Helden in Hattingen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es ist schnell wieder ruhig geworden in der Region, die von ihren Bewohnern angeblich als "Pott" bezeichnet wird. Der Titel "Europäische Kulturhauptstadt" glänzte nur kurze Zeit. Sicher, da ist der Auftritt des Folkwangmuseums, dessen Renaissance europaweit gefeiert wird. Aber die kulturelle Realität erscheint anders: Jede Woche darf sich eine andere "Randgemeinde" des Ruhrgebiets als "lokal hero" (offizielle Schreibweise) präsentieren. Und die zeigt sich dann jeweils als Kulturbiotop ihrer lokalen Helden. Also: die Gattin des lokalen Kieferchirurgen als Kulturheroine, die ihre neuesten Gouachen in der Stadtsparkasse zeigt. Ach nee!

Mit Vorurteilen betrete ich also die zum Museum transformierte alte Gebläsehalle der stillgelegten Hattinger Henrichshütte. Helden. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen - das Thema lockt mich nicht gerade, allzu warenästhetisch formuliert erscheint es mir. Auf die Inhalte kommt es an. Andererseits: dort, wo vor einer Generation muskulöse Hüttenarbeiter ihre Gesundheit dem Feuergott (als Erscheinung des Kapitals) opferten und auch noch stolz darauf waren - wo, wenn nicht hier, ist eine Heldenausstellung am rechten Platz?

Ich muss gestehen, dass ich kein Held und darum am Ende der Ausstellung ziemlich erschöpft bin. Wie die zahlreichen anderen Besucher auch, sogar die Dame um die Fünfzig, die sich triumphierend auf das Kletterpodest mit der Aufschrift "Heldin" stellt und ihren Gatten von oben herunter angrinst, worauf dieser mit einem lauten "Hab' ich kein Problem mit!" den Raum in Richtung Museumsshop verlässt. Erschöpft hat mich die Beschäftigung mit den mehreren hundert Exponaten und die ziemlich deprimierende heldenverschrumpelnde Erkenntnis, dass all dieses nur ein winziges Fragment eines Riesenthemas ist.

Die Ausstellung beginnt klassisch mit der Epoche, da die Götter menschlicher noch waren und die Menschen göttlicher (Schiller), und sie beginnt natürlich mit Herakles. Eine riesenhafte Herkulesstatue aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert reckt sich mehr als drei Meter hoch in die um ein Vielfaches höhere Gebläsehalle, die rechte Hand auf die gleichseitige Gesäßbacke gestützt, mit der Linken die Keule haltend. Und davor ein winziger Junge im Vorschulalter, der "cool!" ruft. Und trotz der Monumentalität ist dieser Herakles irgendwie ein graziler nackter Riese, weit entfernt etwa von der Steifheit eines Brekerschen Prometheus. Peter Weiss kommt mir in den Sinn, der in der "Ästhetik des Widerstands" imaginiert, wie Herakles nach vollbrachten Taten nach Theben zurückkommt und dem Volk seine Beute zeigt, die Beißer und Zwacker des Ancien Régimes: den Kerberos, in Wirklichkeit nicht mehr als ein räudiger Straßenköter, und den Adler, der sich an Prometheus' Leber delektierte, nunmehr eine Art Schützenvogel.

Mit Herakles bringt die Ausstellung die "Altertümer" auf den Begriff, im Großen wie im Kleinen (Vasenbilder, Figurinen, Münzen). Alexander zeigt sich im Löwenfell. Interessant sind die Statuetten, die den Herakles der zwölf Arbeiten als verfetteten und trägen Vorruheständler zeigen. Zum Helden gehören diese Phasen des normalen Daseins (vergleiche Superman). Ich habe die Stimme Frau Merkels im Ohr: Eine Herkulesaufgabe liegt vor Deutschland, bestimmt sie im Bundestag. Aha, Deutschland ist jetzt Herkules. Also erleben wir doch eine Zeit, die Helden braucht? Warum spricht sie übrigens von "Aufgabe", und nicht von "Arbeit"?

Es wäre attraktiv, die Heraklesmotive bis in die Gegenwart zu verfolgen. Das macht die Ausstellung (leider) nicht. Andererseits nehme ich dankbar zur Kenntnis, dass sie nicht einhält, was der Titel verspricht ("Sehnsüchte") und zudem überhaupt nicht "durchdidaktisiert" daherkommt. Die Exponante zum Sprechen zu bringen, ist der Anstrengung des Besucherkopfes überlassen. Das ist gut so.

Auch wenn uns die Macher eine Art Parforceritt durch die europäische Heldengeschichte zumuten. Wir bestaunen wenige, aber hochwertige Exponate der ritterlichen Heldenwelt (darunter eine Abschrift des Nibelungenliedes aus dem 13. Jahrhundert). Und wir springen ins 19. Jahrhundert, wo uns eine Heldeninflation und Heldendifferenzierung erwartet: Nationalhelden, wohin man auch blickt, Unternehmerhelden (Krupp als Held eines Auftragsbuches mit dem Titel, na was wohl: "Helden der Arbeit"), Arbeiterbewegungshelden (Lassalle, weniger Marx und Engels sowieso nicht), Literaturhelden (immer wieder Schiller). Und wir betrachten gerührt und amüsiert die Heldenaccessoires: Fahnen, natürlich, vor allem aber Pokale, diese säkularisierten Messkelche.

Das Zwanzigste Jahrhundert als Jahrhundert der "Massengesellschaft" beginnt mit in Massen auftretenden Kriegshelden. Der Held verachtet den Tod, der Heilige das Leben, schreibt Spengler nach dem Ersten Weltkrieg. Die Ausstellung zeigt entsprechende Plakate aus den "europäischen Bürgerkriegen". Mich fasziniert die Ordenstanzmaschine - als Metonym für die serielle Heldenproduktion. Kühl lässt mich im Unterschied zu zahlreichen jungen Besuchern die Replik des Weltrekordautos eines Bernd Rosemeyer, welches mit einem originalen Nazikommentar präsentiert wird. Obwohl: die Frage, wie unser heutiger Rosemeyer, jener Kerpener, '"verheldet" wird, ist schon interessant. Der Silberpfeilmythos ist verblasst, und Schumacher riskiert nicht mehr Kopf und Kragen. Helden lieben heute Sicherheit. An den "Helden von Bern" und der Statue Helmut Rahns gehe ich vorbei. Ein "ausgelutschtes" Heldenthema.

Für mich als DDR-Ignoranten sind die Helden der DDR spannender. Etwa die Urkunden einer "Heldin der Arbeit". Mein Gott, diese Spießigkeit! Wie war das möglich? Diese arbeitsreligiöse Kontinuität von den Arbeitshelden des 19. Jahrhunderts bis in die achtziger Jahre (und verstärkt wieder heute) wird hier überdeutlich: Herrsche und lasse arbeiten!

Der am meisten begaffte Gegenstand der Ausstellung ist natürlich der leicht lädierte Helm eines Feuerwehrhelden von 9/11, der Magnet, der die Besuchermassen anziehen soll. Dass ich seinen Namen vergessen habe, hat wohl objektive Gründe: die Helden verlieren ihre Namen. Heldenhaftes Verhalten wird "demokratisiert". "Heldendämmerung" lautet der Titel eines momentanen Bestsellers. Ein Teil der Exposition ist dem "heldenhaften" Kampf der Stadt Hattingen um den Erhalt "ihrer" Hütte gewidmet, ein anderer den anonymen "Helden des Alltags", das sind diejenigen, die ein "Ehrenamt" tragen. "Tragen"? Leben wir in einer Zeit der "Ehrenamthelden"? Helden der knappen Finanzen?

Und so endet die Ausstellung dann doch etwas banal: "Helden des Ruhrgebiets" schauen dich an: Schimanski samt Jacke, Schanzara und - Dröhnemeyer "Wann ist der Mann ein Held?" höre ich meine Begleitung singen. Willkommen in der Realität der "local heroes". Warum dann nicht auch eine Statue für den Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe?

Trotzdem - und vielleicht gerade, weil sie grandios beginnt und im Banalen endet, enden muss. Die Hattinger Heldenausstellung ist einen Umweg wert, auch für Helden des Staus.

Postmuseales Postskriptum. Beim Verlassen des Museums schweift mein Blick über die alten Lokomotiven hinweg in Richtung Ruhrfelsen. Ein der Öffentlichkeit nicht zugänglicher Stollenbunker befindet sich dort. Er schützte die deutschen Arbeiter und -selbstverständlich separiert- die höheren Angestellten der Hütte bei Luftangriffen. Gebaut haben ihn ukrainische Zwangsarbeiter. Einer von ihnen war der mit fünfzehn Jahren verschleppte Iwan Shurujew. Ein Held? Nein, ein Mensch mit Namen.

Die Ausstellung Helden. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen ist bis zum 31. Oktober 2010 im LWL-Industriemuseum Hattingen zu sehen. Öffnungszeiten Di bis So 10 - 18 Uhr, Eintritt 6 Euro. Der Katalog kostet 24,95 Euro.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden