Le monstre

„Schwarze Legende“ Das Horrorbild Robespierres, konstruiert von einer sehr interessierten Clique, scheint unsterblich. Beginn einer kleinen Serie zur großen Revolution und ihrem Nachhall

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Direkt nach seiner Hinrichtung wird der „Unbestechliche“ zum Symbol einer Gewaltperiode
Direkt nach seiner Hinrichtung wird der „Unbestechliche“ zum Symbol einer Gewaltperiode

Foto: Rischgitz/Getty Images

Bevor er ihn auf das Brett schnallte, auf dem er den Tod empfangen sollte, riss der Henker ihm plötzlich den Verband ab. Der Unterkiefer löste sich vom Oberkiefer, so dass Ströme von Blut herausschossen. Der Kopf wurde zu einem monströsen Objekt. Als der Scharfrichter schließlich dem Volk den abgeschnittenen Kopf präsentierte, bot dieser dieser das entsetztlichste Bild, das man sich vorstellen kann. So starb das blutgierigste Raubtier, der ungeheuerlichste Unhold, den die Natur je hervorgebracht hat.

Galart de Monjoies schauriger Bericht erscheint 1796, zwei Jahre nach der Hinrichtung Robespierres. Die Botschaft ist eindeutig: Im gerechten Tod zeigt der „Unbestechliche“ sein wahres, sein „monströses“ Gesicht.

Robespierre wird lange sterben. Der Titel des „Journal universel“ vom 11. Thermidor 1794 ist nicht nur gut gefunden, sondern geradezu prophetisch. Und er reißt nicht nur die „Jakobiner“ mit in den langen Tod, sondern alle, die eine bessere Welt wollen als die jeweils bestehende. Passen wir also auf!

Direkt nach seiner Hinrichtung wird der „Unbestechliche“ zum Symbol jener Gewaltperiode, in der, so die Standardnarration, das maschinelle Fallbeil, die Kokarden sowie die rote Mützen der barbarischen Sans-Culotten und ihrer Weiber, die, nach Schiller, zu „Hyänen“ wurden, das öffentliche Leben beherrschten. Und ist in der Trikolore nicht auch jenes Rot, die Farbe der Kommunisten und des Terrors? Der einflussreiche Historiker François Furet schrieb 1978, etwas nebulös:

Heute zwingt uns die Projektidentität mit dem Gulag, die Terreur neu zu denken.

Der „Jakobinismus“ führt, so die liberale Rede, zum Totalitarismus. Er ist die "Vergangenheit einer Illusion". Seine Inkarnation ist Robespierre, der „Alchimist der revolutionären Meinung“ (Furet).

Der Sturz dieses „Tyrannen“ ist also ein historisches Ereignis. Allerdings, so der Historiker Pierre Laborie.

kann ein Ereignis nicht nicht auf ein „Faktum“ reduziert werden. Es ist das, was mit dem geschieht, was geschehen ist.

Was ist also am 9. Thermidor, dem 27. Juli 1794 des Jahres II der Republik geschehen?

Palastrevolution im Konvent

Nach mehrwöchiger krankheitsbedingter Abwesenheit kehrt Robespierre am 5. Thermidor 1794 in den Wohlfahrtsausschuss zurück. Er weiß, dass Intrigen gesponnen werden, dass er in tödlicher Gefahr ist, auch weil er selbst Gefahr bedeutet. Die Hinrichtungswelle seit Juni hat eine "Nausée de la guillotine" ausgelöst, einen allgemeinen Ekel. Das "Gesetz vom 22. Prairial II (10. Juni 1794), das die politische Justiz zentralisieren und die Verfahren beschleunigen soll, hat zu einem Kompetenzstreit zwischen dem Wohlfahrtsausschuss, dem Ausschuss für allgemeine Sicherheit und dem Nationalkonvent geführt. Resultat: jede dieser Institutionen schickte fast nach Belieben "Feinde des Volkes" vor das Revolutionsgericht. Die Unterschriften Robespierres, Saint-Justs und Couthons finden sich jedoch kaum unter den Listen der Angeklagten. Trotzdem erscheint in der veröffentlichten Meinung Robespierre als Verantwortlicher. Liegt es an seiner herausragenden Position? Oder stecken geschickte Manöver dahinter?

Robespierres Position ist eigentlich recht sicher. Die Nationalgarde, das Revolutionstribunal, der Jakobinerklub werden von Vertrauten geführt. Seine Popularität ist groß, auch - und gerade - weil antirevolutionäre Propaganda in England ihn zum "Diktator" stilisiert. Aber nicht alle Sans-Culotten sehen in ihm noch ihren Vertreter. Auch im Nationalkonvent und in den Ausschüssen artikuliert sich Opposition. Am 29. Mai hat ein Verbündeter Robespierres im Wohlfahrtsausschuss, Couthon, einen Dekret-Entwurf vorgelegt, der den Rückruf der "Représentants en mission" vorsieht. Nicht wenige dieser Abgeordneten haben sich in den Départements wie römische "Proconsuln" aufgeführt, vor allem in der "Vendée" und in Südfrankreich. Sie müssen die Feststellung Couthons, die Justiz sei für alle gleich, als reale Drohung empfunden haben. Aber unter den Opponenten sind auch jene, die ihre Freunde betrauern (Hébert, Danton), die der schneidende Ton Robespierres schockiert oder die wirklich eine Diktatur befürchten.

Offensichtlich sind die Widersprüche in den beiden großen Ausschüssen sowie im Konvent und im Jakobinerklub unlösbar. Versöhnungsversuche werden organisiert, von den Ausschussmitgliedern Barrère und Couthon. Vergeblich. Am 8. Thermidor redet Robespierre im Konvent. Voller Empörung weist er den Vorwurf der Tyrannei zurück:

Sie nennen mich einen Tyrannen. Wäre ich es, hockten sie zu meinen Füßen.

Er weist die Verantwortung für die Zunahme der Todesurteile zurück:

Man hat alles daran gesetzt zu beweisen, dass das Revolutionsgericht ein Blutgericht sei, welches ich allein geschaffen habe... denn man wollte mir alle zu Feinden machen.

Einerseits spricht er über seine persönliche Betroffenheit, andererseits attackiert er anspielungsreich bestimmte Kollegen, ohne jedoch ihre Namen zu nennen. Ausnahmen: der Finanzverwalter Cambon und Barère. Zum Schluss prangert er eine „Verschwörung gegen die öffentliche Freiheit“ im Konvent und in den Ausschüssen an. Was tun?

Die Verräter bestrafen, den Ausschuss für allgemeine Sicherheit reinigen und dem Wohlfahrtsausschuss unterstellen, den Wohlfahrtsausschuss selbst reinigen und die Einheit der Regierung unter der höchsten Autorität des Konvents errichten.

Die Angegriffenen reagieren ihrerseits empört. Cambon:

Es ist Zeit, die volle Wahrheit zu sagen. Ein einziger Mann lähmt den Willen des Nationalkonvents. Dieser Mann hat gerade seine Rede beendet. Es ist Robespierre.

Der Antrag, die Rede Robespierres zu drucken, wird abgelehnt, ein überdeutlicher Hinweis auf die veränderten Machtverhältnisse im Konvent. Am Abend hält der Gekränkte dieselbe Rede im Jakobinerklub. Diesmal wird er wird gefeiert. Die Ausschussmitglieder Collot d'Herbois und Billaud-Varenne, angeblich gekommen, um sich mit Robespierre zu versöhnen, werden jedoch mit „A la guillotine-Rufen“ aus dem Saal getrieben.

Die Konventssitzung des 9. Thermidor II (27. Juli 1794) bringt die Entscheidung. Der Ausgang ist ungewiss. Viel hängt von der Reaktion der sans-culottischen Sektionen ab. Aber man ist vorbereitet. Auf der Tribüne sitzen Nationalgardisten des frisch ernannten Generals Carnot. Versammlungspräsident ist turnusgemäß Collot d'Herbois, ein Intimfeind Robespierres. Collot lässt die brachiale Unterbrechung der geplanten Rede des Robespierre-Vertrauten Saint-Just durch Tallien zu. Ausgerechnet Billaud-Varenne, dieser ungestüme Montargnard, den Sans-Culotten nahestehend, den lange Zeit nichts von Saint-Just, Robespierre und Couthon zu trennen schien, führt nun ihren Sturz herbei. Er berichtet von den Geschehnissen im Jakobinerklub (Man hat dort die Absicht, den Nationalkonvent zu ermorden). Billaud fordert die Verhaftung wichtiger Vertrauter Robespierres, von Hanriot, dem (ehemaligen) Chef der Nationalgarde, und Dumas, dem Präsidenten des Revolutionsgerichts, und er erhebt schwere Vorwürfe gegen Robespierre. Der will antworten. Tallien, wie einst der Caesarmörder Brutus mit einem Dolch bewaffnet, drängt den „Unbestechlichen“ vom Rednerpult.„Nieder mit dem Tyrannen!“-Rufe werden laut. Stundenlang trägt nun ein Redner nach dem anderen die Verfehlungen des „Tyrannen“ vor. Robespierre, selbst seiner Waffe, der Rede, beraubt, muss sich anhören , er sei ein

neuer Cromwell“ (Tallien), „Catilina“ (Tallien), „Nero““ (Fréron), „Verschwörer“ (Barère), „Heuchler“ (Barère), „Verteidiger Dantons“ (Billaud).

Nach der Verhaftung des „Tyrannen“ und seiner „Komplizen“ verkündet Collot d'Herbois, dass die Freiheit gerettet sei:

Hätte Saint-Just seine Rede gehalten, wäre der morgige Tag ein Trauertag geworden.

Nun, der Redetext ist überliefert. Saint-Just klagt zwar in langen Passagen vor allem Billaud und Herbois an, es ist aber eine – für damalige Verhältnisse - konstruktive, zum Schluss gar versöhnliche Kritik. Wie auch immer, nach der dramatischen Verhaftung, der Befreiung und erneuten gewalttätigen Festnahme in der Nacht zum 10. Thermidor wird dieser zum Trauertag Robespierres und seiner Anhänger. Der große Sans-Culotten-Aufstand zu ihrer Befreiung findet nicht statt.

Der schwer verletzte „Unbestechliche“ und 22 „Robespierristen“ werden noch am Abend guillotiniert. Es ist ein Horror. König und Königin starben würdevoll. Girondisten sangen vor ihrer Hinrichtung die Marseillaise. Hier werden Schwerstverletzte exekutiert. Ihre Leichname werden in ein Massengrab geworfen und mit Kalk bedeckt. An den nächsten Tagen folgen ihnen über 83 weitere „Terroristen“, wie sie demnächst genannt werden, die meisten von ihnen Mitglieder der „Commune de Paris“. Mit den „Robespierristen“ sind mehr politische Gegner hingerichtet worden als bei den drei großen „Exekutionswellen“ gegen die Girondisten (Oktober 1793), die Hébertisten (März 1794) und die Dantonisten (April 1794).

Wer sind die „Thermidorianer“? Fast alle gehören sie zu den „Montagnards“, den radikalen Gegnern der „Girondisten“ (der Terminus stammt aus 1837). Was treibt sie zu ihrem riskanten Handeln. Historische Motivforschung ist immer auf Vermutungen angewiesen. Billaud-Varenne scheint wohl der – in heutigen Worten - „Personenkult“ um Robespierre beim Fest des Höchsten Wesens am 20. Prairial (10. Juni) irritiert zu haben. Im Wohlfahrtsausschuss soll es zum Streit über die Rolle des Unbestechlichen gekommen sein, mit den üblichen starken Worten („Ich erkenne dich jetzt!“ - “Und ich erkenne dich als Konter-Revolutionär!“). Bei dem stets vermittelnden, aber oft gnadenlosen Barère, der am 25. Mai ein Dekret zur Tötung von kriegsgefangenen Engländern verabschieden ließ und noch am 7. Thermidor Robespierre gegen Verleumdungen in Schutz nahm, weiß man nie, ob er aus Überzeugung handelt, um die revolutionäre Einheit zu bewahren, oder aus Kalkül, um sich dem bestplatzierten Lager anzuschließen (so der Historiker Jean-Clément Martin).

Persönlich motiviert und "verständlich" erscheinen die Invektiven Frérons, Talliens und des eher im Hintergrund agierenden Barras'. Sie müssen damit rechnen, von Robespierre angeklagt zu werden, Fréron zeichnet als „Représentant en mission“ für willkürliche Massenerschießungen 1793 in Marseille und Toulon, Tallien für 300 ebenso willkürliche Todesurteile in Bordeaux verantwortlich. Der erst 27-jährige Tallien bangt zudem um das Leben seiner aristokrato-girondistischen Geliebten Thérésia Cabarrus, die im Pariser Gefängnis auf ihr Todesurteil wartet. Fréron und Tallien waren Dantonisten... und schweigende Befürworter der Septembermassaker 1792. Dass an diesem 9. Thermidor 1794 ausgerechnet mit Collot d'Herbois ein Intimfeind Robespierres, Freund des Strippenziehers Fouché und ebenfalls ein Verantwortlicher für Massenerschießungen (diesmal in Lyon) an diesem Tag Versammlungspräsident ist, beweist allerdings die Macht des Zufalls. Das Ziel der Hauptakteure scheint jedoch klar. Sie müssen mit Anklagen rechnen. Und sie wissen, dass Robespierre ihre Pläne kennt. Indem sie den „Unbestechlichen“ im Konvent zu einem Tyrannen erklären lassen, eine Palastrevolution initiieren, diskulpieren sie sich selbst (und retten eventuell ihren Kopf).

Der Unbestechliche war's

Stimmung wird gemacht. In der Sitzung des 8. Thermidor fordert Tallien die „patriotischen Journalisten“ auf,

den Schlummer aus den Augen zu schütteln, worin sie die Tyrannei Robespierres festgehalten hat.

Und die machen ihren Job. Schon am 13. Thermidor erscheinen zwei Pamphlete: „Die verabscheuungswürdigen Porträts des Verräters Robespierre und seiner von der Furie gehaltenen Komplizen“ sowie das „Wahrhaftige Porträt von Catilina Robespierre, nach der Natur gezeichnet“. Nach dem 9. Thermidor entseht ein regelrechtes Genre entsteht. Fantasmen werden publiziert: Robespierre, der sich als Messias sieht, als König (er wollte angeblich die Tochter Louis' und Marie Antoinettes heiraten), der „Blutsäufer“, der Kannibale, das Monster etc. etc. Noch heute kursieren phantastische Geschichten, die zumeist mit „Das Geheimnis von...“ beginnen. Selbst Rouget de l'Isle, Autor der Marseillaise, verfasst gereimte Popaganda:

Ihre Tollheit, lange unbestraft

Täuschte unser'n guten Glauben.

Die Freiheit hoch beschworen sie

Und schufen schon die Tyrannie.

Nun ist der Vorwurf der „Tyrannei“ einer der meistbenutzten politischen Vorwürfe der Zeit. Die neuen Herren geraten jedoch in eine gewisse Erklärungsnot. Wie konnten sie als Deputierte der Nation die Machtfülle eines einzigen Mannes zulassen? Und gab es nicht eine Aufgabenverteilung in den Ausschüssen? War – bei aller Dominanz Robespierres - die Beschlussfassung nicht kollektiv? Niemals hat der Konvent ein Dekret beschlossen, das den „Terror auf die Tagesordnung“ setzte, wie behauptet wird. Zur Zeit der Schaffung und des „Wohlfahrtsausschusses“ und des "Sicherheitsausschusses" haben die Girondisten (noch) die Konventsmehrheit. Zwar spricht Robespierre in seiner großen Rede vom 5. Februar 1794 vom „Despotismus der Freiheit“, zu dem auch der „furchteinflößende Schrecken“ (la terreur) gehöre, aber nur in Verbindung mit der republikanischen „Tugend“ (la vertu), ohne die der Schrecken „unheilvoll“ sei. Im Gegensatz zur „Tyrannei“ richte sich der Schrecken nicht gegen die eigenen „Citoyens“, sondern gegen die Feinde der Freiheit.

Die „Thermidorianer“ nutzen geschickt ihre Interpretationsmacht. Am 11. Fructidor (28. August), einen Monat nach dem Ereignis, stellt Jean-Lambert Tallien in einer Konventsrede die „thermidorianische Matrix“ vor. In scheinbar logischen Ableitungen konstruiert der Held des 9. Thermidor die Fiktion eines „Systems des Terrors“ als Charakteristikum der Epoche Robespierres (dessen Schatten noch immer über der Republik schwebt). Sowohl den Royalismus als auch die Allianz von Parlament und Volksbewegung abwehrend, entwickelt Tallien Elemente des modernen liberalen Diskurs über die große Revolution, und nicht nur über diese:

Versteht man unter revolutionärer Regierung die Vollendung der Revolution oder ein Agieren in der Art der Revolution?

Letzteres bedeute, so folgert er,

ein Imitieren der Volksbewegung im Akt der Revolution. Der Akt der Revolution bedeutet, nach oben zu drehen, was bisher unten war.

Der Revolutionsakt war notwendig, um den „Tyrannen“, den König, zu stürzen und die Republik zu errichten. Nach der Vernichtung der „erklärten Feinde“ gelte es nun, die „insgeheimen Feinde“ zu bekämpfen, aber individuell, nicht mit dem Instrument des kollektivem „Terrors“.

Das System des Terrors setzt die absolute und willkürliche Macht und eine Macht ohne Ende voraus... Welches andere Ziel könnte denn der Terror haben, wenn nicht die Tyrannis?

Damit geht er, die Definitionen Robespierres ignorierend, zurück zu Montesquieu und dekretiert:

Der Terror ist nur nützlich für die Minderheit, die die Mehrheit unterdrücken will, sei es ein König oder ein Triumvirat, es ist stets die gleiche Tyrannis... Es setzt immer neue und größere Exzesse voraus. Gestern hat man mit nur 20 abgeschlagenen Köpfen nichts gemacht, heute schlägt man schon 30 ab und morgen 60...

Im Frankreich der Revolution sei das „System des Terrors“ untrennbar mit dem „Unbestechlichen“ verbunden:

Das System war das Werk Robespierres und einiger Subalterner, von denen einige mit ihm untergegangen sind, während die anderen in der öffentlichen Verachtung begraben leben. Der Konvent war sein Opfer, niemals sein Komplize. Die Nation belastet Robespierre mit den Verbrechen, die sein System bewirkte. Sie gibt diesem infernalen System den Namen Robespierre. In der öffentlichen und der privaten Empfindung wird die Bestrafung des Monsters und seiner Komplizen erleichtert zur Kenntnis genommen.

DieserPassus gegen Ende der Rede ist geschickt platziert. Die Formulierung "Der Konvent war sein Opfer" findet großen Applaus. Natürlich wird die Druckgenehmigung ausgesprochen. Mit diesem Diskurs legitimieren die „Conventionnels“ sich selbst, vor allem die Tallien, Barras und Fouché, die keine unbedeutenden Elemente des inkriminierten „Systems“ waren. Eine klassische Sündenbocksituation. Der „Unbestechliche“ war's. Und war nicht der ganze Habitus des Inkriminierten (inklusive grün gefärbter Brille) der eines krankhaften „Tyrannen“?

Die schwarze Legende

Die Synthese der Machenschaften des „Tyrannen“ bildet schließlich der Bericht von Edme-Baptiste Courtois im Namen der neu besetzten Ausschüsse am 16 Nivôse III (5. Januar 1795), verfasst „nach den bei Robespierre und seinen Komplizen gefundenen Papieren“. Im Vorwort lesen wir:

Das Reptil hinterlässt noch eine feuchte giftige Spur auf seinem Weg. Die Flamme der Wahrheit ist nötig muss diese Spur trocknen und entfernen...

Der nicht enden wollende Rapport ist ein Musterbeispiel für den Umgang mit Quellen in einem bestimmten Kontext. Die Republik ist wieder einmal bedroht, von links durch die „Anarchisten“ (Courtois) um Babeuf, der mittlerweile zum „Robespierristen“ geworden ist, von rechts durch die emigrierten Aristokraten, die England auf die Republik hetzen.

Ah! Bürger, es ist die Hydra der Tyrannei, dieses Monster... Ein Ziel zieht sie alle an: die höchste Gewalt, ein Streben führt sie an: die Leidenschaft zu herrschen... Untereinander schließen sie den Pakt der Briganten.

Der Ex-Dantonist Courtois liefert tatsächlich ein frühes Beispiel des Theorems der sich anziehenden Extremismen, die sich gegen die beste aller möglichen Welten, die liberale Republik verbünden.

Alle „Informationen“ über das Monstrum und sein Terrorsystem, ob faktuell oder fiktional, ob grob und fein gestrickt, sind verschriftlicht, also „wahr“. Das Triumvirat, in erster Linie Robespierre, dann Saint-Just und Couthon, hat – während das brave Volk Hunger litt – sich allen erdenkbaren Vergnügungen hingegeben. Bei Deschamps, dem steinreichen Organisator dieser Orgien, hat man ein Kästchen mit den Worten „Deschamps Feind der Reichen“ gefunden, neben dem verletzten Robespierre ein Kästchen mit einer frisch gemalten Lilie. Die Tochter Louis XVI habe am Tag der Hinrichtung der 22 Mörder am 10. Thermidor Trauer getragen. Die Erklärung der Untaten liege im Charakter des Monsters. Robespierre war neidisch, perfide, feige, heuchlerisch, bestechlich. Seine Maxime war, so Courtois fast orwellianisch:

Man nahm die Tugend für das Verbrechen und das Verbrechen für die Tugend.

Robespierre umgab sich mit

dummen und blutrünstigen Gleichmachern, die die Talente, den Geist, die Tugend, die Wissenschaft und die Reichtümer in Ketten legten.

Nicht fehlen darf das finale Szenario: Im Moment seiner Verhaftung organisierte er seine Flucht nach … England, wo er einen Schatz angehäuft hatte.

Die Akzeptanz dieser Räuberpistolen beim geneigten Publikum wird verstärkt durch unzählige Verweise auf antike Schurken und Tyrannen, die sich genauso verhalten haben wie der „Unbestechliche“. Das antike Beispiel garantiert damals die Wahrheit.

Der Rapport Courtois, vor allem sein ausführlicher Dokumentenanhang, dient als „gesicherte“ Basis der zeitgenössischer Autoren, die ihrerseits die Vorlagen späterer Texte liefern. Eine wichtige Funktion bei der Entstehung eines dichten Text- und Bildgewebes hat der Emigranten Abbé Proyart (einst stellvertretender Schulleiter Robespierres). Sein 1795 in Augsburg erschienenes Werk „La Vie & les Crimes de Robespierre, surnommé le tyran“ wird jedoch erst mit der (veränderten) Neuauflage 1850 breit rezipiert. Die Bourgeoisie, die sich dem dritten Napoleon in die Arme geworfen hat, liebt den Schauer der gerade noch einmal vorbei gegangenen Revolution, diesmal der 48er.. Proyart verdankt die Nachwelt die berühmte Episode der ersten Begegnung des 17jährigen Schülers Robespierre und des frisch gesalbten Königs Louis XVI 1775. Eine faszinierende Geschichte, die sich kaum ein Autor entgehen lässt. So noch Romain Rolland in seinem Drama „Robespierre“:

Der junge Robespierre in seinem feierlichen Staat kniet auf der Straße vor dem Wagenfenster, an dem die gelangweilten Gesichter der königlichen Besucher auftauchen... Man sieht, wie der König einen Hühnerflügel verschlingt, ohne auf den jungen Mann zu achten, der draußen seine Ansprache vorträgt. Die Königin gähnt... Die Karosse fährt ab und bespritzt den Schüler mit Schmutz...Im Nebel, der sich über dem Bild zusammenzieht, erscheint im Umriss die Guillotine.

Die „schwarze Legende“ Robespierres wird ideologische Grundlage des neuen Kampfes gegen die überlebenden „Feinde der Freiheit“, den „Schwanz Robespierres“, wie der Pamphletist Méhée de La Touche im August 1794 (später schreibt er für die Zeitung Talliens) die „letzten Montagnards“ bezeichnet. Sie ist nach Bedarf abrufbar, bis heute. Barère fordert z.B. mit einigen anderen Montagnards am 14. November eine Kommission zur endlichen Verabschiedung der Verfassung von 1793. Und Barère, immerhin ein Hauptakteur des 9. Thermidor, ist es, der sich im erwähnten Rapport Courtois' dieses florentisches Sprichwort anhören muss:

Man kann über Barère sagen, dass er Honig im Munde hatte und das Rasiermesser im Gürtel.

Symptomatisch gestaltet sich die Verhandlung Carriers ab dem 23. November, dem – zurecht - die Massenverbrechen in Nantes zur Zeit des Vendée-Kriegs vorgeworfen werden (die berüchtigten „Noyades“ auf der Loire). Der Wohlfahrtsausschuss hattee ihn im Januar 1794 deswegen nach Paris zurückbeordert, auf Betreiben Robespierres. Carrier verteidigt sich nicht ungeschickt, weist immer wieder auf die Mitschuld aller Konventionalisten hin. Darauf veranlasst ein gewisser Fouché, der „Mitrailleur von Lyon“, den Journalisten Babeuf zu einer Pressekampagne. Babeuf schreibt tatsächlich, Robespierre, „der Exterminator“, und seine „Komplizen“ hätten die Vendée mit der Ermordung aller über Fünfzehnjährigen einem „Populicide“ unterziehen wollen. Mit einer simplen Falschbehauptung wird aus dem persönlichen Feind Robespierres Carrier ein „robespierristischer“, i.e. von nun an „terroristischer“ Mörder. Die historiographische zweifelhafte Bezeichnung Robespierres als „Henker der Vendée“ beginnt sehr früh. Carrier wird am 16. Dezember guillotiniert. Drei Wochen später finden 75 ehemalige girondistische Abgeordnete (die zum Teil ihr Leben dem Schutz Robespierres verdanken) ihren alten Platz im Konvent zurück.

Die absolute Mitte

Die bürgerliche „Rechte“ ist de retour. Ebenso wie die Emigranten (außer echten Aristokraten), die widerspenstigen Priester, die Freiheit des Getreidemarkts und das „Loi Martiale“, das Gesetz von 1789, das Demonstrationen verbot und Zusammenschießen nach drei Ermahnungen erlaubte. Es heißt jetzt „Loi de grande police“ und verdankt sich keinem Geringerem als dem Abbé Siéyès („Was ist der Dritte Stand?“). Die „Herrschaft des Terrors“ dient ihm als Rechtfertigung. Es zielt natürlich auf die Sans-Culotten.

Die Thermidorianer erweitern die Repression. Es ist die Zeit der „Jeunesse dorée“, der „Muscadins“, bourgeoise Schlägertruppen, die ermutigt durch Tallien und Barras mit verbleiten Keulen auf Jakobinerjagd gehen. Im Südwesten und im Rhônetal werden Tausende Opfer des „weißen Terrors“. Der Jakobiner Réal, vor dem 9. Thermidor als "Hébertist" im Gefängnis, schreibt bitter in seinem „Tagebuch der Opposition“:

Wie unter Robespierre findet die Regierung keinen Widerspruch. Wie unter Robespierre sind die Zeitungen folgsam. Wie unter Robespierre verhaftet man einen Mann, weil er zu dieser oder jener Partei gehört. Wie unter Robespierre verlangt man die Vernichtung von mehreren Tausend Franzosen. Man hat ein Gericht aufgelöst, weil es nicht genug tötete.

Auch die Helden des 9. Thermidor Barère, Billaud-Varenne, Collot d'Herbois, die „drei Hauptschuldigen“, trifft das Verdikt. Sie werden am 2. März 1795 verhaftet. Trotz mutiger selbstkritischer Verteidigung durch ehemalige Kollegen (Lindet, Carnot) dekretiert der Konvent ihre Deportation nach Cayenne; die „trockene Guillotine“ hat die zum „System des Terrors“ gehörende echte ersetzt. Am 11 April dringen militante Sans-Culotten in den Konvent ein. Nach der Aufhebung des Maximums herrscht eine furchtbare Hungersnot in Paris. Sie fordern Brot, die Verfassung von 1793 und die Freilassung der politischen Gefangenen. Für die meisten Konventionalisten sind die Namen der Hintermänner der Aktion klar. Sie beschließen die beschleunigte Deportation von Collot, Billaud, Barère und Vadiers. Billaud und Barère werden von 200 Soldaten zur Insel Oléron eskortiert. Nach einer erneuten Aktion der Sans-Culotten wird sogar eine neue Verhandlung dekretiert, was die echte Guillotine bedeutet hätte. Allein, Collot und Billaud sind schon auf der Überfahrt. Warum Barère verschont wird, ist bis heute unerklärt.

Am 20. April unternehmen die Sans-Culottes einen letzten Versuch. Der Konvent wird besetzt, der Abgeordnete Fréron findet gar den Tod. Erstmalig wird einem Repräsentanten des Volkes, und nicht einem Konter-Revolutionär, der Kopf abgeschnitten. Der Konvent sieht – natürlich – ein Komplott „des schrecklichen Regimes der letzten Anarchie“. Militär vernichtet „diese blutgierige Horde“. Militärischer Einsatz zur Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“ wird normal. Bonaparte wird davon profitieren. Das Volk als politisch aktiver Souverän ist eliminiert. Und Babeuf, der mittlerweile seine Robespierrre-Attacken bedauert, schreibt schon im Oktober 1794 sarkastisch:

Fréron sagt, das Volk, das ursprünglich die Souveränität besaß, hat diese dem Konvent überlassen und dieser allein habe das Recht, sie auszuüben. Wo, bitte schön, ihr tapferen Mandatäre, wo ist der Akt dieser Überlassung?

Wie auch immer, ein Jahr nach dem 9. Thermidor sind die Montagnards eliminiert, als politische Konkurrenten, als potentielle Alliierte der Sans-Culotten, deren Einfluss ebenfalls gebrochen ist,.... und als gefährliche Mitwisser. Mittlerweile herrscht die die Charakterfigur der„Girouette“, die „Wetterfahne“. Und die hat permanente Angst. Der Historiker Sergio Luzzato hat die Dokumente analysiert:

Seit dem Herbst der Revolution verfolgt die Revolutionäre nicht nur die Angst, verraten zu werden, sondern auch die Angst sich selbst zu verraten.

Und dies führt bekanntlich zur Überanpassung.

Eine neue Verfassung wird eingeführt. Nicht die von 1793, die als das Werk des Tyrannen Robespierre betrachtet wird. Der Berichterstatter Boissy d'Anglais, schon zu Robespierre-Zeiten Mitglied im Konvent, der in den Volksvierteln „Boissy famine“, Boissy Hungernot, genannt wird, weiß:

Wir erklären einstimmig, dass diese Verfassung (die von 1793) nichts anderes als die Organisation der Anarchie ist, und wir erwarten, dass Sie mit Klugheit, Patriotismus und Mut sich nicht von den bekannten eitlen Worten verführen lassen, nachdem Sie Ihre Tyrannen geopfert und ihr hassenswertes Werk im selben Grab begraben haben, das sie verschlungen hat.

Um die Rückkehr zur blutigen robespierristischen Tyrannei zu verhindern, gibt es in der Verfassung von 1795 kein Recht auf Widerstand, keine Erklärung der Menschenrechte, keine Erwähnung der Gleichheit aller Menschen im Recht. Dafür gibt es eine „Erklärung der Pflichten“. Und die Demokratie?

Die Besten sind zum Regieren geeignet... Das Eigentum ist die Quelle der politischen Tugend, und der Eigentümer ist natürlicherweise tugendhaft, denn es reicht ihm, sein Eigentum zu lieben und so dem Interesse eines guten Bürgers zu folgen. Der Mann ohne Eigentum, aber braucht eine ständige Anstrengung („effort“) zur Tugend, um sich für eine Ordnung zu interessieren, die ihm nichts gibt. (Auf der Bank des Gesetzgebers) stürzen die Nichtbesitzenden von neuem Frankreich in die heftigen Konvulsionen, aus denen wir nur mit Mühe herausgekommen sind...

So kurz wie bekannt:

Ein Land, das von Eigentümern regiert wird, ist im Gesellschaftszustand; dasjenige, das von den Nichtbesitzenden regiert wird, ist im Naturzustand.

Schließlich hat man die Lehren aus dem „System des Terrors“ gezogen. Die "absolute Mitte" bekämpft sowohl "das eiserne Szepter eines Königs" als auch "das blutige Beil eines Diktators", so der Abgeordnete Trouvé im März 1795. Die neue Gewalt geht von den Besitzenden aus. Vergessen scheint die Erkenntnis eines gewissen Maximilien Robespierre: Das erste Menschenrecht ist das Recht zu existieren. Die neue Republik ist eine Republik ohne Revolution, in der „Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham“ (Marx) herrschen. Bis zum nächsten „Tyrannen“.

Marc Belissa/Yannick Bosc, Robespierre. La fabrication d'un mythe, Paris 2013 (ellipses)
Marc Belissa/Yannick Bosc, Le Directoire, Paris 2018 (La fabrique)
Michel Biard, Terreur et Révolution francaise, Paris 2016
Jean-Clément Martin, Robespierre. Fabrication d'un monstre, Paris 2016 (Perrin)
Jean-Clément Martin, Les échos de la Terreur, Paris 2018 (Belin)
Pierre Serna, La République des Girouettes, Paris 2005 (Champ Vallon)
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