"Waffen retten Leben". Im Ernst?

Kampfpanzer für die Ukraine Auch für einen waffentechnischen Laien ist erkennbar: Die Argumente der Leopardenamateure sind ziemlich faule Syllogismen. Ein Kommentar.

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Die Republikanerin Marjorie Taylor Greene ist glühende Trumpistin. Und sie kämpft für die Bewaffnung von Kindern. Die Begründung ist beeindruckend:

Die Kinder in Uvalde (Ort eines Amoklaufes) brauchten JR-15s, um sich gegen den bösen Verrückten zu verteidigen, der sich nicht um Gesetze scherte. Zumindest hätten sie sich selbst verteidigen können, da niemand sonst es tat, während ihre Eltern von der Polizei zurückgehalten wurden»

Ergo, so folgert sie messerscharf, gilt: „Waffen retten Leben“. Das ist zwar tausendfach widerlegt, aber traditioneller Glaube ist halt stärker als die „Waffe“ der Logik, zumal er mit einer ganzen emotionalen Imagerie verbunden ist: dem unheimnlichen Gefühl der Bedrohung, der Verteidigung des heimatlichen Hauses, der Familie, der unschuldigen Kinder gegen den heimtückischen Verbrecher. "Was tun Sie denn, wenn Ihr Nachbar in ihren Garten eindringt und sagt, das ist alles meins? Und wenn er Sie oder Ihre Liebven bedroht?" Oft geht die Argumentation über den nachbarlichen Rahmen hinaus. Ehemalige Kriegsdienstverweigerer erinnern sich noch heute ungern an die Frage: „Sie gehen mit Ihrer Freundin im Park spazieren. Plötzlich kommt ein Vergewaltiger hinterm Busch hervor. Sie sind bewaffnet. Was tun Sie?“

Womit wir beim Russen sind, also bei Putin und Hofreiter. Der verglich Putin mit einem „Straßenschläger, der erst zurückweicht, wenn ihm die Nase gebrochen wird“. Er benutzte also einen sehr rechten Sophismus: Gegen einen Schläger hilft bekanntlich nur eine sehr schmerzhafte Gegenattacke. Sowie gegen die „fremdländischen“ Verbrecher zumindest eine Schreckschusspistole. Putin verhält sich in der großen Politik wie ein Straßenschläger. Also müssen wir ihm eins auf die Nase geben. Damit meint der mittlerweile berühmte grüne Waffenexperte: Wir müssen der Ukraine schwere Panzer liefern. Unsere geschmeidigen Leoparden. Und er gibt – implizit - zu verstehen: vielleicht auch noch andere Angriffswaffen. Da geht doch noch mehr.

Natürlich ist der hofreiterliche Vergleich Unsinn, analog der dummen Gleichsetzung des Staatshaushaltes mit dem kargen Budget der schwäbischen Hausfrau. Übrigens enthält er die – für einen Grünen nicht mehr so erstaunliche - Präsupposition des hobbeschen Kampfes aller gegen alle. Der Mensch als des Menschen Wolf, vielleicht gefällt dies ja dem Doktor der Biologie.

Seine Kollegin von der anderen FDP, Marie Agnès Strack-Zimmermann ist trotzdem schlauer. Sie hat es weniger mit den Gefahren der Straße als mit der Kunst, wie sie dem Spiegel verrät:

In der Ostukraine steht nicht das Bolschoi-Ballett und tanzt Schwanensee...Da stehen Soldaten, die morden, vergewaltigen, verschleppen.und noch vieles Schreckliche mehr – foltern tun sie auch.« Marie-Agnes Strack-Zimmermann warnt vor Nachsicht mit Russland im Ukrainekrieg. Die robust geführte Kampfpanzer-Debatte in der Ampelkoalition verteidigt die FDP-Politikerin.

Das Feindbild der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses steht allerdings in unguter Kontinuität. Unvorstellbar, dass sie das nicht weiß. Verschweigt sie es nur? Aber sie kommuniziert im leicht schnoddrigen Ton einer Reserveoffizierin: Die schöne Fassade (warum übrigens gerade die mit leichter Weiblichkeit assoziierte Ballettmetapher?) verdeckt nur die Barbarei der russischen Horden, die zur Kultur gar nicht fähig sind. Da ist keine „Nachsicht“ möglich. „Pardon wird nicht gegeben“, wie ein anderer Deutscher mit noch mehr politischem Gewicht einst so nett sagte. Ergo muss schweres Gerät geliefert werden, um „Leben zu retten“ und den Terror der Horden Putins zu beenden. Wirklich? Schauen wir uns den Syllogismus an.

Unter den militärischen Syllogismen sind viele falsch. Jener zum Beispiel:

Wir können die militärische Operation jetzt nicht beenden. Sonst wären ja unsere Soldaten umsonst gestorben.

Zelensky könnte so argumentieren, auch Putin. Dieser Satz ist pertinent nur unter der Bedingung, dass noch eine Chance des Sieges besteht. Aber das wäre zu beweisen. Denn im gegenteiligen Fall würden noch mehr Soldaten "umsonst" sterben. Allerdings: Ob Putin oder Zelenskydies so ähnlich sehen könnten, ist zweifelhaft. Was schert sie ein falscher Syllogismus? Sie werden weiterkämpfen (lassen) müssen. Und die Soldaten werden weiter "umsonst" sterben (man spricht mittlerweile von 180.000 getöteten oder verletzten russischen Soldaten. Die ukrainische Opfer zahl scheint ähnlich hoch zu sein).

Wie werden nun die Panzerlieferungen strategisch begründet? Bisher hat sich die Ukraine „gut geschlagen“ - durch die Waffenlieferungen und andere Hilfsdienste des Westen. Die Toten erwähnen wir ja nicht. Aber im Stellungskrieg hat Russland langfristig Vorteile. Für die notwendige Offensive (im Frühjahr) braucht die Ukraine diesen Leopard 2.

In dem Moment der Vorwärtsbewegung verlassen die ukrainischen Verteidiger ihre Deckung und bewegen sich ins russische Feuer hinein. Der Panzerschutz, die Präzision und die hohe Geschwindigkeit machen den Leopard dabei so wertvoll,

erläutert NATO-General a.D. Domröse dem RND gegenüber. Vielleicht sollte er nicht so vorschnell urteilen, als „Senior Berater“ der Firma friedrich30*, die nach Eigenaussage „die politischen, wirtschaftlichen und sicherheitlichen Interessen von Unternehmen“ vertritt, hat er einen Ruf zu verlieren. Zumindest sollte er in Betracht ziehen, dass es IS-Kriegern 2017 relativ leicht gelungen ist, in Syrien türkische Leopard 2-Panzer zu knacken. Aber wenn deutsche Panzer einmal auf dem Weg sind, sind ihre Fans nur schwer aufzuhalten. Die Herren von Manstein, Guderian und Rommel begeistern bekanntlich immer noch so manchen Panzerkettenhooligan. Aber im Ernst: Die Prämisse, dass durch den Einsatz der so schweren wie agilen Kampfpanzer „Leben gerettet“ werden, genauer: ukrainische Leben, ist ja nur dann pertinent, wenn die russische Gegenwehr so schnell zusammenbricht (nach Verlust „russischer Leben“), dass die Armee Putins fluchtartig den Donbass und die Krim verlässt (das Kriegsziel der Ukraine und des „Westens“ also erreicht ist). Oder wenn ein erschütterter Putin um Gnade fleht. Dies ist, wenn das Medien-Bild des empathielosen Kremlherrschers denn stimmen sollte, kaum zu erwarten. Und überhaupt erscheint selbst einem militärischem Laien wie mir ein Sieg der Ukraine in einer Art „Blitzkrieg“ (auch dies nicht gerade ein neues Bild) so fantastisch wie unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist eine weitere Eskalation durch den Einsatz von Anti-Anti-Anti-Systemen. Das aber bedeutet fast zwangsläufig noch größere Verluste, unter den Soldaten, aber auch unter den Zivilisten (wie Militärs und Journalisten die normalen Sterblichen zu nennen pflegen). Der Krieg ist und bleibt ein Schlachthaus.

Kommen wir zum falschen Syllogismus des „Leben-Rettens“ durch (immer mehr) Waffen zurück. Er ist schon im Privatleben gefährlich, weil er viel mehr Tote „erzeugt“ als verhindert. Was er im Krieg bedeutet, hat sich im 20. Jahrhundert gezeigt: immer neue Waffen(systeme) verlängerten das Massensterben, ja, sie verhinderten geradezu die Einsicht, dass „unsere“ Soldaten umsonst gestorben sind oder noch sterben werden. Diese ist aber Voraussetzung für einen Waffenstillstand und Verhandlungen. Und nur durch diese Erkenntnis kann „Leben gerettet“ werden. Das wäre zumindest eine gute Prämisse. Es gibt übrigens eine Waffe, die zwar Hunderttausende das Leben gekostet und vielen anderen das Leben "gerettet hat. Aber die sollten wir selbst unserem "ärgsten Feind" nicht zumuten. Zudem der sie auch besitzt.

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