Ja. Doch. Ich freue mich, wenn am Monatsende die neue Konkret im Postkasten liegt. Ich lese sie auch recht gern - und dies seit langem. On revient toujours à ses premiers amours. Manches überlese ich allerdings. Wie das so mit "ersten Lieben" ist. Die Macken übersieht man, möchte man nicht sehen. Doch irgendwann geht auch das nicht mehr.
Auf dem Titelblatt des aktuellen Heftes lese ich: "KOTZEN. Linke Antisemiten". Das ist BILD konkret, denke ich spontan. Bin ich mittlerweile hypersensibel? Irritiert schaue ich ins Inhaltsverzeichnis. Ach ja. Zuckermann ist "dran". Ich habe das neue Buch Zuckermanns vor gut einem halben Jahr an dieser Stelle besprochen - insgesamt recht positiv, allerdings aus der unbequemen Position des "Zwischen-den-Stühlen". Also muss ich diesmal genauer lesen. Keine angenehme Lektüre.
Die Einstimmung übernimmt der Chef himself, indem er im Editorial einen Briefwechsel mit Zuckermann aus dem Jahre 2004 veröffentlicht (mit dessen Zustimmung?). In einem dieser Briefe drückt Zuckermann seine Verzweiflung angesichts der israelischen Zustände aus und erhofft für die israelische Linke "Erlösung", wenn sie den Diskurs "ins Ausland trägt". Gremliza - man liest, was man weiß - übersieht die Anspielung auf die letzte Passage der Minima Moralia und bezieht locker-ironisch die "Erlösung" auf die linken "Nationalsozis". Und er sieht eine logische Entwicklung zum Zuckermann von heute, der für Israel 2011 unterm Feixen der hiesigen Antisemiten ... dem Deutschland des Jahres 1933 gleich stelle (dazu mehr unten).
Die Darstellung der Ermittlung obliegt Detective Alex Feuerherdt, der keine breite Quellenbasis braucht (das Buch Zuckermanns zu erwähnen, findet er nicht nötig, um "linke Antisemiten" zu entlarven. Für seinen unbestechlichen Blick reicht ein Gespräch Zuckermanns mit dem Radio Dreyeckland vom Dezember 2010 und ein wenig Internet"recherche". Ich habe mir das Gespräch angehört. Es ist eine vom Moderator klug geführte Zusammenfassung der Buchtthesen, jedoch textsortenspezifisch weniger elaboriert, argumentativ reduziert und emotionaler grundiert als das Buch. Ideal also für einen "Entlarver". Und so "findet" Feuerherdt "Indizien".
Indiz 1: Zuckermann wird positiv von von antiisraelischen Quellen, vor allem aus dem Iran, zitiert. Auch die "nationalbolschewistische" (!) Junge Welt lobt ihn. Was folgt zwangslogisch daraus? Man kann davon ausgehen, dass Moshe Zuckermann solche Beifallsbekundungen ... nicht sonderlich stören.
Indiz 2: Zuckermann ist eine Art geistiger Hochstapler. Er bekennt sich zur Frankfurter Schule, scheint aber nie davon gehört zu haben, dass der Judenhass ... allein Ausdruck des ressentiment-geladenen Wahns der Antisemiten ist. Schreibt er so. Im Buch hätte er seitenlange Diskurse zu eben diesem Thema finden können.
Indiz 3: Seit zwei Jahren, sagt Zuckermann, im Gespräch unter Bezug auf die "Antideutschen", nehme die "Faschisierung" der israelischen Gesellschaft zu. Er nennt unter anderem den "xenophoben Antiislamismus" als Beispiel. Ein derartiger Faschismuskurs ... wie '33 ... würde dies in Deutschland praktiziert werden - mit Juden - würde es einen Aufschrei geben... Im Gespräch kann es zu solchen Sätzen kommen. Für Feuerherdt (und Gremliza, s.o.) sind sie entlarvend. Absurd, folgert Feuerherdt. Die angeführten Belege sind keine. So ist der von Liebermann geforderte Treueeid noch lange nicht Gesetz. Auch sei der Aufruf, keine Immobilien an nichtjüdische Staatsbürger zu verkaufen, von entscheidenden Politikern kritisiert worden. Ergo: Zuckermanns Urteil über Israel hat mit der politischen Realität absurd wenig zu tun. Und ins Buch, das sich über Seiten mit eben dieser Realität auseinandersetzt, hat Feuerherdt bekanntlich nicht geschaut.
Indiz 4: Zuckermann hält den eliminatorischen Antisemitismus für essentiell europäisch. Der zunehmende arabische Judenhass sei eher ein Produkt der zionistischen Landnahme. Zionismus und Antisemitismus seien hingegen aufeinander bezogen. Dies stellt er im Buch ausführlich dar. Für Feuerherdt ist damit klar: Zuckermann erledigt (!) das Geschäft der Antisemiten aller Schattierungen.
Die Behauptungen Feuerherdts sind ziemlich starker Tobak. Er weiß darum und legt deshalb eine Zitatenauswahl aus dem Radogespräch vor. Und spätestens hier wird es spannend. Um es vorwegzunehmen. Er verfährt wie Bismarck mit der Emser Depesche. Er verfälscht nicht, er schneidet einfach Entscheidendes weg.
Der Leser erfährt nicht, dass Zuckermann immer wieder die Notwendigkeit des Kampfes gegen den echten Antisemitismus betont. Er erfährt nicht, dass Zuckermann ausführlich auf die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs zwecks Illegitimierung von Kritik darstellt. Erst recht ediert Feuerherdt nicht die Aussagen zu den "Antideutschen", die nach Zuckermann nach dem Verlust der Sowjetunion mit Israel ein neues Identifikationsobjekt gefunden zu haben glauben. Feuerherdt zitiert nicht die Passagen, in denen Zuckermann seinerseits die "Antideutschen" mit ihrem Hass auf linke Juden/Israels als latente Antisemiten bezeichnet. Er verzichtet auf das Insistieren Zuckermanns auf den sozialen, ökonomischen und hsitorischen Hintergründen des Antisemitismus (Die Antideutschen reden aus einem Vakuum heraus). Er verzichtet auf die Appelle Zuckermanns gegen die Besatzung, für die israelisch-arabische Solidarität, gegen das Establishment, für die Zivilgesellschaft, gegen Mauer und Militarismus.
Worauf er nicht verzichtet: Er leitet die von ihm ausgesuchten Zitate mit einem kabarettistisch-makabren Vermerk ein. Etwa so:
"Zuckermann über ein Naturereignis.Der Holocaust war eine welthistorische Katastrophe."
Feuerherdt kann nicht nicht wissen, dass Zuckermann in der Tradition Adornos steht und in seinem Buch gerade die Trivialisierung des rezeptivien Umgangs mit dem Grauen analysierte. Adorno selbst sprach in "Erziehung nach Auschwitz" vom Unsäglichen, das in Auschwitz nach weltgeschichtlichem Maß kulminiert.
Hat Feuerherdt, hat Gremliza diese Peinlichkeit bemerkt? Jedenfalls beherzigen sie unbewusst Schopenhauer: Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird; so werde man persönlich, beleidigend, grob. Dies wird dem Experten überlassen. Der ehemalige Direktor des Archivs von Yad Vashem, Yaakov Lozowick evaluiert Zuckermann ad personam: In einer vernünftigen Welt würde von Zuckermann niemand Notiz nehmen. Und: Zuckermann ist Mitglied einer kleinen politischen Gruppierung. Und: Jedenfalls ist die Behauptung, Israels könnten keine Kritik an ihrem Tun ertragen selbst antisemitisch. Und: Kann Zuckermann arabisch?
Ich hatte zu Beginn von der Position des "Zwischen-den-Stühlen" gesprochen. Da ist der Triumphalismus derer, die Gramliza böse als "Hamas little helpers" bezeichnete: Seht hin! Die neuen Faschisten sind die Israelis! Die Methoden jedoch, die in diesem konkret-Heft angewendet werden, sind nicht viel angenehmer: Seht hin! Die neuen Vernichtungsantisemiten sind die linken Israelis, die ihren Staat kritisieren. Deutsch sind beide Haltungen, sehr deutsch sogar.
Alte Liebe rostet nicht, sagt man. Und wenn dies daran liegt, das man den Rost nicht sieht, nicht sehen will?
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