"Firma muss gemacht werden"

Brest-Litowsk Im Ukraine-Krim-Konflikt wird mit historischen Bezügen gekämpft. Der Frieden von Brest-Litowsk findet dabei kaum Beachtung, obwohl er ziemlich aufschlussreich ist

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Dass Geschichte nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch die Magd der Politik ist, zeigt der Konflikt um die Krim. Da finden sich mehr oder weniger kurzschlüssige Analogien zur Situation von 1914 ("Putins Griff nach der Krim"). Da mutiert der russische Präsident zum Stalin der Gegenwart oder - etwas feiner - zu Peter dem Großen. Hat nicht der erste Millionen von Ukrainern auf seinem Gewissen? Und dienten die nautischen Studien des großen Peter im Westen nicht der Vorbereitung der Eroberung der Krim?

Auf der anderen Seite der Diskursbarrikade wird auf die Erfahrungen aus dem zweiten Weltkrieg, den ukrainischen Faschismus, die Kollaboration, den Holocaust verwiesen. Ein Nebeneffekt ist übrigens, dass der Begriff Faschismus auch als politischer Kampfbegriff wieder relevant wird. Um im Bild der Barrikade zu bleiben: jeder greift nur nach den diskursiven Pflastersteinen, die er angehäuft findet - wer auch immer sie dahin gelegt hat.

Interessanterweise findet in den gegenwärtigen Diskursen kaum ein Erinnern an den Diktatfrieden von Brest-Litowsk statt. Dabei ist dieser ein Gründungsereignis des "europäischen Bürgerkriegs" (Etzoni) und ein Lehrstück für die Kollusion von Politik, Militär, Ökonomie und Ideologie. Geradezu exemplarisch zeigt er die Instrumentalisierung der "Selbstbestimmung der Völker".

Den Krieg beenden

Die Sowjetmacht wird sofort allen Völkern einen demokratischen Frieden und den sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten vorschlagen.

So lautete der bekannte der Kernsatz des Aufrufs des 2. Sowjetkongresses vom 8. November 1917. Weiterhin:

Der Sowjetkongress ist überzeugt, dass es die revolutionäre Armee verstehen wird, die Revolution gegen jegliche Anschläge des Imperialismus zu verteidigen, bis die neue Regierung den Abschluss eiens demokratischen Friedens erzielt hat.

Der Aufruf zeigt indirekt die Bredouille der Bolschewiki. Es galt, mit den äußeren Feinden, vor allem mit dem deutschen Kaiserreich, Frieden zu schließen und die inneren Feinde zu besiegen, ohne den revolutionären Elan zu bremsen. Und dies alles gleichzeitig.

Alliierte und Mittelmächte reagierten zunächst mit eisigem Schweigen. Die deutschen Befehlshaber kannten natürlich den desolaten Zustand der russischen Armee. Allein bei der Landung auf den baltischen Inseln waren 20000 russische Gefangene "gemacht" worden, wie man so sagt.

Mein Herz ist nur noch Asche. Ich will nicht mehr kämpfen. Den Tod fürchte ich nicht mehr. ich bin nur noch müde.

So wie Fedorcenko dachten alle russischen Soldaten. Von den 15,7 Millionen Männern, die der Zar an die Front geschickt hatte, waren 1,8 Millionen gestorben.

Die Mittelmächte ließen sich die Zeit, die an der Ostfront für sie spielte. Erst am 29. November 1917, einen Tag nach dem Leninschen Funkspruch "An Alle", geruhten sie zu reagieren. Am 15. Dezember wurde in Brest-Litwosk tatsächlich der Waffenstillstand geschlossen - zunächst für 4 Wochen. Eine Woche später begannen die Friedensverhandlungen.

Macht

Am 22. Dezember wurde die russische Delegation unter Führung des Generals Adolf Joffe am Brester Bahnhof empfangen. Eine Aufnahme dieses Ereignisses zeigt den seltsamen Kontrast zwischen den zivil gekleideten bärtigen Revolutionären und den wie immer stocksteifen, pickelbehaubten deutschen Offizieren.

Die Verhandlungen fanden in einem ehemaligen Offizierskasino der Festung Brest-Litwosk statt. An einem riesigen grün betuchten Tisch saßen sich gegenüber: der deutsche Verhandlungsführer, Staatssekretär von Kühlmann, der österreichische Beauftrage Ottokar Czernin und der Vertreter des osmanischen Reiches auf der einen, General Joffe, Lev Kamenev und der Historiker Pokrovskij auf der anderen Seite.

Die Verhandlungsziele der Bolschewiki waren klar formuliert. Joffe überreichte sie in Form eines 6-Punkte-Programms. Es stellte eine Art "Modellfriedensschluss" (Schulz) für andere Weltkriegsfronten dar: keine Annexionen und Kontributionen, Truppenzurückführung, "das Recht aller in Russland lebenden Völker ohne Ausnahme auf Selbstbestimmung", Volksentscheide über die politische Zukunft bei Sicherung der Minderheitenrechte. Verzicht auf Reparationsleistungen.

Den Deutschen als hegemonialer Verhandlungsmacht der Mittelmächte war militärisch daran gelegen, die Westfront so schnell wie möglich zu verstärken. Gleichzeitig bot sich die "Chance", die seit Jahren formulierten Kriegsziele der "Europastrategien des deutschen Kapitals" (Opitz) durchzusetzen. Schon im September 1914 hatte August Thyssen die Abtrennung des Dongebiets, die Krim, das asowische Gebiet und den Westkaukasus gefordert. Am 13. Dezember 1917, 9 Tage vor Beginn der Friedensverhandlungen, hatten die deutschen Eisen- und Stahlindustriellen in einem an Hindenburg adressierten Memorandum konkrete Ziele formuliert:

Was die russischen Manganerze angeht, so legt unsere Eisenindustrie den alltergrößten Wert darauf, dass uns die Fundgruben im Kaukasus und in Südrussland wieder geöffnet werden.

Militärisch waren die Mittelmächte überdeutlich in der Position des Stärkeren. Im Grunde, so die Meinung des deutschen Delegationsleiters, hätten die Russen nur die "Wahl, mit welcher Sauce sie verschlungen werden wollen". Seine Taktik:

Was wir an territorialen Zugeständnissen brauchen, holen wir uns durch das Selbstbestimmungsrecht.

Dennoch gingen die diplomatischen Vertreter der Mittelmächte, vor allem der österreichische Graf Czernin, zu Beginn recht moderat vor, sehr zum Missfallen der Obersten Heeresleitung. Generalmajor Hoffmann sprach schließlich Klartext:

Mittags beim Frühstück sagte ich dem neben mir sitzenden Joffe, dass ich den Eindruck habe, dass die russische Delegation den Begriff eines Friedens ohne gewaltsame Annexionen anders auffasste als die Vertreter der Mittelmächte. Letztere ständen auf dem Standpunkt, dass es keine gewaltsamen Annexionen seien, wenn sich Teile des ehemaligen russischen Reiches ... für eine Loslösung aus dem russischen Staatsverband und für den Anschluss an das Deutsche Reich oder einen anderen Staat aussprachen... Dieser Fall treffe zu für Polen, Litauen, Kurland...

Joffe war wie vor den Kopf geschlagen.

Wie verabredet, wurden die Verhandlungen am 28. Dezember 1917 unterbrochen. Zwischenzeitlich wurden Differenzen zwischen Czernin und den deutschen Verhandlern hinweggewischt. In Ludendorfs Sicht konnte Deutschland auch ohne Österreich agieren, war Bulgarien unwichtig und die Türkei stellte sowieso eine Last dar.

Ohnmacht

Im neuen Jahr präsentierte die russische Delegation eine neue Leitung. Von Kühlmann saß nun dem Außenkommissar Trotzki gegenüber. Größere Kontraste waren kaum vorstellbar, nicht nur ideologisch, sondern auch im Habitus. Trotzki berichtet von der ersten Begegnung:

Im Vestibül, gegenüber der Garderobe, stieß ich auf Kühlmann, den ich nicht kannte. Er stellte sich vor und fügte sogleich hinzu, er sei sehr glücklich, mich zu sehen, denn man könne besser mit dem Herrn des Hauses, als mit einem Boten verhandeln. Seine Miene zeigte, wie zufrieden er mit diesem "subtilen", auf die Psychologie eines Parvenus berechneten Kunstgriff war. Ich selbst hatte das Gefühl, in Unrat getreten zu sein...

Die Verhandlungsführer der Mittelmächte waren irritiert. Der deutsche Verhandlungsleiter berichtet:

Es war wie Tag und Nacht. Die russischen Herren hielten sich in ihren Häusern hermetisch abgeschlossen, erschienen niemals in unserem Kreise, es sei denn zu den offiziellen Verhandlungen mit Stenographen... Auch die Verhandlungsart war eine andere geworden. Unsere Gegner gingen viel mehr darauf aus, taktische Vorteile zu erringen, Punkte zu gewinnen, die sich agitatorisch zur Verbreitung in das Ausland eigneten.

Von Trotzkis Intelligenz und Geistesgegenwart waren sie sichtlich beeindruckt. Andererseits wurde ihre Gegnerschaft durch ihren gewöhnlichen Antisemitismus verstärkt:

Trotzki hat die ganze Frechheit, die seiner Rasse entspricht,

notiert Ottokar Czernin in sein Tagebuch. Mit Kühlmann und Hoffmann hatte er sich taktisch abgesprochen: ultimative Verhandlungsführung, und zwar in Brest-Litwosk, und nicht an einem von den Bolschewiki zwischenzeitlich geforderten neutralen Ort wie Stockholm.

Die Verhandlungen gelangten schnell an einen toten Punkt. Der Ton wurde gereizter. Die Deutschen setzten weiterhin auf die Trumpfkarte des Selbstbestimmungrechts der Völker in den von ihnen zur Abtrennung von Russland vorgesehenen Gebieten. Trotzki versuchte, mit revolutionärer Rhetorik Zeit zu gewinnen.

Am 18. Januar 1918 kam es zum bewusst eingesetzten "Faustschlag" des Generalmajors Hoffmann: als Besiegte und Verfolger Andersdenkender hätten die russischen Gegner kein Recht, sich als Vorkämpfer des Sebstbestimmungsrechts zu gebärden. Die Verhandlungen wurden unterbrochen. Am 20. Januar erklärte Trotzki, die für ihn unannehmbaren Forderungen der Deutschen in Petersburg vorlegen zu wollen.

In der folgenden Periode gab es innerhalb des Zentralkomitees der Bolschewistischen Partei heftige Dispute. Lenin argumentierte für die Annahme des Friedenschlusses. Über kurz oder lang würde sich sowieso die proletarische Revolution in Europa durchsetzen. Trotzki war in dieser Frage skeptischer: die Folgen eines von den Deutschen diktierten Friedens könnten zum Zusammenbruch der Revolution führen.

Ende Januar 1918 begann schließlich die dritte Phase der Verhandlungen. Trotzki wusste, dass die Vertreter der Mittelmächte innenpolitische Probleme hatten. Die Nahrungslage war äußerst prekär. In Wien und vor allem in Berlin waren Hunderttausende von Rüstungsarbeitern in den Streik getreten. Unter Forderungen des Berliner Arbeiterrates war die erste die nach Frieden, und zwar

auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker, entsprechend den Ausführungsbestimmungen, die dafür von dem russischen Volksbeauftragten in Brest-Litowsk formuliert wurden.

Die Hoffnung der Bolschewisten, in Deutschland begänne die proletarische Revolution, zerschlug sich, besser: wurde zerschlagen: Die deutschen Großbetriebe wurden unter militärisches Kommando gestellt. Den Arbeitern im wehrpflichtigen Alter wurde die Einberufung angekündigt. Am 3. Februar wurde der Streik abgebrochen - auch unter dem Einfluss der Sozialdemokraten. Die Bedeutung der Streikunterdrückung zeigt die Einschätzung Philipp Scheidemanns:

Wenn wir nicht in das Streikkomitee hineingegangen wären, dann wäre wohl der Krieg ... schon im Januar erledigt gewesen.

Angesichts dieser innenpolitischen Probleme setzten die Mittelmächte auf das bewährte Divide et impera. Schon am 5. Januar hatte Czernin festgestellt:

Die Ukrainer stechen stark von den russischen Delegierten ab. bedeutend weniger revolutionär, haben sie ungleich mehr Interesse für ihr Land... Ihre Tendenz: wir möchten ihre Selbständigkeit anerkennen.

Am 30. Januar notierte er:

Das einzig Interessante ist an der neuen Konstellation: das Verhältnis zwischen Petersburg und Kiew hat sich bedeutend verschlechtert.

Bei offenen Streitigkeiten zwischen den Ukrainern und den Petrogradern stellte er bei Trotzki

das peinliche Gefühl, von den eigenen Mitbürgern in Gegenwart der Feinde beschimpft zu werden,

fest. In einem informellen Gespräch sagte Trotzki am 7. Februar, Czernin zufolge:

Er sei nicht naiv, Macht ist das stärkste aller Argumente... Es handle sich nicht um das freie Selbstbestimmungsrecht der Völker, sondern um nackte brutale Annexion, und der Macht müsse er sich beugen.

Er könne niemals zugeben, dass wir einen Frieden mit der Ukraine schließen, denn die Ukraine ist nicht mehr in der Hand der Rada, sondern in der seiner Truppen. Sie bilde einen Teil Russlands.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1918 jedoch schlossen die Mittelmächte einen Sonderfrieden mit der provisorischen Regierung der Ukraine. Ein Zusatzvertrag regelte kurze Zeit später die wichtigen Getreidelieferungen an Deutschland und Österreich und im Ausgleich die militärische Unterstüzung der zwischenzeitlich von den Roten Garden vertriebenen Zentralrada. So glaubte man die Nahrungskrise lösen (und den Krieg weiterführen) zu können.

Trotzki reagierte prompt: am 10. Februar erklärte er das Ende des Kriegszustandes: "Wir ziehen uns aus dem Krieg zurück". Er erklärte auch die sofortige Demobilisierung der russischen Armee. Die sowjetische Delegation verließ Brest-Litowsk. Es war dies eine verzweifelte Aktion, die die Deutschen naturgemäß als Schwäche interpretieren mussten.

Fakten schaffen

Trotzdem wollte man vor den Augen der Öffentlichkeit nicht erneut als Aggressor darstehen. Dies wurde in einer denkwürdigen Kronratssitzung am 13. Februar in Bad Homburg diskutiert.

Staatssekretär Kühlmann berichtete über die Verhandlungen mit der Ukraine und die Situation des "Kein Krieg kein Frieden". Im Protokollstil:

Militärische Operationen erst sehr langsam. Guerillakrieg. Wenn Bolschewiki sehen, dass Barone Deutsche gerufen - kommt große Rache an Barone.

"Seine Majestät" ließ ihrem Hass freien Lauf:

Bolschewikis wollen Revolution, wollen großen Arbeiterbrei machen. Diese Bestrebungen schlagen über Grenzen. Geld von Entente... Bolschewiki wichtig für Entente, wir müssen also Bolschewiki so schnell wie möglich totschlagen...

Der Reichskanzler von Hertling wusste Rat:

Wir wollen Odium nicht auf uns nehmen, dass wir Politik ändern und jetzt annexionsmäßig vorgehen. Wir müssen Hilferuf haben, dann lässt sich darüber reden.

Das meinte auch Wilhelm:

Firma muss gemacht werden.

Hindenburg wurde konkret:

Hilferuf muss bis zum 18ten hier sein.

Die baltischen und ukrainischen Hilferufe kamen termingerecht. Am 18. Februar begann die deutsche Armee ihren Vormarsch, den sie aparterweise "Operation Faustschlag" nannte . Anfang März waren das Baltikum, die Ukraine, aber auch die Krim, das Dongebiet und der Nordkaukasus besetzt. Die Mitteilungen der OHL klangen überaus zufrieden:

Großes Hauptquartier, 2. März: Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, wurde durch Ukrainer und sächsische Truppen befreit.

Großes Hauptquartier, 3. März: Die dem Feinde abgenommene Beute ist auch nicht annähernd zahlenmäßig festzustellen. Soweit Meldungen vorliegen, sind in unserem Besitz: an Gefangenen: 6000 Offiziere und 57000 Mann; an Beute: 2400 Geschütze, über 5000 Maschinengewehre, viele tausend Fahrzeuge, darunter 500 Kraftwagen und 11 Panzerautos ...

Der Erste Generalquartiermeister

Ludendorff

An die Petrograder war am 21. Februar ein auf 48 Stunden befristetes Ultimatum mit verschärften Bedingungen gegangen. Im Zentralkomitee wurde erregt diskutiert. Schließlich stimmte eine knappe Mehrheit Lenin zu: für neue Verhandlungen und der damit verbundenen Kapitulation. Am 25. Februar traf die russische Delegation wieder in Brest-Litwosk ein.

Am 3. März 1918 wurde der Diktatfrieden unterschrieben:

Die Mittelmächte erklärten den Kriegszustand als beendet. Russland verzichtete auf Polen, Litauen und Kurland. Die Sowjetregierung verpflichtete sich, die Ukraine und Finnland als souveräne Staaten anzuerkennen. Estland und Livland waren von sowjetischen Truppen zu räumen. Insgesamt bedeutete dies einen Verlust von 26 Prozent des russischen Territoriums, darunter 73 Prozent der Eisenindustrie und 73 Prozent der Kohlengruben. Der nationalistische Historiker Otto Hoetzsch stellte im einflussreichen Werk "Die Große Zeit" (2. Band, 1920) genüsslich fest:

Fürs erste hat Russland aufgehört, militärisch und politisch eine Großmacht zu sein.

Ein äußerst resignierter Lenin urteilte auf dem 4. Allrussischen Kongress am 14. März 1918:

Sicherlich sind diese Niederlagen äußerst schmerzhaft. Für die ganze Welt ist sichtbar, dass wir eine Epoche des Rückgangs der Revolution erleben. Wir müssen... auf die Erhebung des internationalen Proletariats warten, das es unbestreitbar schwerer hat als wir, den bewundernswert organisierten Apparat der Autokratie der europäischen Länder zu stürzen.

Am 18. März fand im Reichstag die Debatte zum Diktatfrieden statt. Der Reichskanzler argumentierte:

Wenn eine Reihe von Randstaaten aus dem russischen Staatsverbande ausscheidet, so entspricht das dem eigenen von Russland anerkannten Willen dieser Länder.

Das Zentrum schloss sich "den Ausführungen des Herrn Reichskanzlers über den russischen Friedensvertrag vollinhaltlich an". Spannend und potentiell folgenreich war die Haltung der sozialdemokratischen Parteien. Der USPD-Politiker Ledebour hielt eine flammende Rede gegen den "Vergewaltigungsfrieden", der SPD-Redner David hatte "gemischte Gefühle" gegenüber dem Friedensvertrag und machte sich Sorgen über die Folgen. Dies sei kein Frieden, sondern ein "latenter Kriegszustand". Bei der Abstimmung jedoch enthielt sich die SPD-Fraktion - auf Eberts Geheiß. Nur die USPD stimmte dagegen.

Die Folgen

Russland schien zunächst zu zerfallen. Die Leninsche "Atempause" erwies sich als Illusion. In Finnland retteten deutsche Truppen die bürgerliche Regierung und ermöglichten den weißen Terror: 20000 "Rote" wurde getötet. Im Baltikum überlagerten sich politische, soziale und nationale Konflikte in entsetzlichen Kriegshandlungen aller Seiten.

Von Sibirien aus setzte eine von den Alliierten unterstützte konterrevolutionäre Offensive ein. Die Donkosaken erhoben sich unter General Krasnow, ebenso die Krimtataren. Im Juli 1918 brach der Aufstand der Sozialrevolutionäre aus (von Frankreich unterstützt). Die Ukraine wurde zum Schauplatz eines brutalen Bürgerkriegs, eine Vorwegnahme der "Bloodlands" (Snyder). Die Deutschen setzten im April 1918 ein ihnen genehmes Regime ein. Ein Kruppdirektor wurde Leiter der Wirtschaftszentrale in Kiew. Auch die Krim wurde aus wirtschaftlichen Gründen wieder besetzt. 1919 forderte ein antisemitisches Pogrom in der Ukraine zwischen 75000 und 150000 Opfer. Erst Ende 1919 wurde die Ukraine endgültig von den Bolschewisten zurückerobert. In der Terrordialektik entwickelten sich Methoden und Praktiken, die später auf die Zivilgesellschaften übertragen werden sollten - mit den bekannten Folgen.

In der höchsten Not wandte sich der Außenkommissar und Trotzkinachfolger Tschitscherin an die Reichsregierung. Sein Angebot: Brot gegen deutsche militärische Hilfe. Am 28. August 1918 unterzeichneten Deutschland und Russland zwei Zusatzverträge. Sie hätten aus Russland endgültig eine Kolonie gemacht - wenn sie in Kraft getreten wären. Immerhin verhinderten sie ein gemeinsames Vorgehen Deutschlands mit den gegenrevolutionären Kräften.

Der Waffenstillstand vom 11. November erklärte den Frieden von Brest-Litwosk für ungültig. Im Versailler Vertrag wurden die Bestimmungen noch einmal explizit aufgehoben, in jenem Vertrag also, der immer noch als Demütigung Deutschlands angesehen wird. Schließlich geht es um Deutsche.

1921 schon schrieb Stefan Zweig:

Ganz Deutschland arbeitet jetzt an einer Lüge, an eine rneuen Legende. Der Kaiser, Ludendorff werden jetzt plötzlich große Persönlichkeiten, der Krieg eine heilige Sache. Alles ist vergessen: die Jugend glüht vor Hass, fiebert nach Krieg. Der wildeste Wahn ist wieder wach.

Es scheint, dass wir tatsächlich dankbar sein müssen. Die kapitalistische Wirtschaft ist heute so verflochten, dass gerade die Unternehmer vor politischer Kraftmeierei in der Ukraine-Krim-Krise warnen. Zumindest dies ist anders als vor hundert Jahren.

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