Der Klassenkampf geht weiter. Vor allem der von oben

Erster Wahlgang in Frankreich Die Ergebnisse der ersten Tour der Präsidentenwahlen in Frankreich zeigen zementierte Verhältnisse. Der „Bloc populaire“ hat gegen die beiden bürgerlichen Blöcke keine Chance. Ein Kommentar – und auch ein kleiner Abschiedsgruß an Mélenchon

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Emmanuel Macron hat beste Chancen, Frankreich fünf weitere Jahre zu regieren
Emmanuel Macron hat beste Chancen, Frankreich fünf weitere Jahre zu regieren

Foto: Ludovic Marin/AFP via Getty Images

Also sprach der Souverän: Und sehet: Ich will, dass ihr im 2. Wahlgang dasselbe Spiel wie 2017 spielt. Auf dass der junge Stolz der Nation zum zweiten Male die Geschicke des Landes führe, im ewigen Kampf gegen die vergebliche Macht der Finsternis.

Wenn er denn souverän wäre! 26 Prozent der Wahlberechtigten haben sich am 10. April enthalten. Von den übrig gebliebenen 74 Prozent haben 27,4 Prozent Macron, den Präsident der Reichen (und der Rentner) und 23,15 Prozent dessen politische Lebensversicherung Le Pen gewählt. Mélenchon, der sozial-ökologische Kämpfer für eine Sechste Republik kam auf 22 Prozent. Es fehlten also nur 421.420 Stimmen. Das ist in der gegenwärtigen Situation ein respektables Resultat (man vergleiche nur den Score der Linken in der BRD). Gleichzeitig erzeugt es jedoch das nagende Gefühl der Frustration: Mélenchon trat zum dritten Mal an. Sein Wahlkampf nahm gegen Ende unerwartete Fahrt auf. Aber dies ist es nicht alleinige Ursache des Schmerzes: Der kommunistische und der ökologische Kandidat kamen auf 2,3 Prozent bzw. 4,8 Prozent der Stimmen. Natürlich stellt sich die Frage: Was wäre passiert, wenn beide verzichtet hätten? Oder auch nur Fabien Roussel (PC). Beginnt die letzte Phase der hundertjährigen kommunistischen Partei Frankreichs? Und weiter gedacht: Was bedeutet dies für etwaige Bündnisse bei den anstehenden Wahlen zur Legislative? Jedenfalls zeigte Mélenchon Haltung, er rief noch in der Wahlnacht auf, nicht Le Pen zu wählen, und er verwies mit Stolz auf das Erreichte. „La lutte continue!“ Wie oft haben wir das gehört!

Ausgespielt hat zunächst die Kandidatin der Républicains. Valéry Pécresse ist direkt nach ihrer Aufstellung durch die Sondages auf sagenhafte 18% gepuscht worden – und endete bei legendären 4,8 Prozent. Ähnliches gilt für die Waffe des Milliardärs Bolloré, Eric Zemmour. Der Konkurrent Marine Le Pens landete hart bei 7 Prozent. Auch hier stellen sich Fragen, vor allem über das perfekte Zusammenspiel von Medien, deren Besitzern und den Umfrageinstituten. Aber auch dieses Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Wer will es beheben? Bestimmt nicht die beiden Nutznießer dieses Spiels, Macron und Le Pen.

Wieder gibt es drei politische Blöcke, die alle um die 30 Prozent der Stimmen erreichen.

Die „Linke“ hat sich endgültig zu einer Bewegungslinken entwickelt, in deren Zentrum die „France insoumise“ steht. Diese spricht von einem "Bloc populaire". Ob die Kommunisten sich ins Abseits manövriert haben, wird sich zeigen. Fabien Roussel kommt zumindest in Rechtfertigungsdruck. Warum wurde er zum „Kommunisten, den die Rechten lieben“ (Marianne)? Auch der Ecolo Jadot kommt in Erklärungsnot, doch sein zum Teil liberales Elektorat hat weniger Probleme mit einem „Macron-Président“. Und der Parti socialiste, die Partei von Mitterand und Hollande, erlebt er momentan seine (endgültige?) Vaporisierung? Anne Hidalgo, die Kandidatin, kam jedenfalls auf wahnsinnige 1,8 Prozent.

Extreme Rechte erreicht ein Drittel der Wähler

Das rechte Zentrum um den „Monarque présidentiel“ ist ebenfalls Parteien übergreifend. Die Wahl macht deutlich, dass es sich auf seine bourgeoise Klientel verlassen kann. Die Bewegung der République en marche sitzt konfortabel an den Hebeln der Macht. Sie ist teilidentisch mit Parteien wie dem Modem, den „Horizons“ des ehemaligen Ministerpräsidenten Philippe und – demnächst dem liberalen Caput mortuum der Républicains, die sich - analog zum PS – neu aufstellen, besser aufteilen wird, in Richtung Macron (Pécresse), aber auch in Richtung Zemmour.

Die extreme Rechte – man mag es kaum glauben – erreicht ein Drittel der Wähler. Wie Macron kann sich auch Le Pen auf ihre Klientel verlassen, die sowohl aus den „classes populaires“ als auch aus der – eher provinziellen – Bourgeoisie stammt. Im zweiten Wahlgang wird sie große Teile der Wähler Zemmours „syphonieren“. Wie der so schnell auf- und abgestiegene Star Zemmour sich verhalten wird, scheint noch offen. Er hat Optionen nach rechts und nach extrem rechts. Es würde aber auch nicht überraschen, wenn er bis zur nächsten Verwendung auf Eis gelegt wird. „Ben, voyons“, pflegt Z. zu sagen. Dass im großbürgerlichen 16. Arrondissement von Paris 17,5 Prozent für ihn gestimmt haben, dürfte ihn ermutigen. „Schauen wir 'mal“, was der zweite Wahlgang am 24. April bringt. Marion Maréchal (Le Pen) steht jedenfalls schon in den Startlöchern.

Unter den Verhältnissen, die „ja nun mal so sind“, kann nur einer gewinnen, der jetzige Elysée-Bewohner. Wieder einmal wird die Medienmaschine die Wahl zur antifaschistischen Entscheidung stilisieren, schließlich hat sie ihr Bestes gegeben, um dieses quotenreiche Duell zu produzieren. Wieder einmal gilt das „Faire barrage“, das Dämmebauen gegen die extreme Rechte. Fast alle Kandidaten haben schon ihren Pflichtaufruf gegen Le Pen abgeliefert, auch Mélenchon, der noch vor kurzem die Dämmebauer als „Castors“ (Biber) ironisiert hat. Schließlich will er die Chancen der France insoumise bei den Parlamentswahlen nicht vermasseln.

Die Franzosen müssen Macron fünf weitere Jahre ertragen

Im letzten Abschnitt das Schlimmste. Mit Macron wird der so notwendige „Regime-Change“ in Frankreich nicht stattfinden (er profitiert ja von der fast 65 Jahre alten De-Gaulle-Verfassung). Die Klimakatastrophe wird kosmetisch aufgehübscht, die Energieprobleme durch den Bau neuer AKWs "behoben" (die ja so schön CO2-frei sind), der öffentliche Dienst wird weiter privatisiert, die sozialen Errungenschaften werden peu à peu abgeschafft, Proteste wie gehabt brutal niedergeknüppelt, der Rassismus gegen Einwanderer wird sich weiter austoben dürfen, die Rüstung wird – wegen des unberechenbaren Putin – die Sozialausgaben noch stärker anfressen, das Renteneintrittsalter wird um drei Jahre heraufgesetzt. Ich höre hier auf..., allerdings nicht ohne auf eine weitere Zumutung hinzuweisen: die Franzosen müssen diesen Emmanuel Macron weitere fünf Jahre ertragen. Wir haben in Deutschland zwar auch diverse Politikdarsteller, aber im Vergleich zu Jupiter sind dies Waisenknaben – und -mädel.

Würde Le Pen es übrigens wieder Erwarten schaffen, käme es für die "Classes populaires" noch dicker. In seiner letzten großen Wahlkampfrede in Toulouse hat es Mélenchon so formuliert:

„Macron ist das Wirtschaftsprogramm von Le Pen plus Klassendünkel. Le Pen ist das Wirtschaftsprogramm von Macron plus Rassenhass.“

Und gleichzeitig haben wir in Europa eine Epidemie, eine Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation, einen entsetzlichen Krieg und eine klimatische Bedrohung, die kaum noch abzuwenden ist (und gegen die wir nicht hochrüsten). Die französische Präsidentenwahl trägt macht die Lage nicht besser, noch nicht einmal schöner.

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