Heidegger light oder Habermas hard

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Was haben die Gauck-Wullf-Wahl und der Kommunismuskongress gemeinsam - außer dass beide Events auf des Volkes Bühne stattfanden? Wenig oder gar nichts, möchte man antworten. Großer Irrtum, sagt Micha Brumlik in einem lesenswerten Aufsatz in den "Blättern", diese scheinbar disparaten Ereignisse sind repräsentative Produkte der "postdemokratischen Sehnsucht nach dem Politischen". Nach "dem Politischen", nota bene, nicht nach "der Politik". Brumlik leitet diese Unterscheidung von der berühmten "ontologischen Differenz" von "Sein" und "Seiendem" her. Und so, wie das "Sein" dem Meister Heidegger zufolge nur einen "Ab-Grund" hat, habe auch das "Politische" bei den aktuellen Meisterdenkern keinen "Grund". Brumlik zeigt dies an drei prominenten Beispielen:

1. Chantal Mouffe übernimmt von ihrem Lehrer Derrida das Konzept der "radikalen Unentscheidbarkeit" und wendet es auf das "Politische" an. Keine politische Entscheidung kann letztendlich "begründet" werden, ja, die "Unentscheidbarkeit" setzt sich in der "Entscheidung" fort. Damit wird auf soziologische Analyse, aber auch auf jegliche moralische Begründung verzichtet. Wie soll man entscheiden, was "gerecht" ist? Ich verweise auf die Diskussion um die Hamburger Schulreform.

2. Ausführlich setzt sich Brumlik mit Badiou auseinander, vor allem mit dessen Schlüsselwort "Ereignis". Dieses kann, muss nicht eintreten - wie Badiou ausgerechnet am Beispiel der Französischen Revolution explizieren zu können meint. Ein "Ereignis" ist nicht erzwingbar in "radikal kontingenten" Gesellschaften. Gerade Badiou erweist sich - nicht nur hier - als Heideggerianer. Brumlik weist dies mit repräsentativen Zitaten nach und meint, man müsse nur das "Volk" Heideggers durch die "revolutionäre Partei"Badious ersetzen, um die "dezionistische und voluntaristische Grundstruktur" des letzteren zu erhalten.

Badiou bezeichnet sich als Maoist und hält an der Idee der kommunistischen Partei fest, der weiterhin die Organisation des "futur antérieur" vorbehalten sei. Ohne jede soziale Anbindung. Ich möchte hier, Brumlik ergänzend, auf das Schlusskapitel von Badious Bestseller "De quoi Sarkozy est-il le nom?" (2007) eingehen. Nach dem Scheitern des realen Kommunismus (interessanterweise 1975 mit dem Ende der Kulturrevolution in China!) seien Marxismus, Arbeiterbewegung, Massendemokratie, sozialistischer Staat etc. nicht mehr "nützlich". Was dann? fragt sich der ungeduldige Leser. Wir leben in einer Intervallzeit, entgegnet Badiou, es geht einzig darum: "faire exister l'hypothèse communiste." Nicht mehr, nicht weniger.Was nicht gerade viel ist. Für die Milliarden Entrechteten auf der Welt zum Beispiel.

3. Brumlik hält Slavoj Zizek wie viele andere auch für einen originellen Kopf. Doch auch dessen Denken ist von Dezisionismus ge(kenn)zeichnet. Paradoxerweise, zitiert er den Philosophen, können wir nur dadurch antikapitalistisch werden, dass wir die Demokratie problematisieren. Fragwürdig auch die - wie ich finde - eklige Forderung, zwecks Rettung der Natur den Denunzianten wiederzubeleben und davon zu faseln die ewige Idee des egalitären Schreckens neu zu erfinden.

Bei allen drei Autoren stellt Brumlik "materialen und methodischen Irrationalismus" fest. Ohne gesellschaftlichen Bezug bekennt man sich letzten Endes voluntaristisch zu dem, was man "Kommunismus" nennt. Dabei urteilt Brumlik einserseits milde, indem er auf die Verzweiflung angesichts des fehlenden revolutionären Subjekts Proletariat hinweist, aber auch bissig, wenn er "geschichtsblinde oder geschichtsvergessene Dunmmheit" konstatiert. Die Autoren stehen Brumlik zufolge auf verlorenem Posten - und er bezieht sich hier explizit auf einen "ähnlich" denkenden Autor der Rechten: Ernst Jünger. Den wieder Heidegger in den höchsten Tönen lobte.

Es ist ein gelungener Coup der "Blätter"-Herausgeber, im selben Heft eine aktuelle Rede von Jürgen Habermas abzudrucken, die quasi als Antidot wirken könnte: "Das utopische Gefälle". Habermas legt sein Konzept der Menschenwürde als "realistische Utopie (!) der Menschenrechte dar. Ja, Utopie. Habermas kennt natürlich wie kaum ein zweiter die Marxsche Kritik der Menschenrechte, meint aber "zwischen Menschen- und Bürgerrechten besteht von Anbeginn eine dialektische Spannung, die eine Tür öffnende Dynamik auslösen kann." Er spricht von der "überschießenden Idee der Gerechtigkeit" und warnt die Politik davor, den utopischen Impetus zu verraten, d.h. entweder in Schmittscher Manier die Menschenrechte zu verwerfen oder aber rein formal die Menschenrechte zu bejahen, aber die Menschenwürde zu unterminieren.

Es ist schon interessant, dass sich bestimmte politische Linien im Laufe der Zeitgeschichte immer wieder kreuzen.

Heidegger light oder Habermas hard. Wählen Sie. bedenken Sie aber die Menufolge. Vielleicht wird im Hotel Ab-Grund ja noch anderes offeriert.

Micha Brumlik, Neoleninismus in der Postdemokratie und Jürgen Habermas, Das utopische Gefälle,Blätter für deutsche und internationale Politik 8'2010


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