Also sprach der Souverän: Und sehet: Ich will, dass ihr im 2. Wahlgang dasselbe Spiel wie 2017 spielt. Auf dass der junge Stolz der Nation zum zweiten Male die Geschicke des Landes führe, im ewigen Kampf gegen die vergebliche Macht der Finsternis.
Wenn er denn souverän wäre! 26 Prozent der Wahlberechtigten haben sich am 10. April enthalten. Von den übrig gebliebenen 74 Prozent haben 27,4 Prozent Macron, den Präsident der Reichen (und der Rentner) und 23,15 Prozent dessen politische Lebensversicherung Le Pen gewählt. Mélenchon, der sozial-ökologische Kämpfer für eine Sechste Republik kam auf 22 Prozent. Es fehlten also nur 421.420 Stimmen. Das ist in der gegenwärtigen Situation ein respektables Resultat (man vergleiche nur den Score der Linken in der BRD). Gleichzeitig erzeugt es jedoch das nagende Gefühl der Frustration: Mélenchon trat zum dritten Mal an. Sein Wahlkampf nahm gegen Ende unerwartete Fahrt auf. Aber dies ist es nicht alleinige Ursache des Schmerzes: Der kommunistische und der ökologische Kandidat kamen auf 2,3 Prozent bzw. 4,8 Prozent der Stimmen. Natürlich stellt sich die Frage: Was wäre passiert, wenn beide verzichtet hätten? Oder auch nur Fabien Roussel (PC). Beginnt die letzte Phase der hundertjährigen kommunistischen Partei Frankreichs? Und weiter gedacht: Was bedeutet dies für etwaige Bündnisse bei den anstehenden Wahlen zur Legislative? Jedenfalls zeigte Mélenchon Haltung, er rief noch in der Wahlnacht auf, nicht Le Pen zu wählen, und er verwies mit Stolz auf das Erreichte. „La lutte continue!“ Wie oft haben wir das gehört!
Ausgespielt hat zunächst die Kandidatin der Républicains. Valéry Pécresse ist direkt nach ihrer Aufstellung durch die Sondages auf sagenhafte 18% gepuscht worden – und endete bei legendären 4,8 Prozent. Ähnliches gilt für die Waffe des Milliardärs Bolloré, Eric Zemmour. Der Konkurrent Marine Le Pens landete hart bei 7 Prozent. Auch hier stellen sich Fragen, vor allem über das perfekte Zusammenspiel von Medien, deren Besitzern und den Umfrageinstituten. Aber auch dieses Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Wer will es beheben? Bestimmt nicht die beiden Nutznießer dieses Spiels, Macron und Le Pen.
Wieder gibt es drei politische Blöcke, die alle um die 30 Prozent der Stimmen erreichen.
Die „Linke“ hat sich endgültig zu einer Bewegungslinken entwickelt, in deren Zentrum die „France insoumise“ steht. Diese spricht von einem "Bloc populaire". Ob die Kommunisten sich ins Abseits manövriert haben, wird sich zeigen. Fabien Roussel kommt zumindest in Rechtfertigungsdruck. Warum wurde er zum „Kommunisten, den die Rechten lieben“ (Marianne)? Auch der Ecolo Jadot kommt in Erklärungsnot, doch sein zum Teil liberales Elektorat hat weniger Probleme mit einem „Macron-Président“. Und der Parti socialiste, die Partei von Mitterand und Hollande, erlebt er momentan seine (endgültige?) Vaporisierung? Anne Hidalgo, die Kandidatin, kam jedenfalls auf wahnsinnige 1,8 Prozent.
Extreme Rechte erreicht ein Drittel der Wähler
Das rechte Zentrum um den „Monarque présidentiel“ ist ebenfalls Parteien übergreifend. Die Wahl macht deutlich, dass es sich auf seine bourgeoise Klientel verlassen kann. Die Bewegung der République en marche sitzt konfortabel an den Hebeln der Macht. Sie ist teilidentisch mit Parteien wie dem Modem, den „Horizons“ des ehemaligen Ministerpräsidenten Philippe und – demnächst dem liberalen Caput mortuum der Républicains, die sich - analog zum PS – neu aufstellen, besser aufteilen wird, in Richtung Macron (Pécresse), aber auch in Richtung Zemmour.
Die extreme Rechte – man mag es kaum glauben – erreicht ein Drittel der Wähler. Wie Macron kann sich auch Le Pen auf ihre Klientel verlassen, die sowohl aus den „classes populaires“ als auch aus der – eher provinziellen – Bourgeoisie stammt. Im zweiten Wahlgang wird sie große Teile der Wähler Zemmours „syphonieren“. Wie der so schnell auf- und abgestiegene Star Zemmour sich verhalten wird, scheint noch offen. Er hat Optionen nach rechts und nach extrem rechts. Es würde aber auch nicht überraschen, wenn er bis zur nächsten Verwendung auf Eis gelegt wird. „Ben, voyons“, pflegt Z. zu sagen. Dass im großbürgerlichen 16. Arrondissement von Paris 17,5 Prozent für ihn gestimmt haben, dürfte ihn ermutigen. „Schauen wir 'mal“, was der zweite Wahlgang am 24. April bringt. Marion Maréchal (Le Pen) steht jedenfalls schon in den Startlöchern.
Unter den Verhältnissen, die „ja nun mal so sind“, kann nur einer gewinnen, der jetzige Elysée-Bewohner. Wieder einmal wird die Medienmaschine die Wahl zur antifaschistischen Entscheidung stilisieren, schließlich hat sie ihr Bestes gegeben, um dieses quotenreiche Duell zu produzieren. Wieder einmal gilt das „Faire barrage“, das Dämmebauen gegen die extreme Rechte. Fast alle Kandidaten haben schon ihren Pflichtaufruf gegen Le Pen abgeliefert, auch Mélenchon, der noch vor kurzem die Dämmebauer als „Castors“ (Biber) ironisiert hat. Schließlich will er die Chancen der France insoumise bei den Parlamentswahlen nicht vermasseln.
Die Franzosen müssen Macron fünf weitere Jahre ertragen
Im letzten Abschnitt das Schlimmste. Mit Macron wird der so notwendige „Regime-Change“ in Frankreich nicht stattfinden (er profitiert ja von der fast 65 Jahre alten De-Gaulle-Verfassung). Die Klimakatastrophe wird kosmetisch aufgehübscht, die Energieprobleme durch den Bau neuer AKWs "behoben" (die ja so schön CO2-frei sind), der öffentliche Dienst wird weiter privatisiert, die sozialen Errungenschaften werden peu à peu abgeschafft, Proteste wie gehabt brutal niedergeknüppelt, der Rassismus gegen Einwanderer wird sich weiter austoben dürfen, die Rüstung wird – wegen des unberechenbaren Putin – die Sozialausgaben noch stärker anfressen, das Renteneintrittsalter wird um drei Jahre heraufgesetzt. Ich höre hier auf..., allerdings nicht ohne auf eine weitere Zumutung hinzuweisen: die Franzosen müssen diesen Emmanuel Macron weitere fünf Jahre ertragen. Wir haben in Deutschland zwar auch diverse Politikdarsteller, aber im Vergleich zu Jupiter sind dies Waisenknaben – und -mädel.
Würde Le Pen es übrigens wieder Erwarten schaffen, käme es für die "Classes populaires" noch dicker. In seiner letzten großen Wahlkampfrede in Toulouse hat es Mélenchon so formuliert:
„Macron ist das Wirtschaftsprogramm von Le Pen plus Klassendünkel. Le Pen ist das Wirtschaftsprogramm von Macron plus Rassenhass.“
Und gleichzeitig haben wir in Europa eine Epidemie, eine Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation, einen entsetzlichen Krieg und eine klimatische Bedrohung, die kaum noch abzuwenden ist (und gegen die wir nicht hochrüsten). Die französische Präsidentenwahl trägt macht die Lage nicht besser, noch nicht einmal schöner.
Kommentare 27
ein dauerhaftes spiel in der präsidenten-herrschaft der 5.republik:
the winner takes it all !
wer dem etwas stärkeren an den karren fahren will,
braucht herkulische kräfte oder eine koalition, die nur eines will:
den könig zu stürzen, egal was daraus folgen möge...
kann man das als "installierten bonapartismus" bezeichnen,
herr walkie ?
"Installierter Bonapartismus" trifft sicher viel, aber nicht alles. Natürlich tritt da jemand als Napoléon IV auf, und hinter den Kulissen wird ein enormer Aufwand getrieben, um dies glaubhaft zu gestalten (passt halt, wie wir auch woanders sehen, in unsere Zeit und Gesellschaft), aber er ist eher eine "synthetische Person" ("sozialer"Typ" passt auch, wenn man darunter die personifizierte Fähigkeit versteht, fast glaubhaft (das "Fast" macht es dann noch glaubhafter, "menschlicher) in verschiedene "Heroen"-Rollen zu schlüpfen (Louis in Versailles, Bonaparte, Pétain im 1. WK, De Gaulle, aber auch abstrakter: der Epidemiologe, der Covid-Bezwinger, der Bomberpilot, der Stabschef, der "nette Student von nebenan", der Charmeur, der Überzeuger, der mit dem Tremolo etc. etc.). Der FREITAG hat ja kürzlich eine Seite zu "Le kitsch" produziert. Mich hat gewundert, dass "Le Macron" fehlte.
Man könnte auch sagen: ein beliebig füllbareres Nichts mit Intelligenz und schauspielerischer Begabung. ein "Bel Ami". Leider mögen sehr viele genau dieses. Und die engeren und weiteren Entourages wissen dies. Norbert Elias ist wieder angesagt.
Keine Hoffnung, nirgends? Danke für die illusionslose Analyse. Die bretonischen Freunde zögern: Macron oder Enthaltung? Sie hoffen, dass irgendwann das Verhältniswahlrecht kommt.
Sehr gut, danke.
Natürlich. Die 5. Republik ist hoffnungslos überholt. Aber sie hat ihre politischen und ökonomischen Profiteure. Die Macronie lebt in ihr wie der Fisch im Wasser, eine Art umgekehrter Maoismus;es ist halt eine "Révolution en Marche" (libérale).
Wer immer noch ein wenig Liberté und Egalité, vielleicht sogar Fraternité im Kopf hat, ist weider einmal ratlos. Irgendwie bekommt man auch Verständnis für die Wähler in den USA (Trump oder Biden?).
Ich habe mir noch einmal die Daten der Wahl von 2002 angeschaut. Damals begann ja das Dilemma.
Letzte Prognosen vor der Wahl:
Chirac 19%, Jospin (PS) 18%, Le Pen (14%).
Der Zutritt Jospins zum 2. Wahlgang schien relativ sicher. Auch dass andere linke Kandidaten Prognosen zwischen 2 und 5% hatten, schien kein Problem für den Sozialisten. Das Resultat schockierte:
Chirac 19,88%, Jospin 16,18, Le Pen 16,86% (=knapp 200.000 Stimmen mehr als Jospin). Bei der Stichwahl siegte dann Chirac haushoch mit über 82%. Nicht wenige trugen beim Einwurf des Wahlzettels einen Handschuh oder hielten sich die Nase zu. Die gleiche Situation 2017. Diesmal bekam Macron 66,10% und Le Pen 33,90%. Same procedure 2022. Aber nach 5 Jahren Macron wird das Ergebnis ein anderes sein, zumindest nicht so deutlich. Für die "Classes populaires" und - dank Zemmour - auch für Teile des Bürgertums hat Le Pen endgültig an Schrecken verloren. Vielleicht zweifeln sie noch an ihrer präsidialen Kompetenz.
Frankreich (und Europa) wird 2027 10 Jahre Macron hinter sich haben. Und dann? Dann erscheint die Retterin: Marion Maréchal, die charismatische Nichte Marines.
Frankreich ist ein Spiegel (West-)Europas, mit der Spezifität, daß es die Linke noch gibt. Ansonsten produzieren die Verhältnisse überall das gleiche Bild. Im Niedergang rückt der Kapitalismus zusammen, in seine neoliberal-pseudouniversalistische oder seine autoritär-nationalistische Spielart, Kritik wird marginalisiert.
Im Prinzip hat Mélenchon recht, daß er dazu aufruft, nicht Le Pen zu wählen, allerdings wäre es vielleicht vernünftiger, auch darauf zu verzichten, weil, wie hier richtig aber mit gefühlsmäßigem Zweifel gesagt, die Sache ziemlich eindeutig auf Macron hinausläuft, von einem Patt in der politisch zweigeteilten Landschaft sind wir in Frankreich noch ziemlich weit entfernt. Hier dürfte man ein Zeichen setzen, daß man die Wahl zwischen Pest und Cholera verweigert. Allerdings ist ein solches starkes Zeichen ohnehin unerreichbar.
Die Herrschenden wissen, dass keiner sich dem Wahldilemma entziehen kann. Viele reden sich ein, durch "heroische" Posen demokratische Haltung zu zeigen: sich der Wahl verweigern, einen weißen Wahlzettel abgeben, Handschuh anziehen... Es hilft nichts. Einzig die Wahlverweigerung (Abstention) könnte eine geringe Wirkung haben, wenn sie massiv ausfällt (mehr als 50% z.B.) und damit die Legitimation des neuen Präsidenten anknabbert. Aber das würde einen Macron nicht anfechten, der seine "Mission" exekutiert und seine "Projekte erbauen" will, um in seiner Sprache zu bleiben.
Wirksam wäre nur eine Oppositionsmehrheit in der NV, aber auch nur "innerhalb der Grenzen der De-Gaulle-Verfassung".
Das erinnert (natürlich im anderen Kontext) fast an das Syntagma der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" zur Zeit der Berufsverbote in der BRD. Mit all diesen fürchterlichen Anpassungsleistungen, die dies zeitigte.
Ein nüchterner und ehrlicher Beitrag, aber kein sehr schöner. In der Kategorie "Schönreden" gibt es Null Punkte. Das können die die meisten Journalisten von ARD, ZDF, Sat1, RTL, Pro Sieben usw. besser.
Vielleicht ist die viel gepriesene "Demokratie" mit ihren Wahlen doch nur eine Veranstaltung für schönes Wetter? Demokratie und Kapitalismus sind schließlich Antagonisten und vertragen sich eben auf Dauer nicht gut.
Wenn es im Kapitalismus blitzt, donnert und hagelt, schaut offenkundig fast jeder bürgerliche Untertan nur darauf, wie er seine eigene Haut in Sicherheit bringen kann.
Solidarität, Mitmenschlichkeit und die Freiheit der anderen bleiben dann auf der Strecke und schuld daran sind selbstverständlich immer "die anderen": die Südländer, die Ausländer, die Arbeitslosen, die Migranten, die Juden, die Muslime, die Jungen, die Alten, die da oben, die da unten, die Pseudo-Linken, die Rechten oder die freien Radikalen in der bürgerlichen "Mitte der Gesellschaft". (Ich bitte um Entschuldigung, falls ich eine Gruppe vergessen haben sollte.)
Warum so deprimiert? Ich kann es mir erklären, ja. Aber was wäre, wenn die Linke ein wenig einiger gewesen wäre und es Mélenchon in die Stichwahl geschafft hätte. So viel hat gar nicht gefehlt. Würden wir dann besser gelaunt auf die Wahl und die Verfassung der V. Republik schauen?
Es stimmt, Macron und seine junge neoliberale Garde werden in "unseren" Medien (sogar buchstäblich) "schön" geredet. Und seine Gegner diabolisiert. Le Pen ist eine Rassistin (aber auch Jupiter hat schon mehrmals die rote Lionie überschritten), ihr ökonomisches Programm unterscheidet sich kaum von dem Macrons, von einigen typischen sozialdemagogischen Aussagen abgesehen (bei Entlassungen zuerst die "illegalen" Einwanderer, Stärkung des Mittelstandes, wie man bei uns sagt, also der gar nicht immer kleinen Unternehmer, der Herr-im-Hause-Standpunkt etc.), also das übliche Besteck der rechten Nationalisten. Den echten fiesen Rassismus hat sie im Wahlkampf Zemmour überlassen (der jetzt aufruft, Le Pen zu wählen, seine Anhänger kehren zu Le Pen zurück, was die Sache nicht gerade appetlich macht).
Wäre Macron ein freundlicher, ehrlicher bürgerlicher Demokrat, der seine Präsidentenprivilegien nicht schamlos ausnutzt, ja sich für diese schämt, gäbe es nicht dieses Wahldilemma. Aber seine Bilanz ist verheerend (Sozialabbau, hohe Arbeitslosigkeit, unsagbar schlechtes Pandemiemanagement, Klassenverachtung, brutale Repression der Gelbwesten, kein Wort des Bedauerns, Stigmatisierung der Bewohner der "Viertel", der Muslime, Vetternwirtschaft, Abbau des öffentlichen Dienstes, dafür aber Bevorzugung von befreundeten Consulting-Gesellschaften, die dafür keine Steuern bezahlen - und alles vermittelt mit unerträglicher Kommunikation). Und die Aussicht, dieses weitere 5 Jahre ertragen zu müssen, schaurig.
Hätte Mélenchon diese lächerlichen 1,4% Stimmen mehr bekommen, gäbe es diese Situation nicht. Die Wähler hätten eine echte Alternative.
Um auf die Schönredner der bürgerlichen Medien in der BRD zurückzukommen. Sie schreiben und berichten, was von ihnen erwartet wird. Mélenchon, so "mein WDR5" (Werbeslogan) ist ein "Mann der extremen Linken", manchmal auch die "linksextreme Entsprechung zu Marine Le Pen". Und das Programm dieses Politwüstlings? Was? Ein Programm?
"Norbert Elias ist wieder angesagt."
Wie meinen Sie das denn? Mich interessiert das, da ich alle Bücher von ihm gelesen habe und er meine Vorstellungen über gesellschaftliche Prozesse mehr geprägt hat, als jeder andere Denker.
Bei Macron und seinen Entourages denke ich vor allem an die "Höfische Gesellschaft". Elias ist immer noch - oder wieder - ein ganz Großer. So wie Weber (trotz mancher politischen Urteile) und Bourdieu.
Sorry, liebe LeserInnen. Jetzt habe ich doch tatsächlich die "gute Nachricht" vergessen. Nach langen Jahrzehnten ist es dem Kandidaten der kommunistischen Partei endlich gelungen, die Kandidatin der sozialistischen Partei zu überflügeln. Mit legendären 2,3% für Roussel gegenüber 1,8% für Hidalgo.
Das erinnert mich an die Feste, die wir 1974 feierte mit Arlette Laguiller und der Lutte Ouvriere.
Oh ja! Da gab es - wenigstens in Okkzitanien - die Wahlparole "Prenez le rouge à 13 pourcents!"
Zitat: Mélenchon, so "mein WDR5" (Werbeslogan) ist ein "Mann der extremen Linken", manchmal auch die "linksextreme Entsprechung zu Marine Le Pen".
Dabei wurde der "WDR" selbst einmal als "Rotfunk" bezeichnet, aber das muss schon 1.000 Jahre her sein oder noch länger. Mon dieu, wie die Franzosen sagen, ich glaube, ich werde langsam tatsächlich alt.
Das hab ich vermutet.
Bourdieu, dessen ins Deutsche übersetzte Schriften ich ebenfalls sehr gut kenne und schätze, hat mich übrigens zu Norbert Elias geführt (wie auch zu Marcel Proust!).
vielen dank für den artikel! bester überblick zur lage, den ich bisher gefunden habe.
15. April. Nachtrag.
Die Institute, die sich vor der ersten Tour z.T. blamiert haben (aber was kümmert sie die Blamage von gestern?), "kennen" schon das Ergebnis der 2. Tour. Ifop (Macron-nah) hat immerhin 3006 Internetantworten bekommen. Danach würden am 24. April 53% der Wähler für Macron und entsprechend 47% für Le Pen stimmen. Es würde also tatsächlich an 3 Prozentpunkten hängen. Widerspiegelung der Realität oder Anheizen des antifschistischen Gewissens linken Wähler? Auf jeden Fall wirkt die Macronie noch hektischer als gewöhnlich.
»Also sprach der Souverän: Und sehet: Ich will, dass ihr im 2. Wahlgang dasselbe Spiel wie 2017 spielt. Auf dass der junge Stolz der Nation zum zweiten Male die Geschicke des Landes führe, im ewigen Kampf gegen die vergebliche Macht der Finsternis.«
Das hat vermutlich sehr viel mehr mit demokratischer Wirklichkeit zu tun, als viele wahrhaben wollen.
Frankreich ist ein Problem und hat ein Problem, wie die bevorstehende Stichwahl - erneut unter Teilnahme einer Natinalistin! - bezeugt. Dieses Problem liegt tief in den "Genen" des von mir sehr geliebten Nachbarlandes. Frankreich ist ein infantiles Land in dem alle nur immer mehr Taschengeld von "Papa Staat" fordern. Letztlich sind sowohl die starke Linke, als auch die starke Rechte, Ausdruck eines tief wurzelnden, selbstgefälligen Egoismus der Franzosen. Aufbrausend, eitel und selbstgefällig ist nicht nur Gallo, der Hahn, sondern auch das ganze Volk. Es ist logisch, dass der Präsident hier stets noch ein bisschen gockelhaftiger auftreten muss, um sich Respekt zu verschaffen.
Für uns Deutsche ist diese Gockelhaftigkeit befremdlich. Schlimmer aber ist der naive Nationalismus der Franzosen, ein Übel, dem wir vernünftigerweise weitgehend abgeschworen haben. Eines aber, das die Nation eint! Nur der damit verbundene Rassismus spaltet bisweilen. Ebenso einend ist die 250 Jahre alte folkloristische Tradition des aufbrausende Protestes (im Stile eines Schaumweingetränks), immer dann wenn die "Obrigkeit" sich ziert die "Schatzkammern" plündern zu lassen. Als sei es der "König", der Wohlstand unters Volk brächte und nicht die Unternehmen...
Leider liegt hier das konkrete Grundübel Frankreichs in der Gegenwart. Es geschah in bester Absicht unter der Aigide eines tadellosen Charakters in den 80er Jahren. Während alle anderen Länder den verfehmten witschaftsliberalen Theorien folgend, ihre Unternehmen auf Wettbewerbsfähigkeit und ihre Ökonomie auf Wachstum trimmten, pflegte Mitterand den Traum des wohltätigen Königs, der von den bösen Unternehmern nimmt und über das Sozialsystem Wohlstand über sein Volk ausschüttet. Eine wirre idee, die noch heute in den Köpfgen aller Franzosen, insbesondere auch der linken Parteigänger lebendig ist.
Leider verfehlen hohe Steuern jedoch das gewünschte Ziel. Die Unternehmen werden weniger handlungsfähig, es gibt weniger Investitionstätigkeit. Das Kapital wandert tendenziell aus Frankreich aus, nicht ein. Die (mittleren und hohen) Löhne sind vergleichsweise niedrig, die Preise dafür etwas höher und die Kaufkraft daher insgesamt niedriger als in vergleichbaren Ländern. Der hohe Mindestlohn bedingt auch eine etwas höhere Arbeitslosigkeit. Hohe Renten und ein frühes Renteneintrittsalter lähmen die Staatskassen. So befindet sich Frankreich seit Jahrzehnten auf einer allmählichen, wirtschaftlichen Talfahrt.
Die stagnierende wirtschaftliche Entwicklung ist Frankreichs Kenrproblem, das niemand lösen wird!
Auch in Tausend schlaflosen "Nuits debout" wird das zentrale Dogma der französischen Konstitution niemals hinterfragt: der Staat hat für Wohlstand zu sorgen, indem es von den Reichen nimmt und den Armen gibt! Ausgerechnet der Versuch, dieser unvernünftigen Idee immer wieder nahe zu kommen (zuletzt unter Hollande) und die vehementen Proteste gegen jede wirtschaftspolitische Maßnahme, die ihr widersprechen könnte (zuletzt unter Macron) wird heftigst bekämpft und niedergeschlagen (zuletzt von Leuten jeglicher, politischer Couleur in gelben Warnwesten). Sie zementieren den eigenen ökonomischen Niedergang.
Nach dem Brand von Notre Dame de Paris kamen schnell rund eine Milliarde Euro an Spenden von den reichsten französischen (Familien-)Unternehmen zusammen. Eine beachtliche Geldleistung, aber eine, die auch diese Firmen gewiss nur ausnahmsweise und keineswegs alljährlich erbringen können. Würde man dieses Geld gleichmäßig auf 50 Millionen Franzosen verteilen, so bekäme jeder einmalig 20 Euro. In ähnlichen Dimensionen dürften die - zusätzlichen - Potentiale von Umverteilung nicht nur in Frankreich liegen.
Der Franzose - ja, ich verallgemeinere unzulässig, aber die Typisierung ist mehr als nur ein Klischee - schnappt schnellt ein, ist jähzornig, aufbrausend, trotzig und stur. Alles Eigenschaften die einer pragmatischen Vernunft widersprechen. Die dogmatischen Überzeugungen von Mélenchon sind ebenso altbacken, wie die eines Dietmar Batsch oder der Gilets jaunes. Es sind vorgefasste Ansichten, die sich immer weiter von der Wahrheit, vor allem aber auch von der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit entkoppelt haben. In einer globalen Welt ist der Blick immer-nur-auf-sich-selbst, statt auf globale Wettbewerbsfähigkeit, nicht nur ein ökonomischer Standortnachteil, sondern ein genereller Irrtum. Den ausländerfeindlichen Nationalisten ist er ebenso zu eigen, wie den weltfremden Sozialisten. Nur Champagner, Trüffel und Gucci hemmen bislang einen tieferen wirtschaftlichen Sturz Frankreichs.
Macron verkörpert den Typus des modernen Linken. Eines Fortschrittpolitikers, der komplex und pragmatisch denken kann, statt einfach nur ideologisch und dogmatisch. Jemand, der ein moralisches Gewissen mit sozialer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft zusammenbringt - sozialliberalmoralisch sozusagen. Einer, der sich was traut (auch gegen den Zorn der infantilen Bevölkerung) und der Tatkraft besitz (insbesondere auch auf europäischer Ebene). Er ist nicht fehlerfrei, aber eigentlich der richtige Mann für eine Wende zum Besseren in Frankreich. Die Gilets jaunes jedoch haben seine erfolgversprechende Politik gnadenlos niedergeknüppelt. So taumelt Frankreich wohl weiter der kommenden Katastrophe entgegen, wird ihr am nächsten Sonntag jedoch erstmal wieder entgehen. Es gibt leichte Aufwärtssignale in der französischen Wirtschaft, dort wo Macrons Reformen greifen. Vielleicht doch Frankreichs (einzige) Hoffnung!? Eine revolutionäre Wende - wenn auch im Negativen - würde durch den endgültigen Absturz in eine staatszerstörende Wirtschaftskrise erfolgen, etwa wenn Frankreich von Nationalisten oder Kommunisten regiert würde. Reformen sind besser als Revolutionen!
Zitat: "Schlimmer aber ist der naive Nationalismus der Franzosen, ein Übel, dem wir vernünftigerweise weitgehend abgeschworen haben. Eines aber, das die Nation eint! Nur der damit verbundene Rassismus spaltet bisweilen."
Das ist hier im Lande der Teutonen aber nicht anders, nur weil der Nationalismus und der offene Rassismus des Dritten Reiches aka "Vogelschiss in der Geschichte" (O-Ton Alexander Gauland, AfD) schon ein paar Jahrzehnte her sind. Für viele deutsche Bürger und Bellizisten ist der Zweite Weltkrieg inklusive Trümmerhaufen und Hollocaust ganz offenkundig schon viel zu lange her.
In Deutschland nennt man den "modernen" Nationalismus seit Jahren "Standortsicherung" oder Politik für den "Standort Deutschland". Es bedeutet nichts anderes als dass die deutsche Volkswirtschaft durch die niedrigen Löhne in vielen Bereichen des eigenen Landes Exportgüter günstiger produzieren kann als andere Volkswirtschaften.
Es liegt eben nicht nur an der guten "Qualität" der exportieren deutschen Produkte ("Made in Germany"), die Deutschland in der jüngeren Vergangenheit schon mehrfach zum sogenannten Exportweltmeister gemacht hat, auch wenn dies manche neoliberale Ökonomen immer noch behaupten (Stichworte: Lohndumping, Lohnzurückhaltung).
Das ökonomische und soziale Dilemma dabei ist eben, dass die vielen Niedriglöhner im eigenen Land nicht von diesen Exportüberschüssen profitieren, sonst wären sie ja keine Niedriglöhner, deren Einkommen gerade so zum Leben reicht.
Hinzukommt der neue (oder alte?) deutsche Rassismus, wenn deutsche Niedriglöhner gegen die nichtdeutschen Niedriglöhner ausgespielt werden oder sich von der Elite und der radikalen bürgerlichen Mitte gegeneinander aufhetzen lassen.
"Sozial ist" eben nicht, "was Arbeit schafft", wie dies deutsche Nationalisten, deutsche Neoliberale und auch deutsche Konservative gerne formulieren. Man muss in einem reichen Land wie Deutschland, in dem sich allein das Geldvermögen inzwischen auf insgesamt rund 7,5 Billionen (=7.500 Milliarden = 7.500.000 Millionen) Euro beläuft (Stand Dezember 2021, auf 100 Milliarden Euro hin oder her kommt es dabei nicht an), von der Arbeit auch anständig leben können. Oder etwa nicht?
Was sagen die neoliberal-konservativen nationalistischen Wirtschaftsjournalisten bei der FAZ, SZ, Welt usw. dazu? Was sagen die Längsdenker bei Tageschau, heute-journal, RTL News usw. zum hausgemachten Rassismus und zum Standort Deutschland?
Zitat: "Die stagnierende wirtschaftliche Entwicklung ist Frankreichs Ke[rn](nr)problem, das niemand lösen wird!
Das Problem kann niemand lösen? Das behaupten nur Neoliberale und Konservative, die das Problem nicht lösen wollen, weil sie entweder den eigenen Hals nicht voll kriegen wie Jeff Bezos aka Mr. Amazon und Elon Musk aka Mr. Tesla oder zu den Stiefelleckern der Oligarchen und Plutokraten gehören.
Aber bleiben wir in Frankreich: Der reichste Franzose allein verfügt über ein Vermögen von derzeit etwa 158 Milliarden US-Dollar (Stand 2022), das sind umgerechnet etwa 290.000 Einfamilienhäuser zum Preis einer halben Million Euro.
Die 10 (in Worten: zehn) reichsten Franzosen von rund 67,5 Millionen Bürgern Frankreichs verfügen derzeit zusammen über ein Vermögen von rund 430 Milliarden US-Dollar. Das ist fast eine halbe Billion. (Auf 20 oder 30 Milliarden hin oder her kommt es dabei nicht an, wir wollen ja nicht kleinlich bzw. kleinkariert sein.)
Da stellt sich einerseits die Frage: Wie reich müssen diese französischen Oligarchen (im Deutschen nennt man die Oligarchen "Superreiche" oder "Leistungsträger") noch werden, damit kein Franzose mehr in Armut leben muss?
Die andere einfache Frage lautet: Warum sind diese französischen "Leistungsträger" so faul und schaffen in Frankreich keine Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl und zwar Arbeitsplätze, von denen alle Franzosen anständig leben können?
Die Antwort lautet in beiden Fragen ja nicht, dass man gleich Planwirtschaft und Sozialismus à la DDR machen muss.
Zitat: "Macron verkörpert den Typus des modernen Linken."
Macron ist kein "moderner Linker". Macron ist und bleibt ein Neoliberaler. Beides sind Gegensätze und nicht miteinander vereinbar.
Das Motto von Macron lautet: Den neoliberalen Kapitalismus in seinem Lauf halten weder Krieg noch Klimawandel auf, geschweige denn Ochs oder Esel.
In diesem Sinne: Genießen wir zusammen den sozialen und den Klimawandel in Frankreich und Deutschland und kaufen auch Sie sich wie Jeff Bezos aka Mr. Amazon eine 130 Meter lange schwimmende Luxusvilla mit Fußbodenheizung, Pool bzw. Schimmbad (ein kleiner Pool auf dem Sonnendeck und ein großes beheiztes Schwimmbad unter Deck), Spa-Bereich inklusive Whirlpool und Panorama-Sauna, Billardzimmer, Kinosaal, Cocktailbar, Weinkühlschrank, 12 Gästezimmer, Hubschrauberlandeplatz, 10.1 Dolby-Surround-Anlage inklusive zwei 1.200 Watt Subwoofer, sechs Waschmaschinen, vier Wäschetrocknern und allem Drum und Dran, was der normale Bürger des Wertewestens eben so zum Leben braucht.
Die Lieferzeiten sind nämlich skandalös und wer will schon eine gebrauchte Jolle kaufen? Ein Neubau dauert aber ein paar Monate, manchmal sogar einige Jahre bis die Schaluppe aus den vielen Einzelteilen zusammengebaut ist. Das geht nicht so einfach von heute auf morgen.
Und was sagen deutsche Neoliberale, Konservative, Pseudo-Sozialdemokraten, Grünlinge und Pseudo-Linke zu diesen skandalös langen Bau- bzw. Lieferzeiten für Luxusjachten?
Die Linke bleibt mal wieder zu dämlich, sich auf den Erfolg zu fokussieren. Zig Kandidaten, bei denen es absehbar war, dass sie keine Chance haben, haben durchgezogen, anstelle dafür zu sorgen, dass der einzige chancenreiche Kandidat durchkommt.
Dabei waren die Chancen gut, da der rechre Block 2 Kandidaten hatte. Aber vielleicht sind sie lernfähig, irgendwann...
25. April. Kurzer Nachtrag.
Die Würfel sind gefallen. Sie zeigen die erwarteten Zahlen. Ich glaube, der Titel meines Beitrages trifft die Situation.
In den Diskussionen, wie man aus dieser verdammten Wahlfalle herauskäme, erinnerten sich einige des Satzes von Hannah Arendt:
"Politisch gesehen, liegt die Schwäche des Arguments des geringeren Übels darin, dass diejenigen, die das geringere Übel wählen, vergessen, dass sie das Übel gewählt haben."
Ich fürchte, das wird sich auch diesmal wieder zeigen.
25..4. Doch noch eine "kleine". Information:
Es geht wirklich so weiter. Der Wirtschaftsminister Le Maire kündigte schon heute morgen an, die Rentenreform (die Macron, den europäischen Kommissaren und den Versicherungskonzernen bekanntlich am selbstlosen Herzen liegt) notfalls auch gegen den Willen des Parlaments durchzuboxen, mit dem bewährten Artikel 49.3. Gouvernance as usual.