"Herr Lieutenant, ich bin ein Mädchen!"

Traditionspflege Für Staatssekretär Tauber brauchen "unsere" Soldaten und Soldatinnen die rechten Vorbilder. Warum, so fragt er, nicht eine Friederike-Krüger-Kaserne? Ja, warum?

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Brüder und Schwestern, zur Sonne, zur Feiheit!
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Foto: MICHAEL KAPPELER/AFP/Getty Images

Es ist traurig. In diesem unseren Lande der Großen Koalitionen sind selbst die Sommerlöcher flacher als anderswo. Keine Staatschefin, die in ihrem Office irrlichtert, kein 26-jähriger stellvertretender Kabinettsdirektor mit dem ausgefallenen Hobby, sich als Polizist zu verkleiden und linke Demonstranten zusammenzuschlagen. Dafür aber Bayreuth und die Superhitze. Zum Glück haben wir Peter Tauber, einst Generalsekretär der CDU und mittlerweile parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Und dieser aufgeklärte Patriot hat eine, wie er wohl glaubt, revolutionäre Idee. Warum nicht, so fragt er rhetorisch in der ZEIT vom 2. August, eine Friederike-Krüger-Kaserne? Ich gebe zu: revolutionärer wäre es zu fragen: Warum überhaupt Kasernen? Warum überhaupt eine Bundeswehr? Wer ist denn unser Feind? Hat denn das 20. Jahrhundert nicht gelehrt, dass jeder Krieg nur Übel bringt? Warum nicht ein Verbot der Waffenindustrie?

Aber der Politiker bohrt bekanntlich beharrlich dicke Bretter und übt sich in Bescheidenheit. Also keine Radikalitäten, vor allem nicht beim Militär, sondern Anpassungen an die Zeit. Tauber konstatiert also: Die Bundeswehr habe viele Probleme. Sie brauche Geld. Aber sie brauche auch das geistige Rüstzeug, die Geschichte und die Tradition einer Armee, um unserem Land dienen zu können. Gerade „unsere“ Soldatinnen, so der Staatssekretär, in etwas männlich-gönnerhafter Formulierung, dienen nicht nur vorbildlich, sie haben sich Vorbilder verdient. Dabei bezieht er sich auf den neuen Traditionserlass vom März 2018, in dem festgestellt wird:

"eine geistige Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft verbindet Tradition und die Generationen und gibt Orientierung für das Führen und Handeln. Und vor allem (Frauen wird dergleichen bekannt vorkommen): Gelebte Tradition spricht nicht nur Kopf und Verstand an, sondern in besonderer Weise Herz und Gemüt."

Die Kasernenbenamung war in den Anfangsjahrzehnten der Bundeswehr recht leicht. Man(n) konnte aus einer Fülle von Wehrmachts-Generälen auswählen, bis man irgendwann dann doch erkennen wollte, dass sich nicht wenige Kriegsverbrecher unter diesen befanden. Was tun? „Klare Grenzen zur Wehrmacht!“ schreibt der neue Traditionserlass vor. Also kann man – wie in Hannover – einen „gefallenen“ Feldwebel der Gegenwart erküren. Man könnte, so Tauber allen Ernstes, auch Manfred Wörner, Ulrich de Maizière oder Peter Struck (der bekanntlich unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen wollte) als Namensspender bewegen.

Aber es braucht vor allem weibliche Vorbilder! Die Namensgeberinnen der Augusta-Kaserne und der Gräfin-von-Maltzan-Kaserne (inkl. Schule für Diensthundewesen) entsprechen kaum noch dem modernen Leitbild der kämpfenden Soldatin im Einsatz. Und tatsächlich ist der Staatssekretär auf der Suche nach vorbildlichen Kriegerinnen fündig geworden. Voller Stolz schlägt er den Namen Friederike-Krüger-Kaserne vor... und regt dazu an, sich mit diesem historischen Brückenschlag näher zu befassen. Dafür müssen wir uns in eine über 200 Jahre zurückliegende Zeit begeben, genauer: ins Jahr 1813.

"Männlicher Zorn"

Die Niederlagen gegen Napoleon und die folgenden Besatzungsregime haben im Bürgertum und unter den Studenten zu erhitztem Patriotismus geführt. Sie sehen nach dem russischen Debakel des „Tyrannen“ ihre Stunde gekommen. Es ist die Zeit der so genannten Befreiungskriege, die Zeit, die Heine in der Romantischen Schule so charakterisierte:

"Man befahl uns Patriotismus und wir wurden Patrioten... Wir Deutsche (erhielten) den allerhöchsten Befehl uns vom fremden Joche zu befreien und wir loderten auf im männlichen Zorn."

So wie der Lützowsche Jäger und Dichter Theodor Körner es mit den folgenden Versen zeigt:

Frisch auf, mein Volk!
Der Freiheit eine Gasse- wasch die Erde,
Dein Deutsches Land, mit deinem Blute rein...
Es ist ein Kreuzzug.'s ist ein heil'ger Krieg
Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen
Hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen...
Drauf, wackres Volk! Drauf! ruft die Freiheit, drauf!

Schon zwei Jahre zuvor hat Ernst Moritz Arndt (immer noch Kasernenbenamer) mit Anleihen an die Marseillaise gedichtet:

Zu den Waffen! Zu den Waffen!
Zur Hölle mit den welschen Affen...
Zu den Waffen! zu den Waffen!
Als Männer hat uns Gott geschaffen
Weht, Fahnen! Trompeten klingt!
In deutscher Treue alle Brüder!
Hinein! Es kehret keiner wieder,
der nicht den Sieg zu hause bringt.

Ob Friederike Krüger die literarische Agitation der Franzosenhasser in texto kennt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die 1789 in Friedland geborene Tochter eines armen Ackerbauern hat gerade einmal etwas lesen und schreiben gelernt. Aber zweifellos hat sie Versatzstücke des kriegerischen Teutomanismus rezipiert. 1813 lernt sie das Schneiderhandwerk in Anklam und lodert im „männlichen Zorn“. Jahre später berichtet sie:

"Eines Tages kam Herr Lemke (ihr Meister) nach Hause mit der Nachricht, dass Rekrutierung angeordnet und ein Aufruf vom König (3. Febr. 1813) erlassen sei. Mein Entschluss war schon längst reif, mitzuwirken, wenn der Tag käme, an dem die Fremdlinge vertrieben werden sollten. So wurde es denn That."

Was folgt, ist klassisch. Friederike schneidet sich die langen Haare ab, schlüpft in Männerkleidung und meldet sich als Schneider August Lübeck beim 9. Infanterieregiment (Kolberger Regiment). Es ist jedoch durchaus möglich, dass ihr wahrer Status den Offizieren von Anfang an bewusst ist, denn in ihren Entlassungszeugnis aus dem Jahre 1815 steht, dass man ihr anfangs die Aufnahme verweigert und nur auf ihr dringendes Bitten gestattet habe und gegen die Verpflichtung, sich stets ehrenhaft und sittsam zu betragen. Beim Militär liegt es an der Frau, sich "sittsam" zu verhalten. Nicht nur beim preußischen. Jedenfalls ist der „kleine unbärtige Rekrut mit der Knabenstimme“ ein tapferer Soldat. In der Geschichte ihres Regiments lesen wir, sie sei kühn vorausgegangen, hat die Feinde überwältigt, sie theils getötet, theils gefangen genommen. Allerdings mit der Verpflichtung, sich stets ehrenhaft und sittsam zu betragen. Man hat halt sein Frauenbild. Und das wird irgendwann bestätigt:

"Beim Vorgehen hat sie den dem weiblichen Geschlechte bei heftigen Gemüthsbewegungen eigenthümlichen jauchzenden Ruf oder Schrei ausgestoßen, wobei aufmerksame Kameraden Verdacht zu schöpfen angefangen haben..."

Auch als Soldatin darf sie mit Sondergenehmigung des gütigen Friedrich Wilhelms III. weiter dienen. In der Schlacht von Dennewitz wird sie durch Granatsplitter verletzt und für ihren Mut noch auf dem Gefechtsfeld zum Unteroffizier ernannt. Sie erhält das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und den Georgen-Orden 5. Klasse. Bis 1815 nimmt sie an diversen Feldzügen gegen den französischen „Erbfeind“ teil, pardon „theil“ und hat, wie eine Autorin 1869 schreibt, erst dann das Schwert beiseite gelegt, als

"sie von den Höhen des Montmartre das stolze Paris zu ihren Füßen liegen sah (darin durchaus ein „Vorbild“ für zahllose deutsche Soldaten 1870/71 und 1940/44)."

Krüger wird eine echte Soldatin mit entsprechendem Habitus. Ein Landsmann spricht nach einer Begegnung mit Friederike Krüger über eine

"ganz veränderte Jungfrau mit kurzem Haar unter dem Czako, im Kriegsgewande, mit dem eisernen Kreuze auf der Brust und mit den Unteroffizierstressen am weißen pommerschen Kragen."

1815 nimmt sie ihren Abschied. Der Regimentskommandeur ist voll des Lobes, aber offensichtlich auch froh, dass die Grenzüberschreitung nun ein Ende hat:

"Möge dieses außerordentlich verdienstvolle Heldenmädchen bald aus dem Geräusch der Waffen in den stillen Genuß einer ihr gebührenden dauernd glücklichen Häuslichkeit versetzt werden"

Und so geschieht es. Am 5. März 1816 darf sie mit Zustimmung des Königs (der ihr auch eine Leibrente von 72 Talern gewährt) den Unteroffizier Karl Köhler heiraten, in der Garnisonskirche unter Anwesenheit von Generälen und anderen Offizieren, inklusive Bankett. Ihr Mann bringt es zum Ober-Grenzcontroleur zu Lychen in der Uckermark. Schließlich sind wir in Preußen. Der König wird Pate des ersten Sohnes, der Herzog von Mecklenburg Pate der ersten Tochter. Die wackere Soldatin stirbt schon 1848 an Lungenschwäche. Trotz eines Gedichts von Friedrich Rückert persönlich und einiger viel gelesener Lebensgeschichten vor dem deutsch-französischen Krieg, dem Ersten und im Zweiten Weltkrieg sowie einer Biografie von 1994 ist sie recht unbekannt geblieben, abgesehen von einigen Straßen- oder Schulnamen. Das wird sich, wenn wir dem Staatssekretär folgen, wohl demnächst ändern.

Zeitlos gültige Soldatentugenden?

Allerdings sollte man sich vorher vielleicht doch fragen, worin das Vorbildliche Friederike Krügers besteht? Taubert könnte einfach auf den Traditionserlass verweisen, in dem

"historische Beispiele für zeitlos gültige soldatische Tugenden, etwa Tapferkeit, Ritterlichkeit, Anstand, Treue, Bescheidenheit, Kameradschaft, Wahrhaftigkeit, Entschlussfreudigkeit und gewissenhafte Pflichterfüllung"

hervorgehoben werden. Tugenden, die Krüger wahrscheinlich besaß. Aber sind nicht genau dies die „Tugenden“, die in der deutschen (Militär-)Geschichte eine so verhängnisvolle Bedeutung erlangten? Konnten sich nicht viele Kriegsverbrecher mit der Befolgung gerade dieser Tugenden „herausreden“? Wie wäre es, wenn ein Staatssekretär der Verteidigung seiner Ministerin („Traditionspflege bedeutet Vorbilder zu setzen“) das Vorbild des mündigen Soldaten, dessen Ziel es ist, seinen Berufstand abzuschaffen, vorzusetzen. Auch auf diesem Gebiet gibt es Vorbilder.

Aber bevor ich mich in Zorn schreibe und darauf hinweise, dass Krüger ausgerechnet gegen den „Welschen“, den „Franzmann“ kämpfen wollte, dass überhaupt die "Befreiungskriege" von noch jenem deutschen Regime zum Zwecke der Ertüchtigung instrumentalisiert wurden, dass das Eiserne Kreuz immer noch Traditionsgut ist und dass der Historiker Tauber dies alles auch weiß und trotzdem anders tönt, möchte ich lieber noch meinen Lieblingskasernennamen outen, einer, der auch Tauber gefallen würde. Es handelt sich um Eleonore Procharska, eine Potsdamer Unteroffizierstochter, die 1813 als August Renz im Lützowschen Freikorps diente (wie auch Theodor Körner) und ihre Heldenseele so klassisch-schön aushauchte, wie keine andere. Ein in der Schlacht verwundeter Leutnant berichtet, was alles unter Kanonenbeschuss passiert:

"Der Jäger Renz nahm mir die Trommel aus der Hand und wirbelte mit großem Geschick darauf herum. ‚Du verstehst dich doch auf Alles‘, rief ein Anderer. ‚Du schneiderst, kochst, wäschst, singst und schießst.‘ - ‚Ein Potsdamer Soldatenkind‘, sagte Renz, ‚muß sich auf Alles verstehen‘. Die Kanonenschüsse werden lauter. ‚Nun hört aller Spaß auf‘, rief mein Trommelschläger, und schlug dann Sturmmarsch. Doch dann: Unser tapfre Trommelschläger stürzte neben mir, krampfhaft hielt er den Zipfel meines Überrocks fest und rief mit jammervoller Stimme: ‚Herr Lieutenant, ich bin ein Mädchen!‘“

Ist das nicht Traditionserlass pur? Spricht das nicht "in besonderer Weise Herz und Gemüth" an? Ist das nicht schlicht genug? So wie der Vorschlag eines deutschen Staatssekretärs der Verteidigung im Angesicht des Sommerlochs?

Zitate aus:

Fanny Arndt, Die Deutschen Frauen in den Befreiungskriegen, Halle 1867 (auch online)

Johannes Fried, Die Deutschen. Eine Autobiographie. München 2018

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