Ehre und Vaterland

Post vom Capitaine Ein Hauptmann im Ruhestand fordert indirekt eine militärische Intervention im eigenen Land und bringt nicht nur die Macronie in Schwierigkeiten. Vorteil Le Pen?

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Ehre und Vaterland

Foto: Philippe Wojazer/AFP/Getty Images

Frankreich ist in Gefahr. In dieser schweren Stunde bedrohen uns tödliche Gefahren... Unsere Trikoloren sind nicht nur ein Stück Stoff. Sie symbolisieren die Tradition, durch die Zeiten hindurch. Auf diesen Fahnen stehen in goldenen Lettern die Worte „Ehre und Vaterland“. Heute befiehlt uns diese Ehre, vor dem Zerfall unsere Vaterland zu warnen.

Nein, dieses Zitat ist keinem historischen Dokument entnommen, etwa aus der Zeit der Dreyfus-Affäre, des Ersten Weltkriegs oder des Algerienkrieges. Es ist der Anfang eines öffentlichen Briefes an die Adresse des Präsidenten, der Regierung und der Abgeordneten. Veröffentlicht hat ihn der Hauptmann im Ruhestand Jean-Pierre Fabre-Bernadac am 14. April 2021 in seinem Blog „Place d'armes“. Eine Woche später übernahm die rechtsextreme Zeitschrift „Valeurs actuelles" den Aufruf, mit dem Titel „Für eine Rückkehr zur Ehre unserer Führenden“. Mittlerweile haben 25 Generäle (im Ruhestand) und 3000 weitere Ex-Militärs den Aufruf unterzeichnet. Militärisch gesprochen: hinter der Operation steht eine Truppe verdienter Veteranen in Brigadestärke.

Und die machen sich Sorgen um ihr Vaterland. Von drei Gefahren sei die „Patrie“ bedroht. Da ist zunächst die Front der Ideen:

Gewisse Leute sprechen heute von Rassialismus, Indigenismus und dekolonialen Theorien.


Die Herren wissen aus Erfahrung:


Aber diese Begriffe verdecken, dass diese hasserfüllten und fanatischen Partisanen den Rassenkrieg wollen. Sie verachten unser Land, seine Traditionen, seine Kultur.

Anders formuliert: Wer so denkt, ist kein richtiger Franzose. Er ist sogar ein Feind, der konkret zu benennen und quasi zum Abschuss freizugegeben ist: die „Union nationale des Etudiants de France“ (l'UNEF), die linke Studentenorganisation, die seit Wochen in Medien und Politik des „Islamogauchisme“ bezichtigt wird, weil sie einige Veranstaltungen „non-mixtes“ durchgeführt hat.

Die zweite Bedrohung (und damit „tödliche Gefahr“) bilden – die Veteranen betreten damit bekanntes Terrain – der „Islamismus und die Horden der Vorstädte“. Keine „Horden“ sind – zumindest dieses Mal – die Gelbwesten. Der Verfasser bezeichnet diese als „Franzosen in gelben Westen, die ihre Verzweiflung ausdrücken“. Darum ist es auch nur

Hass, der über die Brüderlichkeit siegt, wenn die Regierung in Demonstrationen die Ordnungskräfte als Hilfstruppen und Sündenböcke benutzt.

Die Verzweiflung, die Gelbwesten und Ordnungskräfte zum „Hass“ und (unfreiwilligen) Auseinandersetzung treibt, erwächst aus der Laschheit der Regierenden, aus deren Gefahrenblindheit. Aber:

Sie sollen wissen, dass wir bereit sind, diejenigen Politiker zu unterstützen, die die Nation bewahren wollen. Wenn aber nichts unternommen wird, wird der Laxismus sich weiter in der Gesellschaft ausbreiten und am Ende eine Explosion und eine Intervention unserer aktiven Kameraden hervorrufen. Zu einer gefährlichen Mission zum Schutz unser zivilisatorischen Werte und zur Rettung unserer Landsleute auf dem nationalen Territorium

Das Erscheinungsdatum fällt – nicht ganz zufällig – mit dem 60-sten „Geburtstag“ eines besonderen Offiziersputsches zusammen. Am 21 April 1961 übernahmen die Generäle André Zeller, Maurice Challe, Edmond Jouhaud und Paul Gardy die Kontrolle über Algier. Challe verkündete:
.

Der Kommandant behält sich das Recht vor, seine Aktion auf die Metropole auszuweiten und die verfassungsgemäße republikanische Ordnung wieder einzuführen, welche von einer Regierung kompromittiert wird, deren Illegalität vor den Augen der Nation offensichtlich ist.


Die historische Brisanz des offenen Briefes ist also evident. Natürlich fühlte Marine Le Pen sich angesprochen und reagierte zwei Tage nach der Veröffentlichung ihrerseits mit einem Brief, der (wie zu erwarten) in „Valeurs actuelles“ erschien. Sie lobte den „Mut derer, die ihr Leben dem Vaterland gewidmet haben“ und fuhr fort:

Als Bürgerin und Politikerin unterschreibe ich Ihre Analysen und teile Ihre Sorgen. Wie Sie glaube ich, dass es die Pflicht aller französischen Patrioten ist, woher sie auch kommen, sich für den Wiederaufbau und sogar, sagen wir es, für das Wohl des Landes zu erheben... Ich lade Sie ein, sich uns anzuschließen und an der Schlacht („bataille“), die sich eröffnet, teilzunehmen.

Dass mit der „Bataille“ nicht nur der kommende Wahlkampf gemeint ist, versteht sich. Nachdem ihr der Innenminister Darmanin in einer Fernsehdiskussion den Schneid genommen hat, indem er sie rechts überholte („Ich finde Sie eher weich“), ist Le Pen für jeden militärischen Beistand dankbar, auch wenn dieser im Ruhestand in Habachtstellung wartet. Die Medien hielten sich bisher ungewöhnlich zurück, ebenso wie die politische Klasse. Erst 6 Tage nach der Veröffentlichung wurden die Industrie- und die Verteidigungsministerin an die Medienfront geschickt, um sich von dem Aufruf zu distanzieren. „Die Armee ist nicht dazu da, eine Wahlkampagne zu machen, sondern um Frankreich zu verteidigen“, so die Ministre de la Défense Florence Parly. Sie kritisierte die Haltung Le Pens, die nur ihre Unkenntnis der Armee verrate. Die Républicains und die Grünen zogen bis jetzt ein Schweigen vor. Empörung über den rechtsextremen Aufruf zeigten nur die „Gauche de la Gauche“, der Sozialist Benoît Hamon und die France insoumise.

Auf einer Pressekonferenz am 26. April sprach Jean-Luc Mélenchon von einer extrem gravierenden Affäre, in der nicht nur rechtsextreme Ex-Militärs (indirekt-direkt) zur Intervention aufrufen, unterstützt von Marine Le Pen. Auch ein ehemaliger Minister wie Philippe de Villiers (Bruder des potentiellen Präsidentschaftskandidaten und Ex-Stabschefs Pierre de Villiers) beschwört die „Insurrection“ (ebenfalls in „Valeurs actuelles“). Angesichts der Untätigkeit des Regierung und des Präsidenten, der ja immerhin „Chef des Armées“ ist, sowie des Generalstaatsanwalts sehe sich die France insoumise zur Anzeige gezwungen. Das Strafgesetz sei in dieser Affäre eindeutig.

Das bisherige Zaudern der Macronie ist allerdings zu erklären. Sie steckt in einem strategischen Dilemma. Seit Monaten bewirbt sie mit militantem Laizismus die rechten und rechtsextremen Teile der Bevölkerung. Mit gewissem Erfolg. Noch vor einer Woche hat Außenminister Le Drian zur ihrer Zufriedenheit erklärt, der Tschad bilde ein wenig die Südgrenze Europas. Sanktionen gegen Militärs wären wahltaktisch kontraproduktiv. Sie würden die existenten rechtsextremen Gruppieren in der Armee nur stärken. Die Entwicklung bei der Polizei und der Gendarmerie hat dies bewiesen. Dort dominieren mittlerweile rechtsmilitante „Gewerkschaften“.


Hauptmann im Ruhestand Fabre-Benardac nimmt dies alles gelassen. Le Pen sei immerhin Patriotin, die Reaktion der Verteidungsministerin sei hingegen „chiche“ (kümmerlich): Und auf Sud-Radio deutet er – etwas sibyllinisch – an:

Wir sind in Kontakt mit den aktiven Militärs. Sie sind enverstanden.

In seinem Blog veröffentlicht der Capitaine lange „Expertisen“ des bekannten Militärstrategen und General im (vorzeitigen) Ruhestand Vincent Desportes. Und der schreibt folgendes:

Unsere schönen Armeen haben immense Qualitäten... Aber das System der Kräfte wird in überholter Art und Weise organisiert. Wir müssen die Idee der operationellen Verteidigung auf dem Territorium wieder aufwerten... Wir brauchen also territoriale Kräfte.


Desportes empfiehlt leichte Kavallerie (Kampfpanzer z.B.), motorisierte Infanterie, Artillerie, Pioniereinheiten mit dem entsprechenden Material: Allradwagen, Lastfahrzeuge und automatische Maschinengewehre.

Vielleicht könnten diese Kräfte bei operativen Einsätzen gegen den „inneren Feind“ ja mit den 7 Polizeieinheiten des Innenministers ko-operieren, die ab diesem Sommer für die Sicherheit im Land sorgen sollen, einsetzbar rund um die Uhr, ausgerüstet mit dem modernsten Material.

Also: Von wegen Laxismus, Herr Hauptmann! Da muss doch selbst einem (Ex-)Militär das Herz aufgehen, auch wenn er weiter vom „richtigen“ Krieg träumt. Die „schöne Armee“ und die Polizei im gemeinsamen Kampf … Wenn ich nur wüsste, gegen wen?



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