revisionistischen" Geschichtsschreibung über die Französische Revolution à la Furet: Aux armes ,historiens! So der Titel der französischen Übersetzung.

Zu den Waffen, Historiker! Wer denkt da nicht auch an Marxens "Waffen der Kritik", die aber die "Kritik der Waffen" nicht ersetzen können.

Eric Hobsbawm ist am 1. Oktober mit 95 Jahren gestorben. Who's left? Wer weiß. Geblieben ist sein Werk. Vielleicht wird es wieder gelesen.

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