Schon immer blond

Germania-Manie Warum identifizieren "wir" uns immer noch mit den Germanen? Christopher B. Krebs findet die Antwort in der Rezeptionsgeschichte der "Germania" des Tacitus.

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Umfrage unter Jugendlichen:

"Woran erkennt man einen typischen Germanen? Antwortet spontan, ohne nachzudenken."

Das natürlich erwartete Ergebnis: Ein Germane ist groß, blond und blauäugig. Einer sagte: "So wie ich!" Ein anderer: "Germanen saufen Bier. "Und ein Mädchen türkischer Herkunft befand: "Den Germanen erkenne ich an den Socken in häßlichen Sandalen."

Was hat der alte Tacitus nur angerichtet: ...truci et caeruli oculi, rutilae comae, magna corpora, sollen sie haben. Carl Woyte übersetzt für meine Reclamausgabe: ...Trotzige blaue Augen, rotblondes Haar und hoher Wuchs. Ja dann! Dann noch lange nicht! "Truci" heißt eher "grimmig" und "rutilae comae" wäre besser mit "leuchtend roten Haaren" zu übersetzen, und auch die "magna corpora" bedeuten mehr als nur "hohen Wuchs".

Doch weiter.Es handelt es sich bei diesen Aussagen um einen Wandertopos. Blauäugig und rothaarig sind zum Beispiel die Skythen für Herodot und die Singhalesen für Plinius senior. Überhaupt sollte man bei der "Germania" vom Vorrang des Stilistischen ... vor der Tatsächlichkeit ausgehen, wie der Altgermanist G. von See folgerichtig schreibt (1). Der Altphilologe Christopher B. Krebs spricht gar von einer "Lehrnstuhlethnografie" des Tacitus, der alles andere als eine "neutrale Quelle" über das Leben rechts des Rhenus geschrieben hat (2). Es ist halt so ein Ding mit dem um 98 n. Chr. verfassten Germanienbüchlein des Cornelius Tacitus, denn: so fragwürdig sein Wahrheitsgehalt ist, so enorm ist seine Wirkung.

Der in Harvard lehrende Christopher B. Krebs hat eine gelehrte Rezeptionsgeschichte der "Germania" geschrieben. Mit dem italienischen Altistoriker Arnaldo Momigliano, der selber vor Mussolini fliehen musste, nennt er das Büchlein a most dangerous book (3).

Dabei ist "uns" der Inhalt erst seit einem guten halben Jahrtausend bekannt. Krebs stellt detektivisch die Jagd vor allem italienischer Humanisten nach den Kopien unbekannter Tacitustexte von Klosterbibliotheken, dar. Man sieht die "umanista" plötzlich mit ganz anderen Augen - irgendwie als Befreier "gefangener Bücher". Aus dem Kloster Corvey werden die "Annalen" des Tacitus gestohlen. 1455 kann gemeldet werden: Das Buch des Cornelius Tacitus ist gefunden worden, gesehen in Rom 1455. Natürlich ist es eine Abschrift eines Mönchs aus Fulda, aber besser aus second hand als gar nicht.

Damit beginnt eine merk-würdige Rezeptionsabfolge: Die "Germania" wird als realitätsadäquate Darstellung "unserer Vorfahren" betrachtet, dabei aber - von Krise zu Krise - nationalistisch "angereichert". Wir sind ihr Blut, ihr leibhaftiges Ebenbild, schreibt der Humanist Conrad Bickel, der sich Celtis nennt. Dieses "Ebenbild" wird der Zeit gemäß durch mehrere Übersetzungen propagiert. Es ist schließlich Zeit, in der die Logik des Kapitalismus nach der Sättigung des lateinischen Elitemarktes zu den Märkten der einsprachigen Massen drängte (B. Anderson), ein von Krebs etwas vernachlässigter Aspekt. Und die "einsprachigen Massen", die man das "Volk" nennt, gewinnt man auch damals mit dem Angebot des "Echten", des eigentlich unverdorbenen Volkscharakters.

Diese Rezeptionsvorgabe wird Tradition, die Tradition sichert ihrerseits die Textlektüre ab. In Krisenzeiten wird diese erweitert. Schon 1616 - so Krebs - überlegen die "teutschen Intellektuellen", ob der von Tacitus erwähnte Gott "Tuisto" (bezeichnenderweise zu "Tuisco" verfälscht) nicht "Teuto" geheißen habe (Der Teutoburger Wald lässt grüßen). Und war Adam nicht ursprünglich ein Teutscher? Bilder bilden Meinungen. Auf Stichen sehen wir nackte kräftige Speermänner mit langen hellen Haaren und Bärten beim Grillen und Bierzechen. Und man entdeckt den Barden, der bei Tacitus gar nicht vorkommt. Im dreißigjährigen Krieg wird als neue Anreicherung die "teutsche Rede" der gekünstelten französischen, dem "Hurenkind", gegenübergestellt.

Krebs stellt die Weiterentwicklung in Richtung "Volksgeist" bei Herder dar (im Zusammenhang mit der Klimatheorie Montesquieus, auch diese taucht bis heute immer wieder auf). Auf ihn rekurrieren die antinapoleonischen Burschen, die "Bärenhäuter", wie nicht nur Heine spottet. Noch sind wir zu retten! schreibt Jahn in den Befreiungskriegen und kämpft für eine "reine" deutsche Sprache. Sein Schüler Karl Follen.dichtet noch 1831:

Stolz, keusch und heilig sei,

Gläubig und Deutsch und frei

Hermann's Geschlecht!

Von Fallersleben dichtet bekanntlich Ähnliches. "Unsere" Fussballer singen's manchmal.

Die Gleichsetzung von Germanen und Deutschen wird zur hegemonialen Ideologie: zum Mythos gehört die Not, der Unterdrücker, der Befreier, der Erbfeind, der Rassismus ... und der Antisemitismus. Spätestens hier hätte man sich einen stärkeren diskurstheoretischen Zugriff auf das von Krebs präsentierte umfangreiche Material gewünscht.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Tacitus natürlich Schullektüre im neuhumanistisch-nationalistisch ausgerichteten Gymnasium. Die "hegemoniale bürgerliche Kultur determiniert als Superstrat auch die Arbeiterkultur" (W. Mommsen). Sie wird verstärkt durch Massenromane wie "Ein Kampf um Rom".

Dieses verfestigte Germanenbild materialisiert sich - Krebs zeigt dies akribisch - in vielen NS-Gesetzen und Erlassen. Im Gesetz zur "Ordnung der nationalen Arbeit" (1934) lesen wir:

Im Betrieb arbeiten der Unternehmer als Führer , die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft...

Hier werden verselbständigte Begriffe aus Tacitus ebenso übernommen wie 1935 in dem so genannten "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre":

... die Reinheit des deutschen Blutes ist die Voraussetzung für den Fortbestand des deutschen Volkes...

Sehr einflussreich sind die viel gelesenen Werke des "Rassen-Günther". Hans K. Günther bezieht sich in seinen "Rassenkunden" explizit auf Tacitus - wie Himmler auch, natürlich. Die Germanen seien rein und nur sich selber gleich, hochgewachsene, blonde, blauäugige Menschen. Er entwickelt den Phäno- und Genotyp des "nordischen Menschen", der allerdings mit dem Aufkommen der Stadt (auch dies ein antiker Topos!) "entnordet" werde. Daraus ergibt sich für ihn das Gebot der Aufnordung. En passant: Im bundesrepublikanischen Arbeitsleben hört man immer häufiger, dass jemand "einzunorden" sei. Dass dies Bundeswehrjargon ist und sich auf die Kompassnadel bezieht, macht die Begrifflichkeit nicht unbedingt besser. Da möchte man sich doch glatt "aus-norden".

Insgesamt ist das Buch Krebs' ein gelehrter und lehrreicher Längsschnitt bis zur folgenreichen barbarischen Rezeption eines Buches über die Barbaren. Dafür kann Tacitus wahrlich nichts. Zu einem "most dangerous book" wurde die Germania durch Umstände, deren Querschnittsanalyse weiterhin zu leisten ist. So vernachlässigt Krebs die folgenreiche Dichotomie-Produktion (Germanen vs. Römer, Teutsche vs. Osmanen, Deutsche vs. Franzosen - kontinuierlich bis 1945, Deutsche vs. Slawen), ebenso wie das Ideologemen-Geflecht, das aus der Germania entwickelt wird. Aber dies würde den Rahmen des Buches sprengen, und es ist das Schlechteste eines guten Buches nicht, die Leser zu eigenem Nachdenken und Recherchieren zu motivieren.

Wie komplex die Sache ist, zeigt das Missverständnis des renommierten Hans Schlaffer, der in der "Welt" den Titel kritisiert. Vor allem der Untertitel gefällt ihm nicht. Der ist in der Tat schlecht gewählt (aber modisch): Krebs sagt nirgendwo pauschal, dass die "Deutschen" eine "Erfindung" seien, sondern weist nach, dass die "Identitätskonstruktion" (Werner), die Gleichsetzung von "Deutschen" und "Germanen" erfunden ist.

Und damit trifft er die Richtigen. Die extreme Rechte, deren Intelligenzia sich auf der Webside "North American New Right" austoben darf, lässt einen Andrew Hamilton "rezensieren". Und der meint beim Durchlesen gemerkt zu haben, dass der Autor ... Jude oder teilweise Jude ist.

Für die Nachkriegszeit urteilt der Historiker Werner , dass die Germanenschwärmerei wohl ausgedient hat und ihrerseits Geschichte geworden ist. Der berühmte Faden der Kontinuität ist abgerissen.

Ich hoffe, er hat recht. Aber sicher bin ich mir nicht. Gerade nach der Lektüre des Buches.

1) Klaus von See, Barbar, Germane, Arier. Die Suche nach der Identität der Deutschen. Heidelberg 1994 (C. Winter)

2) Michael Werner, Die "Germania", in: Deutsche Erinnerungsorte, Band III, München 2001

3) Christopher B. Krebs, Ein gefährliches Buch. Die "Germania" des Tacitus und die Erfindung der Deutschen. München 2012. (DVA)

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